Über den neusten Sammelband der Buchmacherei
Gorillas, Flaschenpost, Uber, Lieferando – das Geschäft mit der Bequemlichkeit dringt durch eine Vielzahl an Start-ups in immer mehr schon lange prekarisierte Berufe vor … und verbessert nichts. So auch bei den Lieferando-Vorläufern Deliveroo und Foodora. Von den Arbeitsbedingungen und -kämpfen erzählt die Analyse Riders unite! von Robin de Greef.
Der Essenslieferdienst Deliveroo wurde 2013 und Foodora 2014 gegründet. Beide Firmen versprachen eine schnelle Lieferung von qualitativ hochwertigen Gerichten von Restaurants, die keinen eigenen Lieferservice haben. Die Liefergebühr betrug dabei lediglich 2,50 Euro. In einem drei Jahre anhaltenden Konkurrenzkampf um die Monopolstellung in Deutschland warben beide Unternehmen mit jungen, umweltbewussten Kurier:innen, die lächelnd auf ihren sauberen Fahrrädern durch die Sonne fahren. Doch wie so oft bei einer zu geringen Liefergebühr sah die Realität anders aus.
Vor allem bei Deliveroo herrschten durch die Anstellungsform von Soloselbstständigen prekäre Arbeitsbedingungen vor. Deliveroo zahlte weder die Sozial- noch Unfallversicherung. In beiden Unternehmen mussten die Riders ihre eigenen Fahrräder und Smartphones zur Verfügung stellen und die Instandhaltungskosten zu lange komplett übernehmen. Vor allem im Sommer gab es zu wenige Aufträge für zu viele Angestellte, die durch die Strukturen der schmalen Plattformen mit geringem Aufwand für die Firmen in großer Zahl angestellt werden konnten. So kam bei Deliveroo-Rider:innen durch die Bezahlung ausgelieferter Stückzahlen bei geringer Auftragslage ein katastrophaler Stundenlohn zustande: „Dann habe ich in vier Stunden aber leider nur drei Aufträge, verdiene also mit einem fetten Trinkgeld, wenn ich Glück habe, 20 Euro in vier Stunden. Da kommt ein Stundenlohn von fünf Euro raus“, so einer der interviewten Rider:innen. [1]de Greef, Riders unite!, 2020, S. 54
Was das Buch von de Greef passend herausarbeitet, ist die Fragewürdigkeit der Anstellung der Kurier:innen als Solo-Selbstständige bei Deliversoo: Die Riders waren durch App-basiertes Management in den Betriebszusammenhang eingebunden. Weiterhin war das Treffen von eigenen Entscheidungen lange eingeschränkt, da die Riders die zu befahrende Route erst nach der Annahme des Auftrags angezeigt wurde. In Frankreich und Spanien gab es bei ähnlich agierenden Firmen erste Präzedenzfälle, bei denen eine Scheinselbstständigkeit vor Gericht festgestellt wurde.
Entstanden ist das Buch aus einer Bachelorarbeit an der Universität Göttingen. Schon bei der wissenschaftlichen Arbeit ging de Greef parteiisch vor mit dem Ansatz einer öffentlichen orientieren Soziologie, um einen Dialog zwischen Forscher:innen und Beforschten zu eröffnen. Diese Vorgehensweise macht das Buch jeder:jedem gut zugänglich. So ist auch glücklicherweise der terminusfixierte Exkursteil über wissenschaftliche Forschungsansätze in der Buchform gekürzt. Was jedoch aufgrund der wissenschaftlichen Textsorte als sehr aufschlussreich und gelungen hervorzuheben ist, sind die Analysen über die Prekarisierung und Start-up-Strukturen. De Greef stellt die ausbeuterischen Methoden von Essenslieferdiensten als Spitze des Eisbergs einer neoliberalen Arbeitsmarktpolitik dar verbunden mit dem Ausnutzen von neuen technologischen Strukturen: „Besonders an den Gigwork-Plattformen ist, dass Aufträge vergleichbar mit einem Markt für Tagelöhner an austauschbaren Einzelpersonen vergeben werden – mit dem entscheidenden Unterschied, dass die Arbeit nicht undokumentiert, sondern legal und zudem vermittelt über Technologie ist.“ [2]Ebd., S. 23.
Wer bei Start-ups immer noch an kreative, sympathische Einzelunternehmer:innen denkt, wird spätestens mit Riders unite! eines Besseren belehrt. Der Autor beschreibt den Werdegang typischer Neuunternehmen von der Risikokapitalphase über den Kampf um die Monopolstellung nach dem Motto „Wachstum vor Profit“ bis zum plötzlichen Verschwinden oder dem Gang an die Börse bei erfolgreich ausgeführtem Konkurrenzkampf. „Es handelt sich um transnational agierende Konzerne und Investor*innen, die in der Hoffnung auf profitable neue Wertschöpfungsmöglichkeiten die Ausweitung prekärer Beschäftigungen massiv vorantreiben.“ [3]S. 43.
In den Sommern 2016 und 2017 tobte der Arbeitskampf von Rider:innen in Europa am stärksten. Es wurden Petitionen unterschrieben, Demos auf Drahteseln organisiert und Fahrradschrott vor den Büros von Deliveroo und Foodora abgeladen. Die FAU Berlin, Leipzig und die NGG (Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten) unterstützten bei den Protesten. Hier analysiert das Buch passend die Strukturen, die zu Arbeitskämpfen führen können: Vor
allem im Sommer trafen sich bei einer niedrigen Auftragslage häufig Riders in Parks. Auch die Organisation durch Messenger-Gruppen hat einen guten Teil zum Zusammenschließen der Arbeiter:innen beigetragen. De Greefs Analyse, die ihrem Anspruch gerecht wird, auch eine Praxislektüre für Lohnabhängige und Gewerkschaften zu sein, diskutiert an dieser Stelle, was hätte besser laufen können. Im Winter, wenn bei unangenehmen Temperaturen die Menschen weniger Lust auf eine Arbeit im Freien haben, hätte eine höhere Marktmacht genutzt werden können. Außerdem stellt das Buch die Frage nach einer besseren Zusammenarbeit und Ergänzung zwischen der FAU mit Methoden der direkten Aktionen und der NGG mit Erfahrungen in Tarifverhandlungen.
Im Sommer 2019 zog sich Deliveroo komplett aus dem deutschen Markt zurück. Ein halbes Jahr zuvor wurde Foodora vom niederländischen Konzern Takeaway aufgekauft und in deren Firma Lieferando eingegliedert. Was haben die Arbeitskämpfe gebracht? De Greef vermutet, dass die besseren Arbeitsbedingungen bei Lieferando in Deutschland auf die sommerlichen Proteste zurückzuführen sind. [4]Nachtrag: Die Arbeitsbedingungen bei Lieferando könnten kaum gegeteiliger als zufriedenstellend sein. Trotzdem gibt es derzeit bei Lieferando in Deutschland immerhin keine Scheinselbstständigkeit. Am Anfang war die Reperaturpauschale höher als bei Deliveroo und Foodora und noch nicht an Amazon verpflichtend gekoppelt. Doch seit dem Erscheinen von Riders unite! haben sich die Arbeitsbedingungen verschlechtert und auch hier ist selbstredend ein Arbeitskampf mehr als nur dringend. (Weder de Greef noch ich als Autorin des Artikels möchten dieses Problem herunterspielen und ich hoffe und warte ungeduldig auf noch mehr baldige Proteste von den Rider:innen.) Außerdem wurde die Transnational Courier Federation sowie der CoopCycle gegründet. Letzterer ist eine Föderation mit dem Ziel sozialer, gerechter Essenslieferdienste, welcher kostenfrei die CoopCycle-App zur Verfügung stellt. Ein großer Hoffnungsschimmer, wenn mensch über de Greefs Zukunftsprognose nachdenkt: Da Deliveroo, wie damals Foodora und nun Lieferando, stark von Amazon als deren Meta-Plattform abhängig ist und 2019 eben dieser Multikonzern 575 Millionen Dollar in Deliveroo investierte, ist die Frage nach Alternativen im Essenslieferdienstbereich wichtiger als je zuvor, wenn wir nicht alle im übertragenden Sinn eines Tages nur noch aus Amazon bestehen wollen. Von daher ist Riders unite! als Analyse der Gig-Economy-Strukturen brisanter denn je.
Riders unite! Arbeitskämpfe bei Essenslieferdiensten in der Gig-Economy – Das Beispiel Berlin ist bei Die Buchmacherei unter diesem Link erhältlich.
Foto: © Die Buchmacherei (bearbeitet von Jona Larkin White)
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