Der Kongress Organisieren kämpfen gewinnen (OKG) will die gewerkschaftliche Handlungsfähigkeit in den Betrieben stärken. Bei der Diskussion ging es auch um die Rolle der Gewerkschaften bei den anstehenden Sozialprotesten.
Die Gewerkschaft als soziale Bewegung und nicht als Dienstleistungsunternehmen mit angeschlossener Rechtsschutzversicherung aufzubauen, ist das Ziel der bundesweiten Initiative Organisieren – Kämpfen – Gewinnen (OKG), die am ersten Oktoberwochenende im Berliner IG-Metall-Haus ihren Kongress zur Stärkung der gewerkschaftlichen Basis in den Betrieben veranstaltet hat. Die Initiative orientiert sich an dem US-amerikanischen Gewerkschaftsnetzwerk Labor Notes. Einige Texte wurden ins Deutsche übersetzt und im Schmetterlingsverlag unter dem Titel „Geheimnisse einer erfolgreichen Organizerin“ veröffentlicht. Wichtiger Impulsgeber ist der sozialdemokratische Gewerkschaftsaktivist Kim Moody. In Deutschland wurde die Diskussion von einem sehr unterschiedlichen Spektrum von Linken aufgegriffen, wie sich an der Kongressorganisation zeigte. Darunter sind auch Kolleg*innen der FAU.
Tatsächlich kamen auf dem zweitägigen Kongress Beschäftigte aus ganz Deutschland zu Wort, alte und junge, aus den unterschiedlichsten Branchen. Sie berichteten von ihrem Arbeitsalltag ohne die modischen Floskeln, die heute verschleiern sollen, dass wir noch immer in einer Klassengesellschaft leben. Die Menschen, die da redeten, benutzten keine akademische Soziolog*innensprache, um ihren Arbeits- und Lebensalltag zu beschreiben. Da erzählt ein über fünfzigjähriger Beschäftigter von Amazon-Hersfeld, wie er erfolgreich verhinderte, dass ihm sein Vorgesetzter das obligatorische Feedback gibt. Das ist bei Amazon eine Methode der Disziplinierung und Kontrolle und daher bei vielen Beschäftigten verhasst. Eine Krankenpflegerin aus Nordrhein-Westfalen erzählte begeistert, wie sie im mehrwöchigen Streik an verschiedenen Kliniken ihre Kolleg*innen kennenlernte und gespürt hat, dass sie Macht haben, wenn man zusammenhält und sich nicht spalten lässt. Ein Beschäftigter des Berliner Lieferdienstes Lieferando berichtete über den langwierigen Kampf um den Betriebsrat, den er als Schutz vor Entlassungen bezeichnete. Es gab an den zwei Kongresstagen viele solcher Geschichten vom alltäglichen Kampf am Arbeitsplatz, den vielen Demütigungen, aber auch den Erfolgen, die dann eintraten, wenn sich die Beschäftigten gegen die Zumutungen der Bosse wehrten und sich auch von Drohungen nicht einschüchtern ließen.
Neben den vielen kleinen aber wichtigen Kämpfen, ging es auf einer Podiumsdiskussion um die Rolle der Betriebsaktivist*innen im vielzitierten heißen Herbst der Sozialproteste. Dort stellte Ines Schwerdtner die Initiative Genug ist Genug vor, die Sozialproteste mit gewerkschaftlichen Kämpfen verbinden will. Mit konkreten sozialpolitischen Forderungen soll gegen die Inflation mobilisiert werden. Dabei soll es statt Demonstrationen Rallyes geben. Worin dann der Unterschied besteht, wird sich zeigen.
Um eine europäische Dimension der Sozialproteste ging es bei der Abschlussdiskussion des Kongresses, bei dem die Amazon-Beschäftigte Agniezka Ruda von der anarchosyndikalistischen polnischen Gewerkschaft IP und ein Mitglied des autonomen Hafenarbeiter-Kollektivs CALP aus Genua zu Wort kamen. Dort berichtete der CALP-Vertreter, dass seine Organisation in sämtlichen der 13 Betriebe im Hafen vertreten ist. Zudem ist CALP Teil der italienischen Basisgewerkschaft USB. In der Vergangenheit wurde die Gewerkschaft dadurch bekannt, dass sie Waffenlieferungen in verschiedene Kriegsgebiete der Welt, auch in die Ukraine, bestreikte. Für den 2. Dezember ist ein landesweiter Streik in Italien unter dem Motto „Nieder mit den Waffen – hoch mit den Löhnen“ in Vorbereitung. Unterstützung aus dem Ausland ist ausdrücklich erwünscht. Es wäre doch eine gute Gelegenheit, sich rund um den 2. Dezember mit den streikenden italienischen Kolleg*innen zu solidarisieren! Vorbild könnte die Kampagne M31 sein, mit der sich vor 10 Jahren Linke in Deutschland mit den damaligen Streik gegen die Krisenpolitik in Spanien, Italien und Griechenland solidarisierten.
Der OKG-Kongress wurde von vielen Teilnehmer*innen als Erfolg eingeschätzt. Doch Kritik an der Zersplitterung der gewerkschaftlichen Linken war zu hören, die sich an drei unterschiedlichen Kongressen im Oktober 2022 zeigt. Nach dem OKG-Kongress lädt die „Vernetzung für kämpferische Gewerkschaftspolitik“ am 8. und 9. Oktober zu einer Konferenz nach Frankfurt/Main. Ebenfalls am 8. Oktober organisiert die Zeitschrift für linke Betriebsarbeit Express in Frankfurt/Main ihre Feier zum 60ten Jubiläum. Es wäre zu wünschen, dass der Express künftig die Rolle als kollektiver Organisator übernimmt, damit die nun wahrlich nicht große gewerkschaftliche Linke künftig gemeinsam diskutiert und feiert.
Beitragsbild: http://www.organisieren-gewinnen.de/index.php?id=10
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