Betrieb & Gesellschaft

Lohnraub am Ostseestrand

Das Syndikat Rostock unterstützt ukrainische Arbeiterinnen gegen den polnischen Arbeitsvermittler Eurokontrakt

Das Syndikat Rostock hat Anfang des Jahres die Vertretung für zwei Ukrainerinnen übernommen. Wie kam der Kontakt zustande?

Über das internationale Sekretariat der FAU. Nataliia hatte sich in der Ukraine (ihrer Heimat) und in Polen (Sitz der privaten Arbeitsvermittlung Eurokontrakt) Unterstützung bei solidarischen Kolleg:innen geholt. Ihr ist empfohlen worden, sich an die polnische Gewerkschaft IP (Inicjatywa Pracownicza) zu wenden. Die IP ist wie wir in der Internationalen Konföderation (ICL) organisiert und so kamen wir (Allgemeines Syndikat Rostock) über die offiziellen Kommunikationswege ins Spiel, weil Nataliias und Nadiias Arbeitsstellen in unserem Organisationsgebiet liegen.
Wie verlief der Konflikt? Konnten die ausstehenden Löhne schließlich eingetrieben werden?

Wir haben die ausstehenden Löhne mehrmals schriftlich und telefonisch mit Nachdruck eingefordert. Nadiia hat schließlich ihr Geld bekommen. Damit auch Nataliia ihr Geld bekommt, werden wir über eine Rechtsanwältin den Lohn einklagen und weiter Öffentlichkeit herstellen.
In Polen gibt es Öffentlichkeitsarbeit gegen Eurokontrakt, deren Geschäftsmodell laut einer Reportage im polnischen Sender Polsat TV auf Betrug aufgebaut ist. Um ihren Lohn betrogene Kolleg:innen demonstrieren vor dem Sitz Eurokontrakts und lokale Medien berichten teilweise darüber. Parallel dazu gibt es auch in Polen Klagen gegen Eurokontrakt.
In Deutschland scheint die Öffentlichkeit nichts von dem Geschäftsgebaren des privaten Arbeitsvermittlers zu wissen, viele Betriebe aus der Dienstleistung und der Gastronomie greifen auf die „Angebote“ Eurokontrakts zurück, um Fachkräfte für einen bestimmten Zeitraum vermittelt zu bekommen. Nach unserem Kenntnisstand scheint es Routine zu sein, dass Eurokontrakt anfangs die Kolleg:innen wie vereinbart bezahlt, gegen Ende des „Einsatzes“ aber einfach einen Teil des Lohnes einbehält. Aber auch die Arbeitgeber:innen in Deutschland werden betrogen: Eurokontrakt erweckt den Anschein von Arbeitnehmer:innenüberlassung, leitet aber das vereinbarte Entgelt nicht vertragsgemäß an die Kolleg:innen weiter und weist jede Verantwortung von sich, die eine reguläre Leiharbeitsfirma kennzeichnen würde, z. B. Einholen der nötigen Arbeitserlaubnis, Garantie der gesetzlichen Arbeitszeiten und des Mindestlohnes, Abführen von Lohnsteuer und Sozialversicherungen.
Aus diesem Grund sind wir bei den Geschäftsführer:innen der hiesigen Einsatzbetriebe zunächst auf Unverständnis gestoßen. Alle betroffenen Betriebe haben sich an die Abmachungen mit Eurokontrakt gehalten und Eurokontrakt vertragsgemäß bezahlt. Dass sie jetzt selbst dafür in die Verantwortung genommen werden sollen, dass Eurokontrakt zum Beispiel Nataliia und Nadiia nicht wie vereinbart entlohnt, verstehen sie nicht. Für sie stellt sich die Situation so dar, als sollten sie jetzt doppelt Lohn zahlen, würden sie unseren Forderungen nachkommen.

Wen seht ihr in der Verantwortung? Die polnische Leiharbeitsfirma oder die deutschen Einsatzbetriebe?

Ganz klar die deutschen Betriebe. Die Arbeit hat hier in Mecklenburg und Vorpommern stattgefunden, die Kolleg:innen haben nach Anweisung der Geschäftsführer:innen bzw. ihrer Vertreter:innen gehandelt und zum wirtschaftlichen Erfolg der hiesigen Betriebe beigetragen.
Man darf auch nicht vergessen, dass Geschäftsführer:innen von Dienstleistungs- und Gastronomiebetrieben in Deutschland eine gesetzlich verankerte Verantwortung tragen, sich bei vermeintlichen Anbieter:innen von Arbeitnehmer:innenüberlassung davon zu überzeugen, dass diese alle rechtlichen Mindestanforderungen einhalten. Dies geschieht üblicherweise dadurch, dass man sich eine Unbedenklichkeitsbescheinigung der Leihfirma geben läßt (ausgestellt z. B. vom Finanzamt, der Rentenversicherung, Berufsgenossenschaft, der Handwerkskammer oder dem Gewerbeamt), außerdem ist in einigen Branchen die Überlassung von Arbeitnehmer:innen anzeigenpflichtig.
Somit haben die deutschen Arbeitgeber:innen ihre Sorgfaltspflicht vernachlässigt.

Als in der Ukraine der Krieg ausgebrochen ist, wie habt ihr reagiert?

Geschockt. Wir sind immer noch sehr traurig und fühlen uns ohnmächtig.
Noch bevor in den bundesdeutschen Medien vom Ukraine-Krieg die Rede war, schrieb Nataliia bereits über einen Messenger, mit dem wir Unterstützer:innen Kontakt zu ihr halten, dass „sie die ganze Ukraine bombardieren“. Ich konnte mir nichts darunter vorstellen und dachte, das müsse ja wohl irgendwie ein Fehler in der Übersetzung sein. Über den Messenger und mit russischsprachigen FAU-Mitgliedern als Sprachmittler:innen haben wir Kontakt gehalten und schließlich Nataliia mit ihren sechs Kindern aus Berlin abgeholt, wo sie nach ihrer Flucht angekommen war.
In welcher Situation befinden sich Nataliia und Nadiia nun?
Nataliia ist mit ihren Kindern in der Nähe von Rostock in Sicherheit. Wir unterstützen als Syndikat weiterhin bei allen Angelegenheiten, die nach ihrer Ankunft nun anstehen, wie die Unterkunft, die Registrierung, die Suche nach Kita- und Schulplätzen etc. Nadiia ist unterwegs, sie will auch die Ukraine Richtung Mecklenburg verlassen.
Werden die Lohnansprüche nun noch weiter verfolgt?

Bei uns entscheiden ja die Mitglieder und wir hoffen natürlich, daß Nataliia mit uns den ganzen Weg geht: Einmal auf der juristischen Ebene mithilfe einer Rostocker Anwältin, andererseits werden wir aber sicherlich auch öffentlichkeitswirksam aktiv werden müssen und zum Beispiel eine der betroffenen Arbeitsstätten aufsuchen.

Gibt es eine Möglichkeit euch zu unterstützen?

Wir haben bezüglich der Lohnforderung und Nataliias Flucht bereits sehr viel organisatorische Unterstützung aus der Föderation und von befreundeten Kolleg:innen und Syndikaten aus der Region Nord der FAU erhalten, dazu noch Spendengelder aus dem FAU-Umfeld und den Rostocker Strukturen. Das war sehr beeindruckend. Der aktuelle Unterstützer:innenkreis arbeitet zuverlässig. Sobald wir wieder Spenden oder tatkräftige Unterstützung benötigen, werden wir dies konkret benennen und FAU-weit bekannt geben.

Vielen Dank!

 

Titelbild: Zoe Hill – Filckr (CC BY-SA 2.0)

Rainer Pauls

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Rainer Pauls

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