Protestantismus und Kapitalismus

Der deutsche Soziologe Max Weber untersuchte in Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus (1904/05) den Zusammenhang von Kapitalismus und Religion. Der evangelische Träger Evangelisches Jugend- und Fürsorgewerk (EJF), der dieses Jahr seinen 125. Geburtstag feiert, ist ein gutes Beispiel hierfür. Aus der christlichen Rettungshausbewegung entstand dieser diakonisch-soziale Träger, der momentan 120 Einrichtungen in ganz Deutschland sowie in Polen und Tschechien betreibt und ca. 4.000 Mitarbeiter*innen beschäftigt. Umsorgt werden 40.000 Menschen in der Behinderten-, Jugend- und Altenpflege.

Als kirchlicher Träger unterliegt der EJF dem Kirchenrecht, was u.a. zur Folge hat, dass Nicht-Mitglieder einer der beiden Großkirchen nicht in die Mitarbeitervertretung gewählt werden können. Eine Kirchenmitgliedschaft ist keine Pflicht, aber der Kirchenaustritt kann seitens des Arbeitgebers mit einer Kündigung sanktioniert werden. Dies wird über den Artikel 140 des deutschen Grundgesetzes gedeckt. In diesem Paragraph werden die staatskirchenrechtlichen Bestimmungen jener Verfassung fortgeführt. Die Rechtmäßigkeit eines solchen Vorgehens wurde durch das Bundesarbeitsgericht 2013 bestätigt. Neben der generellen Problematik als kirchlicher Träger, die mit einer Reihe von Einschränkungen von Arbeitnehmer*innenrechten einhergeht (u.a. auch bezüglich des Streikrechts), gibt es eine Reihe von spezifischen „Problemen“.

Organisatorisch ist der Berlin-Brandenburger Verbund schlecht aufgestellt, so dass für längerfristig erkrankte Mitarbeiter*innen (bis zu einem Jahr!) keine Vertretung gesucht wird. Die entsprechenden Tätigkeiten werden den Kolleg*innen aufgebürdet. Statt notwendige Arbeitsmaterialien und Gerätschaften zu kaufen, die die Arbeit des Personals erleichtern bzw. ihre Gesundheit schützen, wird das Geld in repräsentative Veranstaltungen investiert. Es hat den Anschein, als ob das äußere Image mehr Wert ist als die Mitarbeiter*innenpflege. Arbeitsschutz scheint generell kleingeschrieben zu werden.

Auch in anderen Bereichen erweist sich das Unternehmen entgegen dem sozialen Anstrich alles andere als sozial oder arbeiternehmer*innenfreundlich. Es existieren eine Unzahl von Vordrucken und Formularen – nur keines für die Beantragung von Bildungsurlaub. Dieser ist mehr oder weniger ein Fremdwort. Das Arbeitsklima hängt vom jeweiligen Standort ab. Häufig ist es eher ein Gegeneinander als ein Miteinander, was auch an der fehlenden Führungsqualität der Vorgesetzten liegt. Streckenweise wird statt Vertrauen auf Bespitzelung gesetzt. Generell gibt es viele Hierarchien und starre, um nicht zu sagen verknöcherte, Strukturen. Zu schlechten Führungsqualitäten gehört auch, dass Arbeitsanweisungen unklar gestellt werden. Beschwerden und Verbesserungsvorschläge finden keine Beachtung. Ebenso neigen mehrere Vorgesetzte dazu, sich häufiger im Ton gegenüber den Mitarbeiter*innen zu vergreifen.

Dennoch fällt die Gegenwehr der Mitarbeiter*innen schwach aus, da der gewerkschaftliche Organisationsgrad sehr gering ist. Vielen reicht es, dass das Gehalt relativ gut ist und die Bezahlung pünktlich erfolgt. Bei anderen schwingt die Angst um den Arbeitsplatz mit. Zudem ist von der Mitarbeiter*innenvertretung nicht viel Unterstützung zu erwarten.

Auch wenn es nach den Skandalen im Jahr 2010 und 2015 um die Misshandlung eines Heimbewohners sowie suspektes Finanzgebahren um das EJF ruhig geworden ist, bleibt das EJF ein problematischer Arbeitgeber, auch wenn Tariflohn und Sonderleistungen gezahlt werden. Der EJF ist dabei sicherlich auch kein Einzelfall, sondern eher ein Beispiel für diese Art von Unternehmen.

Beitragsbild: Banksy_pixabay.com

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