Innerhalb der basisgewerkschaftlichen Bewegung ist die Institution Betriebsrat Gegenstand einer traditionsreichen Debatte. Gleichzeitig entdecken faschistische Kräfte eben dieses Kampffeld für sich und mobilisieren ihre AnhängerInnen in die Gremien. Markus Faber hat mit Christian, einem Mitglied der Basisgewerkschaft FAU und langjährigem Betriebsrat, darüber gesprochen.
Christian: Hallo, ja das ist richtig. Ich bin in einem Seniorenpflegeheim beschäftigt und das mittlerweile fast 25 Jahre. Es gehörte früher zu einem gemeinnützigen Wohlfahrts–verband und ist vor einigen Jahren privatisiert worden. Heute werden hier knallhart Gewinne erwirtschaftet, wobei diese Formulierung viel zu milde dafür ist. Es ist da jetzt fast wie im Bilderbuch des Klassenkampfes. Hier der geldgierige Unternehmer, dort eine Belegschaft, die unter katastrophalen Arbeitsbedingungen zu leiden hat und die Kohle erwirtschaftet. Von den Pflegebedürftigen gar nicht zu reden. Bitter! Wir haben einen dreiköpfigen Betriebsrat aber bei den anstehenden Wahlen wird es einen fünfköpfigen geben, da sich die Belegschaftsgröße verändert hat. Die Branche wächst.
Betriebsrat bin ich jetzt insgesamt fast 19 Jahre dort.
Ich werde demnächst 55. Bin in der DDR, in einer gegen den Staat eingestellten Familie aufgewachsen, wobei der Staat auch gegen uns eingestellt war. Die Werktätigen hatten in diesem kleinkarierten System doch in Wirklichkeit keine Interessenvertretung, nicht in den Betrieben und politisch erst recht nicht. Der Glaube an Freiheit, Humanität und Solidarität spielte eine wesentliche Rolle in meiner Erziehung. Ich würde sagen, ich war so etwas wie ein linker Humanist. Heute bin ich ein sehr linker Humanist, wenn wir das so stehen lassen können. Sozialisiert außerhalb radikaler Politgruppen. Ich habe aber immer viel gelesen und war als junger Mann in der DDR an der Punkbewegung dran. Erst viel später, vielleicht vor etwa 10 bis 15 Jahren kapierte ich, dass ich eigentlich immer anarchistisch getickt habe. Die Diagnose wurde bloß nie gestellt.
Betriebsrat und DGB-Gewerkschaft fand ich nach meiner „Ostzeit“ ziemlich gut, weil ich sah, dass hier Interessen formuliert, gebündelt und durchgesetzt werden konnten. In der ÖTV, später in ver.di ging ich ziemlich ab. Hab tolle Leute kennengelernt und sehr viel gelernt. Doch ich sah auch die Widersprüche, die ich mit zunehmendem Alter als immer schrecklicher empfand. Wir hatten im Betrieb fast 90 Prozent DGB-Mitglieder! Das war mehrfaches DGB-Bingo. Heute gibt es meines Wissens noch ein ver.di-Mitglied aber einige FAU-Mitglieder. Leider nicht mehr 90 Prozent. Aber immerhin waren wir eine FAU-Betriebsgruppe. Und wir werden auch wieder eine, denke ich.
Betriebsräte verfügen meist über stumpfe Waffen. Wo es wenig um Geld geht, haben sie mehr zu sagen, als umgekehrt. Sogenannte unternehmerische Entscheidungen können sie weder abwenden noch wesentlich beeinflussen. Mitbestimmung ist da als Begriff vollkommen irreführend, das ist mir alles mit den Jahren klar geworden. Dennoch können sie über kollektives Recht, was sie mithilfe von Betriebsvereinbarungen gestalten sollten, bestimmte Verbesserungen erwirken. In Zeiten von stärker werdenden neokapitalistischen Daumenschrauben gegenüber den Arbeiter*innen haben Betriebsräte oft mehr damit zu tun, drohende Verschlechterungen zu mildern. Dringend nötig wäre eine Möglichkeit steuernd und tatsächlich effektiv in die betrieblichen Planungen, Entscheidungen und Abläufe eingreifen zu können. Aber wir dürfen ja nicht einmal zum Streik aufrufen. Das alles hat oft viel von Kulissenschieberei. Was pfiffige Betriebsräte tun können, ist sich und die Kolleg*innen gut zu informieren. Denn Informationen bekommen wir schon reichlich, wenn wir es wollen. Und in den häufigen Konflikten einzelner Beschäftigter, bei Arbeitszeit- und Dienstplanfragen zum Beispiel, kann der Betriebsrat eine ganze Menge tun. Er kann sich schützend vor einzelne stellen, weil er seinerseits Instrumente hat, die dem Betriebseigentümer nicht gefallen. Weil sie Geld kosten oder auch Prestige.
Die Eitelkeit der Kapitalisten ist eine gute Angriffsfläche und nicht zu unterschätzen. Unser Motto im Betrieb ist: Die Wahrheit sichtbar machen! Das ist fast revolutionär! Kaum zu glauben, oder? Meinungsfreiheit und Demokratie im betrieblichen Alltag sind eher eine Seltenheit, das ist doch irgendwie verrückt! Gut qualifizierte Menschen werden im Prinzip für blöde verkauft. Und dort wo es an Klassenbewusstsein fehlt, ist das leider noch viel viel einfacher. Den Rest erledigen Glotze und Facebook, ihr wisst, was ich meine. Beschäftigte werden oft wie dumme Kinder vorgeführt. Gut, vielleicht nicht bei Hightechkapitalisten, wie Google und Co., oder dort nur anders, hipper, keine Ahnung… Aber in Betrieben der Gesundheits- und Sozialbranche, also im Carebereich, allemal. Das alles freut einen basisgewerkschaftlich Aktiven nicht, wie denn auch? Das alles findet der sogar zum K…..
Das Bundesarbeitsgericht sagt, bei Arbeitsunfähigkeit kann der Boss verlangen, dass der Krankenschein ab dem ersten Tag bei Arbeitsunfähigkeit vorzulegen ist. Als BR konnten wir in unserem Betrieb dann einen schwachen Kompromiss verhandeln, wonach ein Tag im Jahr nicht belegt werden muss. Das Entgeltfortzahlungsgesetz sagt ja dazu, erst ab dem dritten Tag muss der Gelbe eingereicht werden, pro Krankheit. Die Arbeitsbedingungen in der Pflege machen die Kolleg*innen krank, aber der Betriebsinhaber darf die Kranken unter Generalverdacht stellen, wie paradox!
Oben habe ich das ja schon erzählt, es gibt seit 3 Jahren bei uns de facto keine DGBler*innen mehr, naja bis auf einen, der hat sich gerade vor einer Woche „geoutet“, weil er damals nicht ausgetreten ist. Bei mir im Betrieb wissen alle, dass ich FAU-Mitglied bin und die Gewerkschaft tritt auch bei Betriebsversammlungen offen auf.
Aber ja. Das habe ich auch schon ganz erfolgreich getan. Und wenn es nach mir geht, werden es auch noch mehr Mitglieder. Ich kann diesbezüglich geduldig sein. Radikal schlechte Arbeitsverhältnisse machen irgendwann radikal gute Gewerkschaften notwendig!
Die Altenpflege ist eine Branche, deren Arbeitsbedingungen seit etwa 15 Jahren so im freien Fall begriffen sind, dass es eine sehr hohe Fluktuation gibt, auch aus dem Job ganz raus. Daher haben wir sehr viele Kolleg*innen, die aus verschiedensten Ländern kommen und kein oder nur sehr schlecht Deutsch sprechen. Sie haben auch als Arbeiter*innen eine Leidensfähigkeit, die kaum zu einem Aufbegehren führt, was problematisch für einen nötigen Veränderungsdruck ist. Unsere Aktivitäten werden oft begrüßt, aber die Leute wollen nicht mit uns in Verbindung gebracht werden.
Ein größeres Problem sind aber die Kolleg*innen, die offen mit rechten, neofaschistischen Bewegungen sympathisieren. Viele meiner Kolleg*innen, die früher eher die SPD oder DIE Linke gewählt haben, wählen heute AfD und finden PEGIDA und deren ekelhafte Spielarten, wie BERGIDA gut.
Alle drei BR-Mitglieder sind auch FAU-Mitglieder. Wir haben daher im Augenblick kein Spannungsfeld. Außerdem haben wir ein ausgezeichnetes Verhältnis zur FAU Berlin und ihrer Sektion Gesundheit und Soziales, die mit Solidarität und auch gewürzter Kritik an unserer Seite kämpfen. Das gibt Impulse und Kraft.
Bei den Arbeiter*innen verfängt sich linkes Gedankengut kaum bis überhaupt nicht mehr. Ich finde das nicht gut, sehe es aber als eine Tatsache. Da werden unterschiedliche Sprachen gesprochen. Die „eingebildeten“ Ängste und Bedenken dieser Leute, die oft nicht sehr gebildet sind, werden mit politisch korrektem Politsprech nicht entkräftet. Unsere Angebote sind für sie zu oft so etwas wie ein utopischer Film. Es ist sonderbar einer Frau erklären zu müssen, die seit Jahren absolut unproblematisch und gut mit ausländischen Kolleg*innen zusammen arbeitet, dass ihre AfD-nahen Argumente dadurch ja eigentlich schon entkräftet sein müssten. Das zieht nicht. Sie will sich bedroht fühlen, denke ich da, weil sie dadurch in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter ist. Es ist so irrational. Da setzen die Nazis doch an und schaffen Bindungen. Ich halte den Weg in die Betriebe für erfolgreich, weil sie schon längst dort sind. Bei den Arbeiter*innen. Sie erobern jetzt die schützenden Kanzeln der Betriebsratsmandate oder ganzer Gremien, wenn wir nicht total aufmerksam sind und kämpfen. Die Informationsfülle der Betriebsräte und der relative gesetzliche Schutz machen das Vorhaben für die interessant. Außerdem müssen die Bosse sie ja erst einmal weghaben wollen, wer sagt, dass es so sein wird? Ich glaube, dass es Bündnisse zwischen Rechten in den Betriebsräten und den Bossen geben wird. Linke Gewerkschafter*innen werden oft angegriffen. Aber Rechte?
Erklären, dass es denen immer nur um Diskriminierung und Ausgrenzung geht. Und immer noch auch von Frauen. Sollten sie Betriebsräte sein, dann müssen sie sich an geltendes Recht halten. Da ist z. B. Diskriminierung von Migrant*innen und Frauen oder Homosexuellen etc. ausgeschlossen. Gewerkschaften können dann Anzeigen bei Staatsanwaltschaften und Arbeitsgerichten machen. Es wird sich das Klima in den Betrieben verändern, vielleicht nicht in den hippen Startups, aber wer weiß das schon so genau?
Auf jeden Fall haben wohl etwa 11 Prozent von deren Mitgliedern AfD gewählt und die Lawine rollt doch erst an. Es zeichnet die großen Zentralgewerkschaften ja leider aus, dass sie wie Behörden nicht oder nicht angemessen schnell reagieren. Unter Umständen werden auch deren Listen bei den BR-Wahlen trojanische Pferde für die radikalen Rechten sein.
Ja, das würde ich und mache es auch. Das ist meine persönliche Meinung und nicht Beschlusslage, die es so genau dazu ja nicht gibt. Warum? Ich sehe die relativ geschützte Möglichkeit in der Ritterrüstung des Betriebsrates mit FAU innen drin an die Arbeiter*innen heran zu kommen und einiges für sie tun zu können. Die vielen jungen prekär Beschäftigten brauchen Betriebsräte sehr stark. Natürlich auch uns als Basisgewerkschaft und die kommen ja auch zunehmend. Das Ziel ist dabei immer, eine basisgewerkschaftliche Betriebsgruppe aufzubauen und gut mit Infos aus dem Betrieb zu versorgen. Politisch muss dafür gekämpft werden, dass das asymmetrische Verhältnis zwischen Bossen und Arbeiter*innen überwunden wird und Belegschaften insgesamt über die Geschicke ihrer Betriebe entscheiden. Dann braucht es auch keine Betriebsräte mehr.
Nach fast zwanzig Jahren im BR bin ich nicht mehr so taufrisch. Aber die Arbeit in und mit der FAU und den super engagierten Genoss*innen dort lässt mich eben vieles mit neuer Optik sehen. Das hat mir neue Impulse gegeben. Daher habe ich mich entschlossen, nochmal anzutreten. Ich möchte im Betrieb eine einklagbare Regelung zur Mindestschichtbesetzung erkämpfen helfen. Und in der FAU dafür ringen, dass wir ein kluges taktisches Verhältnis zum Thema Betriebsrat und Interessenvertretungen, wie Personalrat und Mitarbeitervertretungen entwickeln. Die Zukunft kann radikal gut werden.
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Kommentare
mal eine Frage: wie sind die arbeitszeiten in "deinem" Seniorenpflegeheim gestaltet? 5,5 oder gar 6-Tage-Woche (selbst für Teilzeitbeschäftigte! - durch kürzere Schichten)scheinen in der Branche keine Seltenheit zu sein, bei euch auch? wiewiele Wochenenden muss man pro Monat arbeiten? etc.
Ja mit diesen "verkürzten Arbeitszeiten ",die dann durch den nicht zu bewältigenden Arbeitsaufwand natürlich immer so lang sind wie Vollzeit ( auch bei Teilzeit) sind ein Problem in vielen Altenpflegeeinrichtungen.Sollte ein Betriebsrat da sein ,sollte dieser sich gut über § 87 Betriebs verfassungs Gesetz informieren .Da kann man an der Uhr drehen.Die verkürzten AZt´s dienen überwiegend der Ausbeutung und Minderbezahlung insbesondere von Pflegehelfern.
Also die Antwort zu den Strategien gegen Rechte im Betrieb ist ja mal echt ein Hammer.
Man solle die Rechten anzeigen? Ja geht's noch? Was hat denn das mit Basisgewerkschaft oder mit dem politischen Anspruch der FAU zu tun? Dadurch können die Rechten sich ja nur noch mehr als Opfer und als Anti-System darstellen.
An Nikola,
Zugegebenermaßen ist die Antwort von Christian etwas dürftig, da sie kaum Möglichkeiten ausschöpft selbst als Basis aktiv zu werden.
Allerdings sind Klagen und Anzeigen doch ein mögliches Mittel im Kampf gegen Diskriminierung. Würde ich meinen Chef nicht anzeigen bei sexistischen Sprüchen, Belästigung, oder ähnlichem? Warum sollte ich also nicht auch Rechte anzeigen, die Stimmung gegen Frauen* oder Homosexuelle machen? Das ist vielleicht nicht immer das erste, aber immerhin ein mögliches Mittel.
Und zu dem Punkt, dass sie sich als Opfer oder als "anti-system" darstellen: Das tun sie doch so oder so. Indem man auf Klagen verzichtet würde das ja noch nicht aufhören. Es müssen also Mittel gefunden werden, um erfolgreiche Klagen/Anzeigen durchzuführen, Rechte in ihrem Handeln einzuschränken UND um weitere Kolleg*innen sich nicht mit diesen Rechten solidarisch zeigen.