In Kooperation mit dem Verband der NaturFreunde wird die Geschichte der Bakuninhütte weitererzählt.
Mit dem Beschluss des Kreises der Wander- und Naturfreunde Meiningen als Eigentümerverein wurde die Bakuninhütte 2018 ein sogenanntes Anschlusshaus bei den NaturFreunden Deutschlands. Woran es dem Verband in den alten Bundesländern nicht mangelt, ist in Thüringen eine Seltenheit. Außer in Gießübel bei Masserberg im Thüringer Wald gibt es kein direktes Naturfreundehaus, sondern nur assoziierte Häuser und die Geschäftsstelle in Erfurt. Nun hat auch der Verein um die Bakuninhütte den strategischen Vorteil einer solchen Partnerschaft erkannt. Zwar kommen die Naturfreund*innen eher aus der sozialdemokratischen Tradition, dennoch passt das anarchosyndikalistische Denkmal gut zu dem tendenziell linksstehenden Verband für Umweltschutz und sanften Tourismus. Uwe Hiksch vom Bundesvorstand kam im Juni vor zwei Jahren extra zur Mitgliederversammlung an die Bakuninhütte, um für die Kooperation zu werben, welche dann auch besiegelt wurde. Im selben Jahr kam auf Betreiben einer SPD-Landtagsabgeordneten und Mitglied des Landesvorstandes der NaturFreunde die Landrätin zu einer Gesprächsrunde im Rahmen der Reihe „Politik im Grünen“ an die Hütte. Zu sehen ist dieser Besuch noch in der Mediathek des Südthüringer Regionalfernsehens.
Im Folgejahr trug diese Verbindung weitere Früchte. Der lokale Stammtisch organisierte eine Tour zu Orten der Novemberrevolution in Meiningen. Mit dieser revolutionären Kaffeefahrt nahm der Verein am Bildungsprojekt Thüringen 19_19 teil, welches vom Kultusministerium mitfinanziert wurde und zeigte unter anderem einer Gruppe Naturfreund*innen den Ort, wo der Arbeiter- und Soldatenrat den Herzog zur Abdankung zwang. Die Bakuninhütte ist im Rahmen von Thüringen 19_19 Lernort der Demokratie.
Seit 2015 gibt es eine Ausstellung zu Erich Mühsams Aufenthalt in Meiningen, [1]dazu Tagungsband: „Erich Mühsam in Meiningen. Ein historischer Überblick zum Anarchosyndikalismus in Thüringen: Die Bakuninhütte und ihr soziokultureller Hintergrund“ zunächst zu sehen in Meiningen selbst. 2018 war sie im Gothaer Tivoli, Gründungshaus der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschland (SAP), zu besichtigen. Der Wissensbestand wächst weiter dank einer aktiven Arbeitsgruppe zur Geschichtsforschung. Neben Studierenden im Fach Geschichte interessieren sich auch Archäolog*innen, welche die neuere Sozialgeschichte entsprechend aufarbeiten, für das historische Umfeld der Hütte.
Aus der Zusammenarbeit mit den Naturfreund*innen ergab sich nun die Möglichkeit für weitere Ausstellungen. Im September 2019 wurde das Naturfreundehaus „Charlotte Eisenblätter“ in der thüringischen Landeshauptstadt eröffnet. Es liegt in der Johannesstraße 127 in der Erfurter Innenstadt und ist benannt nach einer Widerstandskämpferin, Arbeitersportlerin und Naturfreundin. Charlotte Eisenblätter (1903–1944) wurde im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee von den Nazis hingerichtet.
Mit weiteren Kooperationspartner*innen wie den Falken, dem DGB sowie Arbeit und Leben wurde die Ausstellung mit Rahmenprogramm vorbereitet unter dem Titel „Sich fügen heißt lügen! – Erich Mühsam und die Bakuninhütte“. Am 4. Oktober fand unter Corona-Bedingungen die Eröffnung statt, zu der die Akkordeonspielerin Isabel Neuenfeldt mit eigener Melodie Lieder des Dichters vertonte. [2]Isabel Neuenfeldt singt von ihr vertontes Mühsam-Gedicht: Sich Fügen heißt lügen Mühsam selbst war in den 30ern an der Hütte [3]wie Erich Mühsam die Bakuninhütte besuchte und bekanntermaßen ebenso wie die Namensgeberin des aktuellen Ausstellungsortes Opfer der NS-Herrschaft. Der Veranstaltung wohnte Wolfgang Tiefensee, Wirtschaftsminister und ehemaliger Oberbürgermeister von Leipzig, bei. [4]Mitschnitt der Ausstellungseröffnung vom 4. Oktober 2020
Neben Kenntnissen zu den Familien aus der Erbauerzeit, Episoden aus 100 Jahren Bakuninhütte, fanden ebenso die großen Linien des Anarchismus mit Bakunin, Kropotkin und Rocker auf den 25 Bannern einen Platz. Die Ausstellung schlägt einen Bogen von lebensreformerischen Welten mit Wandervogel- und Vagabund*innenbewegung, Siedlungsbewegung, Reformpädagogik sowie Antimilitarismus hin zu den lokalen wirtschaftlichen Verhältnissen, unter denen die Bakuninhütte errichtet wurde.
Die Eisenbahnindustrie spielte eine wichtige Rolle in der Südthüringer Theaterstadt Meiningen. Nach dem Ersten Weltkrieg arbeiteten im Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) über zweitausend Beschäftigte – heute im Dampflokwerk noch etwa 120. Zwei zentrale Personen für die Entstehung der Bakuninhütte arbeiteten im RAW. Der Tischler Otto Walz war Vorsitzender der lokalen FAUD-Ortsgruppe und der Schlosser Franz Dressel hatte das Amt des Kassierers inne. Dressel errichtete ein Kettenkarussell an der Hütte und verwaltete die Bibliothek der FAUD Meiningen.
Bei einem reichsweiten Streik kam es zu einer Kaperfahrt mit einer Lok aus dem Betriebsbestand, erzählte Vereinsmitglied Mark Mence in der MDR-Kulturnacht. 1919 wollten Arbeiter aus Meiningen ihre Kollegen in Hessen zum Streik agitieren. Die Weichenstellung auf den Gleisen konnte so organisiert werden, dass die Aktivisten ankamen und Flugblätter verteilten. Gestoppt wurde die Aktion durch einen hessischen Freikorps. Mit von der Streikfraktion war Otto Walz, welcher bereits dem Arbeiter- und Soldatenrat angehörte. Mit der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF) als Untergrundnetz gegen den Faschismus,
[5]dazu Kapitel 5 in Die großen Streiks Episoden aus dem Klassenkampf an dem sich auch Meininger Arbeiter beteiligten, schließt sich der Kreis. Hierzu ist ein Vortrag mit dem Sozialwissenschaftler Dieter Nelles für 2021 angesetzt.
Unweit von Erfurt liegt die Kreisstadt Sömmerda, einst Zentrum der mittelthüringischen Industrie und Hochburg des Anarchosyndikalismus. Hier hatte die FAUD kurzzeitig 2.000 Mitglieder. Auf „Spurensuche einer vergessenen Gewerkschaftsbewegung“ begibt sich nächstes Jahr in einem Referat Annegret Schüle unter Corona-Bedingungen. Womöglich wird es wie von der Ausstellungseröffnung ein Livestream geben.
[6]Ausstellung mit Programm
Die Ausstellung wurde bis zum 27.03.2021 verlängert. Erfurt soll nur ein Zwischenziel sein. Weitere Ausstellungen in Naturfreundehäusern werden angestrebt, ebenfalls denkbar in anderen passenden Räumlichkeiten. Auch die Rundreise durch die Novemberrevolution in Meiningen ist 2021 [7]Beitrag im Südthüringer Regionalfernsehen wieder geplant in Zusammenarbeit mit dem städtischen Museum als Begleitprogramm zur Ausstellung „Zeitenwende“.
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