Das Buch Gemeinsames Aufbrechen von Florian Kaufmann, welches sich mit kollektiven Buchläden in der BRD beschäftigt, ist in diesem Jahr im Verlag AG SPAK Bücher (Arbeitsgemeinschaft sozialpolitischer Arbeitskreis) erschienen. Darin betont Kaufmann, dass in vielen Projekten der kollektiven Selbstverwaltung „die Verbindung subjektiver Emanzipation mit dem Kampf um gesellschaftliche Veränderung“ im Vordergrund steht, die eine „Politisierung des Alltags“ anstrebt.[1]Kaufmann, Florian. Gemeinsames Aufbrechen. Kollektive Buchläden in der BRD. AG SPAK. Neu-Ulm. 2020. S. 30 Die Analyse kollektiver Buchläden beginnt daher mit einer Recherche innerhalb der Alternativbewegung, in welcher diese vorrangig verortet sind.
Dabei kommt er unter anderem nicht an den Transformationstheorien Oppenheimers, der Neuen Institutionenökonomie und dem Transaktionskostenansatz vorbei, bei welchem sich jedoch die Frage stellt, was mit diesen Transaktionskosten eigentlich genau gemeint ist. Zwar werden sie in diesem theoretischen Konstrukt als hinderlich beschrieben, was aber damit genau gemeint ist, bleibt offen. Trotzdem trägt die Analyse Kaufmanns durch die vielen Interview-Beispiele und viele Querverweise auf andere Studien zum Thema ein enormes Potential in sich. Denn um den Mechanismen von Macht, die in Gruppendynamiken entstehen können, entgegenzuwirken, müssen bisherige Erfahrungen einer genauen Prüfung unterzogen werden.
Automatismus des Scheiterns?
Das Überleben kollektiver Betriebe ist aber von vielen Faktoren abhängig und innerhalb der kapitalistischen Umgebung stets unsicher. Kollektivbetriebe sind jedoch nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt. Auch wenn viele Projekte auf dem Weg zum funktionierenden Kollektiv scheitern oder sich in private Unternehmen verwandeln, schaffen es doch einige der Projekte, sich in dieser feindlichen Umgebung zu behaupten. Dabei werden Fehler gemacht und verschiedene Anpassungsstrategien ausprobiert, aber diese werden als selbstverständlich innerhalb des Prozesses gesehen und müssen immer wieder neu verhandelt werden. Das zeigt z.B. der Verein Kunst des Scheiterns e.V. [2]Kunst des Scheiterns. Mit der Arbeit des Hamberger Vereins soll das Scheitern die Basis für neue Projekte sein. So werden Portraits Kollektiver Bestrebungen gesammelt, die helfen sollen, andere Gruppen und Initiativen zu stärken. Auch Kaufmanns Versuch einer empirischen Überprüfung der Bedingungen und Gründe des Überlebens von Kollektivbetrieben am Beispiel von kollektiven Buchläden in der BRD, knüpft an diese Sichtweise an. Zumindest ist er bemüht zu verdeutlichen, dass es ganz und gar keinen Automatismus des Scheiterns gibt, zumindest nicht im Vergleich mit anderen Unternehmensformen.
Der schmale Grad zwischen Bestehen und Privatisierung
Es wird anhand von drei Fallstudien der Frage nachgegangen, „wie und mit welchen Mitteln und Strategien Produktivgenossenschaften in einem kapitalistischen Umfeld überleben“.[3]Kaufmann, Florian. Gemeinsames Aufbrechen. Kollektive Buchläden in der BRD. AG SPAK. Neu-Ulm. 2020. S.45 So wird die Frage nach der Stabilität aufgeworfen und die nach dem Verhältnis zwischen Organisation und Umwelt verfolgt. In die Untersuchung wurden 76 Sortimentbuchhandlungen einbezogen, die zwischen 1968 und 1989 in Westdeutschland, zumindest für eine gewisse Zeit, „nach produktiv-genossenschaftlichen Prinzipien als selbstverwaltete oder kollektive Betriebe“ betrieben wurden.[4]Ebd. S.75 Wie wichtig dabei die Verbindungen zur Alternativbewegung und ihr politisches Umfeld sind, aus welchem heraus sich vor allem Linke Buchläden entwickeln und für welches diese Läden ein Sortiment an Büchern anbieten, zeigt sich innerhalb des Vergleichs zwischen bestehenden, nicht mehr bestehenden und inzwischen privatisierten Buchläden und deren Überlebenspotentialen.
Die Frage, wie kollektive Projekte überleben und wie die Faktoren aussehen, die dieses Überleben begünstigen oder sich weniger gut auf dieses auswirken, steht im Mittelpunkt der Betrachtung. So geht aus den Befragungen hervor, dass Privatisierungen, für den untersuchten Zeitraum, eher zu den Handlungsstrategien kleinerer Kollektive gehörten, die damit auf zumeist ökonomische Probleme reagierten. Dagegen zeige sich, dass eine Kollektivgröße von fünf bis sieben Kollektivmitgliedern, sowie eine enge Bindung an das politische Umfeld positive Faktoren waren, die Kollektive eher zusammen hielten.[5]Ebd. S.94 Die Verknüpfung von empirischer Forschung und einer Marktanalyse des Buchhandels führt über die gewählten Fallstudien zu einem besseren Verständnis der Problemlagen von Buchhandlungen in kollektiver Selbstverwaltung und zu Strategien für die Überwindung von Problemen, bzw. zu Handlungsstrategien, mit denen auf den Prozess der Transformation reagiert werden kann.
Sich Büchern bemächtigen, weil sie als Kampfmittel und Herrschaftsinstrument angesehen werden, ist die Strategie der kollektiven Buchläden, die einen politischen Anspruch zur Veränderung der Gesellschaft haben und diese durch eine sinnerfüllte Tätigkeit mittragen wollen, so Kaufmann. Dass aus der Idee allein aber noch keine gelungene Unternehmung wird, die eine wirkliche Alternative zu kapitalistischen Wirtschaftsweisen bietet, kann viele Ursachen haben. Einige sind im Buch dargestellt. Die Gründe der verschiedenen Entwicklungen werden von ihm als Resultat des Bestehens, der Transformation und der Schließung begriffen, welches stark von der Verzahnung mit der Bewegungen abhängt.
Umweltfaktoren und die Beziehung zur Bewegung
Diese Entwicklungen unterliegen sowohl internen als auch externen Bedingungen, die sich wiederum gegenseitig beeinflussen. Daher ist viel Zeit innerhalb der Anfangsphase wichtig, um diesen Bedingungen von einer gut fundierten Basis aus entgegenzustehen. Wichtig sind dabei die Überlegungen der Gründungsgruppe über Themen, die auch im Buch thematisch Platz finden. Vor allem die Gründungsfinanzierung und die Rechtsform, die entsprechende Kapitalstrukturen mit sich bringen, sollten gut überprüft und ausgewählt sein.
Häufig sind vor allem interne Strukturen die Quelle für Probleme innerhalb der Gruppendynamik. Kaufmann nennt hier beispielsweise die Arbeitsteilung und die damit verbundene Spezialisierung als einen wichtigen Faktor, der immer wieder zu Problemen führt.[6]zu Arbeitsteilung: S.168ff., S.174 Auch die Arbeitsmoral wird als ein wichtiger Faktor für Konfliktpotenzial, gerade in der Anfangsphase kollektiver Bestrebungen, ausgemacht.[7]zu Konflikten in der Anfangsphase: S.176 Arbeiteten alle nach ihren Bedürfnissen mit, wären Unterschiede innerhalb der Moral selbstverständlich und müssten ausgehandelt werden. Diese mit in die Organisation einzubeziehen, wird wohl langfristig nur mit einer Sensibilisierung der Kommunikationsstrategien von Gruppen funktionieren können, wie sie beispielsweise innerhalb des Konzeptes der Community Accountability (Verantwortungsübernahme in der Gruppe) umgesetzt werden.
Andere Ursachen findet Kaufmann in Faktoren wie dem Standort, dem Sortiment oder den bestehenden Strukturen und Beziehungen der alternativen Bewegung. Interessant dargestellt ist das für Buchläden anhand der Frage nach dem Sortiment und dessen Entwicklung. Sind in der Anfangsphase meist politische Themenschwerpunkte wichtig, verändert sich das Sortiment je nach Standort und Kundschaft, zum Beispiel als Reaktion auf den Rückgang des Umsatzes. Über die Zeit wird aus einem auf die Bewegung fokussierten Sortiment eines, das auf ein breiteres Publikum ausgelegt ist. Dies allerdings wirkt sich auf die Zu- bzw. Abwendung des politischen Umfelds aus. Wird das Angebot zu allgemein, wendet sich die politische Bewegung schneller ab. Andererseits wirkt sich auch die Bewegung auf das Sortiment der Buchläden aus, wie Kaufmann beschreibt. So tendierten einige Kollektive durch interne Dynamiken eher weg von politischen Bewegungen.
Auch die Reaktion auf Wandelerscheinungen, wie am Beispiel der Etablierung des Internets und den daraus hervorgehenden neuen Wegen der Kundschaft sich mit Literatur zu versorgen, ist eine ursächliche Veränderung, auf die kollektive Buchläden reagieren mussten. So haben Kollektive auch heute mit unterschiedlichen Problemen und Einflüssen zu tun, auf die sie reagieren müssen. Dabei müssen sie einerseits darauf achten, dass die Befriedigung der Bedürfnisse der Kollektivmitglieder und die Prinzipien der Basisdemokratie nicht unter der Reaktion auf diese Einflüsse leiden und andererseits die Unternehmung auch innerhalb der kapitalistischen Umgebung überlebensfähig bleibt. Einfache und kurzfristige Lösungen für solche Probleme, wie die Kürzung von Gehältern der Kollektivmitglieder, führten langfristig nicht zu einer Stabilisierung der Gruppe, ebenso wenig die durch Arbeitsteilung etablierten informellen Hierarchien.
Kollektivbetriebe gegen asoziale Wirtschaftsweisen
Innerhalb der Gewerkschaftsbewegung in Deutschland sind Kollektivbetriebe immer noch zu wenig vertreten. Zwar organisieren sich innerhalb der gewerkschaftlichen Föderation UnionCoop schon einige Betriebe. Dennoch sind diese immer noch zu wenig mit der Basis vernetzt. Andererseits scheint es weiterhin keine Selbstverständlichkeit zu sein, bei der eigenen gewerkschaftlichen Arbeit auf alternative und selbstverwaltete Strukturen zurückzugreifen, um so die kollektive Infrastruktur zu stärken.
Wie Werner Rügemer es in seiner Eröffnungsrede zur Konferenz „Workers‘ Buy-out – Arbeiter*innenkontrolle statt Betriebe schließen“ zu den Strategien der Belegschaftsübernahme formuliert, geht es darum, Verantwortung zu übernehmen und darum die stetige Forderung der Enteignung asozialer Unternehmer*innen und neuer differenzierter und kollektiver Wirtschaftsformen voranzubringen.[8]Arbeitsunrecht Dem wird an vielen Stellen schon Rechnung getragen. So wurde 2011 aus der AG Kollektivbetriebe der FAU Hamburg heraus ein Positionspapier „Kollektivbetriebe“ entwickelt, was auf dem Weg zum Kollektiv eine Orientierungshilfe sein sollte. Auch Analysen wie die von Kaufmann können solche Orientierungshilfen bieten.
Es ist also eine Betrachtung wert, sich anzuschauen, wie sich Florian Kaufmann an das Thema der Umwelt- und Akteursebenen von Kollektivbetrieben annähert. Wenn Einzelfallanalysen euch spannend erscheinen, dann ist dieses Buch ein Einblick in eines von vielen Forschungsdesigns. Wer sich aber weniger für Forschungsdesigns und Methoden interessiert, für die*den könnte es über weite Zeilen mühsam werden. Dennoch braucht es unbedingt mehr dieser ambitionierten Versuche der Analyse von Kollektivbetrieben. Denn Analysen zu Überlebensstrategien kollektiver Anstrengungen sind nützliche Instrumente, um Probleme in die kollektive Praxis miteinzubeziehen und aus den Erfahrungen anderer Kollektive zu lernen. Und das gerade weil Kollektivbetriebe eine wichtige Rolle in der anarcho-syndikalistischen Bewegung spielen. Sie ermöglichen das Arbeiten ohne Chef*in und damit ohne vorgegebene Hierarchien und dienen als Gegenentwurf zur kapitalistischen Produktions- und Verwertungslogik. Dabei tragen sie den Gedanken der Gestaltung von Betrieben aus der Arbeiter*innenschaft in sich und folgen dem Prinzip der Selbstverwaltung auf basisdemokratischer Grundlage. Die Ziele solcher Unternehmungen orientieren sich üblicherweise weniger an Wachstum, sondern an der Befriedigung der Bedürfnisse der Belegschaft. Dies birgt allerlei Problempotential in sich, welches Kaufmann im Buch analytisch zu fassen versucht. Denn es ist tatsächlich an der Zeit gemeinsam aufzubrechen!
Das in diesem Jahr erschienene Buch „Gemeinsames Aufbrechen. Kollektive Buchläden in der BRD“ entstand als Resultat der Dissertation von Florian Kaufmann mit Unterstützung der Hans Böckler Stiftung und wurde im Verlag AG SPAK Bücher von der Arbeitsgemeinschaft sozialpolitischer Arbeitskreis veröffentlicht. Zum Buch geht es hier.
Beitragsbild: H. Zimmermann, AG Spak Bücher
Vielen Dank für den schönen Artikel!
Kleine Korrektur: „Kunst des Scheiterns“ ist kein Berliner Verein, sondern kommt aus Hamburg.
Danke H.Der Fehler wurde berichtigt