Wenn der Rassismus so stark ist, dass ehrenamtliche Arbeit, anstatt freudig ausgebeutet, unerwünscht wird
Dieser Artikel ist eine persönliche Reflexion der Zustände in deutschen Behörden von einer Person, die sich zusammen mit einer anonymen, ehrenamtlichen Hilfsinitiative für die Rechter (aller!) geflohenen Menschen aus der Ukraine einsetzt.
Ich muss nicht erwähnen, welcher Tag es war, als der Krieg in der Ukraine ausbrach. Seitdem hat sich viel bei mir verändert, obwohl ich eine „Deutsche Kartoffel“ bin ohne größeren Bezug zur Ukraine. Noch bis Anfang des Jahres war mein Freund:innenkreis zwar politisch interessiert, aber nicht aktiv. Ich beobachte, dass sich, wie in meiner Stadt mindestens europaweit, plötzlich Menschen zusammengefunden haben, mit einem unfassbaren Drang zu helfen und unfassbar Schönes in einer Zeit geschaffen haben, die mit dem Wort grotesk nicht mehr beschrieben werden kann. Die Hilfsinitiative, die ich mit Freund:innen gegründet habe, setzt sich dafür ein, dass geflüchtete Menschen in Privathaushalte vermittelt werden, damit sie mit ihren unter Umständen erlittenen Traumata nicht in Zeltlager und Sammelunterkünfte gesteckt werden; und wir sorgen natürlich dafür, dass wir für diese geflüchteten Menschen so viel Sicherheit erreichen können wie nur möglich gegenüber ihren Gastgeber:innen – auch wenn wir uns in diesem Punkt natürlich selbst ständig verbessern und hinterfragen müssen. Doch trotz der Gefahren, die von extrem wenigen Gastgeber:innen privater Unterkünfte ausgehen können, denken wir, dass unsere Arbeit grundlegend ist, um immerhin ein paar Menschen eine würdige Unterkunft in unserer Region ermöglichen zu können.
In unserer Stadt haben wir mit wenigen Ehrenamtlichen und unseren Hosts es mittlerweile geschafft, für mehrere hunderte Menschen eine private Unterkunft zu ermöglichen. (Genauere Zahlen kann ich leider nicht nennen, um unsere Anonymität zu wahren.) Unsere Stadtverwaltung mit immenser personaler Aufstellung und finanziellen Mitteln hat es bisher geschafft, ein Hotel als einigermaßen würdige Unterkunft zu mieten. Weiterhin hat sie Menschen in eine Sporthalle gesteckt – und selbst das bedeutet noch Glück für die Geflüchteten. Alle weiteren wurden ins Zeltlager der Landeserstaufnahmestelle (LEA) verwiesen, wo sie sogar noch weniger Rechte darauf haben, sich selbst auszusuchen, in welcher Stadt sie bleiben wollen. Was meine Gedanken bezüglich dieser Aufnahmestelle und Corona sind … ich will es nicht in Worte fassen und lade alle Leser:innen ein, dies an dieser Stelle selbst zu tun.
Seit den letzten zwei Jahren sammele ich immer mehr Erfahrungen mit ehrenamtlicher Arbeit. Seit kurzem denke ich vermehrt über das Thema nach, in wie weit Stadt und Land von unserer Arbeit profitiert und sie wissentlich ausbeuten. Zu diesem Thema habe ich neulich einen interessanten Beitrag der Soziologin Maud Simonat finden können und möchte an dieser Stelle ihre Gedanken teilen:
Man muss verstehen, dass es zu dieser Form der Ausbeutung kommt, weil es diese Werte gibt. Das ist kompliziert, denn es bedeutet, dass man dem nicht entgehen kann. Aufrichtiges Engagement und Werte machen uns zu dem, was wir sind. Gleichzeitig kommt es aber dadurch zu gewissen Formen der Ausbeutung. […] Die Aneignung meiner Arbeit, widerspricht den Werten, die für mich ausschlaggebend waren. So kommt es zu einem Kampf zwischen den Werten, für die ich bereit bin unentgeldlich zu arbeiten und der Art, wie sich andere meine unentgeldliche Arbeit aneignen – ob der Staat oder Unternehmen. [1]Zitat von Maud Simonat aus dem Kurzfilm „Was, wenn wir alle unbezahlt arbeiten würden?“, aus der Reihe „Offene Ideen“, Erstausstrahlung 14.01.2022. Online unter: https://www.arte.tv/de/videos/103447-002-A/was-wenn-wir-alle-unbezahlt-arbeiten-wuerden.
Wie beschrieben: Natürlich liebe ich meine Arbeit und meine dahinter stehenden Werte trotzdem. Die Arbeit unserer Initiative muss getan werden. Wenn ich mitbekomme, dass meine ehrenamtliche Arbeit ausgebeutet wird und der Staat sich auf eigentlich nicht-karitative Vereine wie Küchen für alle verlässt, weil er selbst seine ärmsten Menschen nicht versorgen kann, werde ich wütend und zeige öffentlich meinen Stinkefinger.
Doch nun bin ich entsetzt, welch extremer Rassismus in deutschen Institutionen herrscht. Da ich 2015 noch nicht politisch aktiv war, habe ich keinen direkten Vergleich. Doch natürlich ist mir bewusst, dass wir trotz der sich nun einschleichenden Verschlechterungen noch immer extremes „Glück“ haben. Ich kann mir kaum vorstellen, welcher Akt es war, für die geflüchteten Menschen aus Syrien Sozialleistungen zu erhalten oder einen Aufenthaltstitel im Vergleich zu den nun gekommenen, angepriesenen, angeblich hübscheren und oft sogar blonden Ukrainer:innen.
Doch nach und nach spüre ich – nun, wo staatlichen Institutionen auffällt, dass Sozialleistungen ja doch angeblich teuer sind (die deutsche Kriegsaufrüstung ist es etwa nicht, oder was?) –, dass diese geflüchteten Menschen nun doch nicht mehr als ganz so willkommen wahrgenommen werden.
Bei unserem Bürgermeister waren sie es von Anfang an nicht. Wir mussten uns bereits mehrere passiv-aggressive Äußerungen, zum Teil auch öffentlich, von ihm in unsere Richtung anhören, zu denen ich mich ebenfalls nicht äußern kann, um unsere Anonymität zu wahren. Sein Statement zwischen den Zeilen ist klar: „Ich will keine angeblich teuren Ausländer:innen hier haben. Damit das niemand merkt, habe ich eine Ukraine-Fahne ans Rathaus gehangen.“ Danke dafür!
Mit unserer ehrenamtlichen Arbeit haben wir also nicht nur die Arbeit übernommen, die die Stadtverwaltung in einem funktionierenden System leisten sollte – unsere Arbeit ist so menschenliebend, dass sie von unserer nicht-funktionierenden Stadtverwaltung als unerwünscht empfunden wird. Begründung: Wir wollen als Stadt unseren Reichtum nicht teilen mit Menschen von außerhalb.
[2]Zur Erklärung für Menschen, die mit dem Thema nicht vertraut sind: Wenn es die Stadt schafft, geflüchtete in die LEA (Landeserstaufnahmestelle) „abzuschieben“, muss sich das Land um die Kosten der Geflüchteten kümmern. Wenn geflüchtete Menschen aus der Ukraine einen Wohnsitz in einer Stadt nachweisen können, ist diese Stadt verpflichtet, den Geflüchteten Soziale Leistungen auszuzahlen.
Ich will nur noch weinen. Aber ich tue es nicht und mache weiter.
Am März 2022 beschloss die EU erstmals ihre Massenzustromrichtlinie zu aktivieren, wodurch in Deutschland Paragraph 24 des Aufenthaltgesetzes (AufenthG) für geflüchtete Menschen aus der Ukraine in Kraft tritt. Doch schon hier gibt es Einschränkungen: Wer sich in der Ukraine aufhielt mit einem befristeten Aufenthaltstitel und „ursprünglich“ nicht aus einem Kriegsgebiet stammt, muss wieder „Nachhause“.
Absatz 1 von Paragraph 24 lautet wie folgt: „Einem Ausländer, dem auf Grund eines Beschlusses des Rates der Europäischen Union gemäß der Richtlinie 2001/55/EG vorübergehender Schutz gewährt wird und der seine Bereitschaft erklärt hat, im Bundesgebiet aufgenommen zu werden, wird für die nach den Artikeln 4 und 6 der Richtlinie bemessene Dauer des vorübergehenden Schutzes eine Aufenthaltserlaubnis erteilt.“ [3]https://www.gesetze-im-internet.de/aufenthg_2004/__24.html Gerade erleben wir in vielen deutschen Städten, wie dieser Absatz versucht wird zu brechen. Mein Bundesland war eines der letzten, das beschlossen hat, nach drei Monaten Bedenkzeit, dass sie geflohenen Menschen mit begrenztem ukrainischen Aufenthaltstitel aus einem Kriegsgebiet überhaupt Fiktionsbescheinigungen ausstellen und sie es wohl doch nicht schaffen, die EU-Massenzustromrichtlinie nicht komplett umzusetzen. Doch auch dieses Erteilen nur einer Fiktionsbescheinigung und nicht sofort einer Aufenthaltsgenehmigung stellt eine stark rassistisch-motivierte Diskriminierung dieser Personengruppe dar. Von meinen Hosts habe ich gehört, dass ihre Gäste mit ukrainischer Staatsangehörigkeit wesentlich schneller eine Aufenthaltsgenehmigung in Aussicht gestellt wird. Bei meinen doppelt geflohenen Schützlingen ist sich die Ausländerbehörde aufgrund ihrer erhaltenen Weisungen unsicher, ob sie jemals die Aufenthaltsgenehmigung für sie erteilen dürfen. Die Angst, die Enttäuschung und die depressiven Verstimmungen meiner neuen Freund:innen geht weiter.
Hier hört der Rassismus nicht auf. Für geflüchteten Menschen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit wurde auf der Kultusministerkonferenz erlassen, dass Schüler:innen, die dieses Jahr ihren Sekundarschulabschluss nicht absolvieren konnten, trotzdem in Deutschland studieren dürfen. Weiterhin müssen sie keine rund 10.000 Euro auf einem Sparkonto vorweisen können, um ihren Lebensunterhalt während des Studiums im Vornherein nachweisen zu können. Diese 10.000-Euro-Hürde gilt jedoch weiterhin für alle anderen Geflüchteten. Das bedeutet für diese Menschen mehrere Jahre Arbeit, Sparen und Am-Hungertuch-nagen, um irgendwann endlich das begehrte Studium absolvieren zu können, um dann endlich irgendwann eine gute Arbeit zu finden, um dann ihre in Kriegsgebieten lebenden Familien irgendwann finanziell unterstützen zu können.
Ich will den Satz mit dem Weinen-aber-trotzdem-weitermachen nicht schon wieder wiederholen müssen. Stattdessen werde ich lieber mit meiner Initiative eine Kundgebung gegen diese Missstände organisieren. Und mit dem Thema, wie hochgradig inkompetent die Weisungen an die städtischen Jobcenter erlassen werden, möchte ich nicht erst anfangen. Nur so viel dazu: Es hat mich in den letzten beiden Wochen so viele Arbeitsstunden gekostet, beim Ausfüllen von Jobcenter-Hauptanträgen zu helfen, die nicht geschafft worden sind zu übersetzen, dass ich kaum noch dazu komme zu schlafen. Ich habe es noch nie erlebt, dass ehrenamtliche Arbeit nicht nur so extrem ausgebeutet wurde, sie wird auch noch in einer hohen Form von Sinnlosigkeit durch die Inkompetenz deutscher Behörden geschaffen. In einem halben Jahr oder irgendwann, wenn meine Schützlinge eventuell ihre Aufenthaltsgenehmigung bekommen haben werden, werde ich mir vielleicht doch mal die Zeit zum Weinen nehmen.
Bildrechte bei der anonymen Hilfsinitiative, Lizenz CC0
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