Betrieb & Gesellschaft

Kein guter Witz!

Eine Reaktion auf die Parteieintritte vermeintlich radikaler Linker.

Kennt ihr den schon? Treffen sich 400 frustrierte außerparlamentarische Linke und treten in die Linkspartei ein, um endlich Basisarbeit zu machen. Fragt man sie, warum, antworten sie: Um ihren Stolz zu verlieren und eine Welt zu gewinnen! Nicht lustig? Das war auch gar kein Witz, nicht mal ein schlechter, sondern deren Ernst.

Schlechte Witze zu erklären, macht sie nicht lustiger. Hat keiner gelacht, schützt das leider nicht vor Wiederholung, denn die gesellschaftliche Linke vergisst schnell. Deshalb zur Auffrischung ein paar Argumente gegen Parteien als Organisationsform für emanzipatorische Veränderung. In der komischen Hoffnung, dass wir in Zukunft weniger zu lachen, aber dafür dann mehr Spaß haben werden.

Ihr Plan lautet sinngemäß: Weil die sogenannte Arbeiter:innenklasse ihrer revolutionären Rolle mal wieder nicht gerecht wird, gründen wir ihr eine Partei und organisieren sie dann einfach darin. Das hat zwar noch nie funktioniert, aber unsere 400 selbsternannten Revolutionär:innen werden es diesmal schon hinkriegen, oder? Könnte es sein, dass es gar nicht gelingen kann, weil die Grundannahmen falsch sind? Vielleicht sind die Hoffnungen auf die Arbeiter:innenklasse als revolutionäres Subjekt und die Partei als ihrer besten Organisationsform so dumm wie sie alt sind. Warum aber lassen sich die selbsternannten Revolutionär:innen immer wieder dazu verleiten, sich – gleich einer:m Lehrer:in – direkt um eine ganze Klasse kümmern zu wollen, anstatt erst einmal bei sich selbst und dem eigenen sozialen Umfeld zu beginnen?

Die Versuche mit der Arbeiter:innenklasse und der für sie gegründeten Partei verlaufen doch immer in etwa so: Kaum in einer Klasse zusammengefasst, wird die bunte Ansammlung von Menschen schon der Klassenarbeit ausgesetzt. Die zum revolutionären Subjekt verklärte und imaginierte Klasse wird umgehend zum revolutionierenden Objekt. Dieses unfreiwillige Lehrer:in-Schüler:in-Verhältnis (im postautonomen Neusprech auch Klassenpolitik oder jetzt wohl auch Basisarbeit genannt) bereitet den fremdbestimmten Schüler:innen Unbehagen und den selbsternannten Lehrer:innen Frust, weil die Klasse eben nicht so will, wie sie wollen soll. Und weil die Lehrer:innen dann vor der Frage stehen: Was tun? lesen sie beim Oberlehrer Lenin nach und – ah – da steht es ja: Gegen die Kinderkrankheiten der Klasse helfen schon seit 1921 (siehe die blutige Niederschlagung von Kronstadt und der Machnowbewegung, sowie die Einführung der Neuen Ökonomischen Politik) nur noch die Belohnungs- und Bestrafungssysteme der selbsternannten Führer:innen von Klasse und Partei.

Genug der Theorie, schlagen wir das Schulbuch zu und wenden uns eurer zukünftigen Praxis zu: Ihr traut euch, uniformiert mit ‚Die-Linke‘-Weste, sowie mit Luftballons und Gummibärchen bewaffnet, in den Kampf und quatscht das Objekt eurer Begierde an: Einen weißen, mittelalten Industriearbeiter. Dieser, sollte er nicht kopfschüttelnd ausweichen, wird euch – nicht ohne Gummibärchen und Luftballons für seine Kinder einzusacken – von eurem unbeholfenen Anquatschversuch mit folgendem Hinweis erlösen: Er hat an der Linkspartei aus demselben Grund kein Interesse mehr, der euren Eintritt auslöste: Der Austritt Sahra Wagenknechts. Und die wird er jetzt auch wählen, weil sie gerade tatsächlich die einzige ist, die systemimmanent seine Interessen vertritt und das sogar mit sozialistischer Transformationsperspektive. Emanzipatorisch ist daran zwar auch nichts, aber belangloser als die Linkspartei wird Wagenknechts Projekt wohl kaum werden können und wenn es gut läuft, könnte es immerhin den Faschos von der AfD schaden. Allerdings geht es euch in erster Linie nicht um Wahlkampf, sondern um Basisarbeit. Aber wozu braucht es dafür eine Partei? Der Arbeiter weiß, warum er sich weder in Partei noch Gewerkschaft organisiert, es gibt einfach schönere Hobbys. Ihr wahrscheinlich auch, aber ihr opfert euch auf, eine:r muss es ja machen.

Dabei ist die Lösung so einfach: Wenn ihr Basisarbeit machen wollt, dann könnt ihr ohne Umwege direkt damit in eurem sozialen Umfeld, der Basis eures Lebens beginnen. In eurem sozialen Umfeld, euren Jobs und euren Vereinen. Wenn euch das zu anstrengend ist, oder gar unmöglich erscheint, dann lasst es bleiben, auch ok. Nahbeziehungen sind die Basis für Veränderung, von sich selbst und den anderen. Wenn ihr anfangt an eurer Basis tätig zu sein, werdet ihr merken, wie viel eure politische Tätigkeit mit euch selbst zu tun hat und wie viel mit den anderen. Ihr werdet erfahren, dass Freund:innen sich besser zuhören können und in ihrer sozialen Bezugnahme mehr Veränderung möglich ist, als zwischen einander fremden, wo zunächst einmal Kenntnis voneinander und Verständnis füreinander hergestellt werden muss. Ein langwieriger und unwägbarer Prozess. In einer Partei werdet ihr eher das Gegenteil erleben, ein Gegeneinander mit Konkurrenz und Abwertung, welches dem kapitalistischen Alltag sehr ähnelt, weil es ihm eben auch entspricht, da Parteien ein Ausdruck kapitalistischer Vergesellschaftung und dessen strukturellem Hass sind.

So eine soziale Revolution ist somit anders als eine politische Revolution auch gar nicht mit einer Partei zu machen, sondern nur gegen Parteien und damit auch gegen die Linkspartei. Warum? Weil es die politische Form der kapitalistischen Vergesellschaftung mit dieser gemeinsam zu überwinden gilt. Wir können nicht mit der bürgerlichen Form der Politik die bürgerliche Form von Politik überwinden. Deshalb ertragen wirkliche Rätedemokratien auch keine Parteien. Parteien in einer Rätedemokratie führen zu einer Diktatur einiger weniger Männer und ihrer Partei, oder wieder in den Parlamentarismus. Das ist nach Russland 1917 und Deutschland 1918 auch historisch belegt. In Russland herrschte unter dem Deckmantel vermeintlicher Räte die Partei der Bolschewiki, bis es der Räte nicht mehr bedurfte. In Deutschland wurden die Räte im Auftrag der SPD gewaltsam niedergeschlagen, um eine parlamentarische Demokratie zu schaffen mit dem Ziel, die Gesellschaft als Ganzes, insbesondere die Unternehmen, eben nicht zu demokratisieren.

Eine Partei ist somit kein neutrales Instrument, mit dem antiautoritäre, emanzipatorische Basisarbeit möglich wäre. Was soll Parteibasisarbeit überhaupt anderes sein, als Aufbauarbeit bzw. Erhalt der Partei und ihrer Strukturen und damit auch ihrer Mandate und ihres Apparats. Die Funktions- und Mandatsträger:innen von Parteien entspringen dem parteiinternen Konkurrenzkampf. Somit sind es oft die autoritärsten, opportunistischsten und zwischenmenschlich ekelhaftesten Charaktere, die hier Karriere machen und für ihr mieses Verhalten auch noch mit Ansehen, Macht und Gehalt belohnt und entlohnt werden. In der Rosa-Luxemburg-Stiftung, linken NGOs und Gewerkschaften läuft es nicht anders. Aber nicht nur der Charakter wird korrumpiert, sondern auch der Inhalt. Aktuellstes und traurigstes Beispiel in der Linkspartei ist Janine Wissler. Ein trotzkistischer, also leninistischer, Topkader mit jahrzehntelanger Schulung gibt – einmal oben angekommen – nur noch weichgespülte Polit-Floskeln von sich und lässt jede Chance in der Öffentlichkeit mal radikale Systemkritik mit Transformationsperspektive zu formulieren links liegen. Was soll sie allerdings auch anderes in der Öffentlichkeit von sich geben, will und soll sie ihren Parteiapparat und seine Beschlüsse repräsentieren. Die Linkspartei ist ein Sammelbecken von linkem Maulheldentum und plumpem Reformismus, der sich hoffentlich bald auflöst, um den vielen Mitgliedern wieder Zeit zu sinnvoller Basisarbeit frei zu machen. Strategisch und inhaltlich ist die Linkspartei inzwischen so bescheiden, dass es selbst eine schon lange im sozialdemokratischen Reformismus angekommene Wagenknecht dort nicht mehr aushält. Hatte die Linkspartei mal was mitzuentscheiden, konnte man über jeden neuen Fahrradweg froh sein, der nach jahrelangem Mitregieren rumkam. Für solche Funktionäre und Inhalte macht ihr am Ende Parteierhalt und -aufbau und verklärt euch das auch noch als Basisarbeit.

Aber es geht euch ja auch um euch selber, euren finanziellen Tropf, also um RLS und staatsfinanzierte linke NGOs, auf deren Gehaltslisten ihr steht. Um nicht allzu lange eurem Privileg der politischen Lohnarbeit hinterher zu trauern, könnte es helfen sich die vielen enttäuschten Gesichter vorzustellen, die dank eures Erfolgs bei Stipendien und Stellen leer ausgegangen sind. Und falls ihr dem Irrtum aufsitzt, dass mit dem Ende von Partei und Stiftung linker Inhalt verloren geht, seid beruhigt: außer eurem Kontostand wird sich nichts groß verändern, denn die allermeisten linken Inhalte und auch die allermeiste linke Praxis bleibt erhalten, denn sie war schon immer unbezahlt.

Wohl oder übel werdet ihr euch einen dieser ganz normalen Jobs suchen müssen. Dort werdet ihr zum Ausgleich aber endlich die Menschen kennen lernen, nach denen ihr euch so sehr gesehnt habt. So sehr, dass ihr sie sogar über den Umweg der Linkspartei zu erreichen suchtet. Seid euch gewiss, die Klasse wird euch als neue:n Mitklässler:in in der Schule des Lebens, frei von Zuwendungen durch Partei und Staat, herzlich willkommen heißen. Ihr könnt stolz auf euch sein, ihr habt es geschafft, auf geht es mit richtiger Basisarbeit: Endlich könnt ihr euch, diesmal sogar entlang eurer eigenen Interessen, mit euren Kolleginnen zusammen organisieren – gegen Kapital und Staat und deshalb auch gegen Gewerkschaft und Partei. Eure Basisarbeit ist dann auch kein Hobby mehr, sondern euer Leben und dann werdet ihr erfahren, was es bedeutet, nichts als seine Ketten zu verlieren und eine Welt zu gewinnen zu haben. Viel Erfolg und nicht den Spaß vergessen!

 

Klaas Enver Rath ist seit fast 20 Jahren politisch organisiert und hat von leninistischer Sekte, über Partei, Gewerkschaft, und autonomen, anarchistischen Bezugsgruppen, sowie Stadtteil- und verschiedenster Bündnisarbeit viel erlebt. Er war und ist Bauarbeiter, politischer Bildner, Radiomoderator und Lehrer.

Titelbild: Info Berliner Undogmatischer Gruppen 58, 2. JHG. 20.5.75

Klaas Enver Rath

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Kommentare

  • An sich eine gute Spitze, ich musste viel Grinsen. Allerdings frage ich mich, was den Autor und die Redaktion geritten hat, hier nicht zwischen dem "Sozialunternehmen" Zentralgewerkschaft, in dem der Klassenkompromiss verlohnarbeitet wird und radikalen, antikapitalistischen Basisgewerkschaften zu unterscheiden? Macht mensch damit nicht genau die Propaganda des DGB, in dem mensch tut, als gäbe es keine gewerkschaftlichen Alternativen? Enttäuschend in einem GEWERKSCHAFTSmagazin.

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Klaas Enver Rath

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