Betrieb & Gesellschaft

Mehr internationaler Klassenkampf statt Beschwören von Volk und Nation!

Eine Nachbetrachtung zu den Aktivitäten zum diesjährigen 1. Mai.

Nach den 1. Mai-Demonstrationen vollzieht sich jedes Jahr das gleiche Ritual. Die meisten Zeitungen interessiert nur, ob es in Berlin-Kreuzberg oder einer Stadt Randale gegeben hat, ob Steine geflogen sind und Barrikaden gebaut wurden. Eine 1.Mai-Demonstration ohne Verletzte auf beiden Seiten wird dann vom manchen Schreibtisch-Strategen als Niederlage gewertet. So heißt es in einen Taz-Kommentar nach dem 1. Mai, dass Stuttgart eindeutig gewonnen hätte, weil es dort zu Auseinandersetzungen mit Polizist:innen gekommen sei. Was für eine entfremdete Diskussion.

Da beklagen Journalist:innen einer linksliberalen Zeitung, die im innenpolitischen Teil die Politik der Regierungsgrünen in großen Teilen recht kritiklos nachvollzieht, dass auf Demonstrationen der außerparlamentarischen Linken die Randale fehlte. Dabei stützte sich die Taz auch in Bezug auf die 1. Mai-Demonstration in Stuttgart ausschließlich auf Polizeimeldungen, in denen von Angriffen der Demonstrant:innen auf die Polizei die Rede war. Die Erklärungen des Demobündnisses wurde von der Taz nicht erwähnt. Dafür kommen sie in der Wochenzeitung Kontext ausführlich zu Wort. Danach hat die Polizei die Demonstration gestoppt, weil die Transparente zu lang waren. Das Resultat waren 167 Festnahmen und über 90 verletzte Demonstrant:innen. Ob es die in der Pressemitteilung der Polizei erwähnten und von vielen Medien übernommenen Angriffe auf die Polizei gegeben hat, ist nach Angaben der Kontext-Redaktion, die sich die Mühe der Recherchearbeit geleistet hat, fraglich.

„Der Redaktion liegt umfangreiches Videomaterial aus mehreren Quellen vor, das das Geschehen am 1. Mai aus verschiedenen Perspektiven abbildet. Daraus ergeben sich erhebliche Zweifel, ob sich die als Tatsachen dargestellten Vorwürfe der Polizei gegen die Demonstrant:innen belegen lassen“, lautet das Fazit von Kontext-Redakteur Minh Schredle. Dort wird auch gezeigt, wie in der Presseerklärung der Polizei Plakatstiele zu gefährlichen Waffen umdefiniert werden. Die Anmelder:innen der Demonstration wollen den Polizeieinsatz gerichtlich prüfen lassen: „Dass Stoff-Banner länger als 1,5 Meter sind, darf niemals Anlass sein, eine Demonstration gewaltsam zu stoppen, mit Pfefferspray und Schlagstöcken anzugreifen, dutzende Menschen zu verletzen und die Versammlungsfreiheit außer Kraft zu setzen“, wird eine Mitorganisatorin von Kontext zitiert.

Derweil hat der Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir, der gerne der künftige Ministerpräsident von Baden-Württemberg werden will, der Polizei schon für ihre gute Arbeit gedankt. Ein Großteil der Medien hat über Polizeigewalt und massive Einschränkung des Demonstrationsrecht kein Wort berichtet.

Kein Schwarzer Block

Doch auch die FAU fand in der 1.Mai-Nachlese der Taz Erwähnung. „Die Hamburger An­ar­chis­t*in­nen rufen für den 1. Mai dazu auf, den schwarzen Kapuzenpullover im Schrank zu lassen. Und die schwarze Hassi und die schwarze Hose auch“, schreibt Katharina Schipkowski in der Taz. Doch auch im Demonstrationsaufruf der FAU-Lüneburg heißt es: „Wir wollen unsere Positionen klar machen und in die Öffentlichkeit tragen und deshalb keinen schwarzen Block o.ä. bilden.“ Es geht also gar nicht um das Tragen von schwarzer Kleidung sondern um die Formierung eines Schwarzen Blocks auf der Maidemonstration, was von der FAU Lüneburg aus guten Gründen abgelehnt wurde.

Die Diskussion über die Sinnhaftigkeit der Schwarzen Blöcke auf linken Demostationen ist schon viel älter. Bereits die Organisator:innen der Mayday-Demonstrationen, die von 2006 bis 2009 in mehreren Städten Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen sichtbar machen sollte, hatten die Formierung von schwarzen Blöcken mit einer ähnlichen Begründung wie die FAU Lüneburg abgelehnt. Auch sie befürchteten, dass die Schwarzen Blöcke die Menschen eher abschrecken, sich an den Demonstrationen zu beteiligen, die allen Grund haben, am 1. Mai Kraft und Inspiration für ihre alltäglichen Kämpfe zu sammeln.

Es sind Menschen mit geringen Einkommen mit und ohne Arbeit. Es sind migrantische Fahrradkuriere ebenso wie rumänische LKW-Fahrer:innen, die für Löhne kämpfen, die ihnen vorenthalten werden. Es sind die Menschen, die tagtäglich von Jobcentern schikaniert werden, was sich auch nicht dadurch ändert, dass Hartz IV jetzt in Bürgergeld umbenannt wurde. Es sind aber auch die über 100 Beschäftigten der Recyclingfirma metalfloat im sächsischen Espenhain, die seit mehr als 180 Tagen für einen Tarifvertrag streiken und jetzt von den Bossen ausgesperrt wurden. Der 1. Mai sollte der Tag sein, wo all diese Menschen gemeinsam kämpfen können und dabei Solidarität zeigen und bekommen. Dabei spielt es keine Rolle, wie alt diese Menschen sind und woher sie kommen.

Internationale Solidarität der Lohnabhängigen und armen Menschen auch im Nahen Osten

Der 1. Mai war seit seiner Entstehung ein internationaler Kampftag der Lohnabhängigen. Daher ist klar, dass Kämpfe in aller Welt dort eine besondere Rolle spielen. Trotzdem irritierte der Fokus auf den Nahostkonflikt auf vielen linken Demonstrationen am 1. Mai 2024. Dabei zielt meine Kritik nicht darauf, dass, sondern wie der Nahostkonflikt vielfach aufgegriffen wurde. Da hatte man schon den Eindruck, es wäre ein Block der Palästina-Solidarität.

Aber warum soll ausgerechnet am Kampftag der Arbeiter:innen die Einheit eines „Volkes“ beschworen werden? Warum wurde nicht stärker rausgestellt, dass es jüdische und palästinensische Arbeiter:innen gibt, die für ihre Rechte kämpfen? Es gibt durchaus auch kleine Gewerkschaften, in denen sie sich auch gemeinsam organisieren. Warum wurde nicht versucht, die Solidarität mit diesen so wichtigen Organisierungsversuchen in den Mittelpunkt zu stellen? Warum wird nicht auch erwähnt, wie die Rechte von Lohnabhängigen und armen Menschen sowohl von der Hamas im Gaza als auch von der Fatah in der Westbank mit Füßen getreten und die unabhängige Organisierung von Lohnabhängigen kriminalisiert wird? Diese aber sollte am 1. Mai im Mittelpunkt stehen und nicht die Beschwörung von imaginären „Völkern“ und „Nationen“, die genau diese Klassenspaltung übertünchen sollen, überall in der Welt, auch im Nahen Osten.

Peter Nowak

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Peter Nowak
Tags: 1. Mai

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