Betrieb & Gesellschaft

Niedriglohnsektor Gefängnis ist noch längst nicht beendet

„Gesetzliche Regelungen zur Vergütung von Gefangenenarbeit in Bayern und Nordrhein-Westfalen sind verfassungswidrig“ lautet die bürokratische Überschrift einer Pressemeldung des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juni.

Eine gute Nachricht für die über 40000 lohnarbeitenden Gefangenen, könnte man denken.
Und es ist auch ein Erfolg der Gefangenengewerkschaft/bundesweite Organisierung (GG/BO), die das Urteil aus Karlsruhe mit dem nüchternen Satz kommentiere: „Gefangenengewerkschaft erwartet Anstieg der Löhne in Haft“.

Die GG/BO  hatte sich 2013 in Berlin gegründet und dann schnell im ganzen Bundesgebiet ausgeweitet, weil sie drei zentrale Forderungen hatte. Neben dem Kampf für Gewerkschaftsfreiheit im Gefängnis gehörte dazu Mindestlöhne auch in den Gefängnissen und alle lohnarbeitenden Gefangenen sollten auch renten- und krankenversichert sein. Dass sich die GG/BO so schnell ausbreitete, lag auch daran, dass die über 40000 Gefangenen in Deutschland diese beiden sozialpolitischen Forderungen mit großer Mehrheit unterstützen. Sie wollten es einfach nicht mehr hinnehmen, für ein Entgelt schuften zu müssen, dass sich zwischen 1,37 Euro und 2,30 Euro in der Stunde erstreckt. Zudem ihnen klar war, dass sie nach oft langjähriger Gefängnisarbeit in die Altersarmut entlassen werden. Die GG/BO räumte mit dem Vorurteil der tütenklebenden Gefangenen auf, die angeblich im Gefängnis keinen Mehrwert schafften. In der Realität gibt es viele Firmen, die vom Niedriglohnsektor Gefängnis profitieren.

Die Profiteure des Niedriglohnsektor Gefängnis

„Deutsche Gefängnisse lassen ihre Insassen für private Firmen arbeiten – zu einem Bruchteil des Mindestlohns. Die Justiz will geheim halten, wer davon profitiert“, heißt es in einer Recherche von Correctiv. Das es in den letzten Jahren viele kritische Berichte über den Niedriglohnsektor Gefängnis auch in bürgerlichen Medien gab, ist ein Erfolg der GG/BO. Sie hat mit ihrer Gründung deutlich gemacht, dass das Gefängnis auch eine Zone des Arbeits- und Klassenkampfs wird. Dass wollten die repressiven Staatsapparate zunächst verhindern.

Gleich nachdem sich die GG/BO gegründet hatte, gab es bei den beiden Initiatoren in der JVA-Tegel Zellenrazzien. Auch die Listen mit den ersten GG/BO-Mitgliedern wurden zunächst beschlagnahmt. Das große und durchaus auch positive Medienecho auf die GG/BO-Gründung führte dazu, dass die Staatsapparate sich mit der Repression zurückhielten. Gerade in den ersten Monaten war auch die Aktivität der Solidaritätsgruppen mit der GG/BO sehr wichtig. Sie bestand aus Unterstützer*innen außerhalb der Gefängnisse, die dafür sorgten, dass die Kernforderungen der Gefängnisgewerkschaft schnell in der Öffentlichkeit bekannt wurden. Dazu gehörten auch die vielfältigen Kontakte zu unterschiedlichen Gewerkschaften.Eine wichtige Unterstützerin der Gefangenengewerkschaft war von Anfang an die Fotografin Lara Melin, die früh verstorben ist. Dazu gehörte von Anfang auch die FAU. Auch einige Untergruppen der DGB-Gewerkschaft Verdi erklärten sich mit der GG/BO solidarisch. Das stieß aber auf den Widerstand der bei Verdi organisierten Gefängnisbeschäftigten, die es ablehnten, gemeinsam mit Gefängnisinsass*innen in der gleichen Gewerkschaft organisiert zu sein.

Sie wurde wie ein Briefmarkenverein behandelt. Die Gefangenen konnten sich dort betätigen, aber als Gewerkschaft wurde sie nicht anerkannt. Denn der Gesetzgeber steht immer noch auf dem Standpunkt, es gäbe im Gefängnis keine Lohnverhältnisse. Daher gehörte zu den zentralen Forderungen der GG/BO auch die Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern.

Probleme der Gewerkschaftsarbeit hinter Gittern

Aber die GG/BO-Arbeit stieß auch schnell an Grenzen. Hinter Gefängnismauern ist eine längerfristige politische Organisierung nur in den seltensten Fällen möglich. Aktive GG/BO-Mitglieder wurden aus den Gefängnissen entlassen und hatten keine Nachfolger. Das ist auch ein Grund dafür, dass es bisher zu den von der GG/BO favorisierten Streik hinter Gittern der lohnarbeitenden Gefangenen bisher nicht gekommen ist. Das wäre eine angemessene Form des Kampfes gegen die Überausbeutung in den Gefängnissen. Das führte dazu, dass dann einzelne Gefangene den juristischen Weg gingen und so das jetzige Urteil erreichten. Es ist schon ein Erfolg, wenn die wichtige Rolle, die die GG/BO dabei spielte, das Thema Niedriglohnsektor Gefängnis öffentlich bekannt zu machen, bei dem Urteil des Bundesgerichtshofs doch in vielen Medien erwähnt wird.

Nach dem Urteil ist GG/BO wichtiger denn je

Gerade nach dem Urteil wäre eine starke und handlungsfähige GG/BO wichtiger denn je. Denn es ist damit noch längst nicht ausgemacht, dass jetzt der Niedriglohnsektor Knast der Vergangenheit angehört. Das BVG stellte sich keineswegs auf die Seite der Gewerkschaften. Das zeigte sich schon daran, dass das Gericht nicht etwa anordnete, dass der aktuelle Zustand des Lohnentzugs sofort aufgehoben wird. Vielmehr wird den beiden beklagten Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg bis 30.Juni 2025 Zeit gegeben, die gesetzlichen Grundlagen zu ändern. So lange bleibt die bisherige Regelung in Kraft.

Daher können auch alle Träume vergessen werden, dass die Häftlinge jetzt große Lohnnachzahlungen zu erwarten haben. In der Urteilsbegründung ist dann auch statt von Ausbeutung und Überausbeutung davon die Rede, dass die Gefangenen das Gefühl haben sollen, dass ihre Arbeit wertgeschätzt wird, das sei gerade für ihre Resozialisierung, d.h. Wiedereingliederung in die kapitalistische Gesellschaft nötig. Wenn von Gefühlen statt von Ausbeutung die Rede ist, geht es immer gegen die Interessen der Lohnabhängigen, ob hinter Gittern oder in der kapitalistischen Freiheit.

Entlasten höhere Löhne im Knast die Staatskassen?

Die zweite Begründung, die das Gericht für die Verfassungswidrigkeit der bisherigen Regelungen anführt, wurden in den letzten Jahren auch in wirtschaftsliberalen Kreisen laut. Sie sehen in einer höheren Bezahlung der Gefangenen eine Entlastung der Staatskasse. Was sich im ersten Augenblick paradox anhört, hat aber eine realen Hintergrund, den die Richterin bei der Urteilsbegründung auch erwähnte. Viele Gefangene können wegen des Niedriglohnsektors weder mögliche Geldstrafen oder möglichen Schadenersatz bezahlen, noch für Gerichtskosten aufkommen, die oft vierstellige Höhen haben. Auch Unterhaltszahlungen sind mit den bisherigen Sätzen nicht möglich. Wenn nun Vergütungen angehoben werden, dann werden sofort zahlreiche Forderungen auf die Gefangenen zukommen. Womöglich wird dann ein noch größerer Teil ihres Lohnes für die Zellennutzung und für Strom, etc. einbehalten. So positiv es daher zu bewerten ist, dass nach der BVG-Entscheidung die Regelungen für die Gefangenenentlohnung wohl nicht nur in Bayern und Nordrhein-Westfalen neu geregelt werden muss, so unwahrscheinlich ist es, dass der Niedriglohnsektor Gefängnis damit der Vergangenheit angehört. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es starke Gefangenengewerkschaften, die mit Unterstützer*innen außerhalb der Knastmauern kooperieren. Das wäre auch eine wichtige Aufgabe für die FAU.

 

Titelbild

Peter Nowak

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Peter Nowak

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