Pristina ist keine große Stadt, und es dauert nicht lange, um Genoss*innen zu finden. Am Abend einer Konferenz gab mir eine der kosovarischen Universitätsprofessorinnen einen Zettel mit einer Telefonnummer. Ich solle mich bei denen melden, das seien Genoss*innen.
Sabota ist ein soziales Zentrum im Ulpiana Distrikt in Pristina. Im Erdgeschoss eines Wohnblocks ist der kleine Raum mit Tischen und Stühlen, Flyerständern und Postern ausstaffiert, eine Theke und ein großzügiger Kühlschrank mit Biervorrat machen den Treffpunkt komplett.
„Wir finanzieren uns mit dem Verkauf von dem Bier und gelegentlichen Solipartys. Das können wir aber nicht überstrapazieren, wegen der Nachbarschaft“,
sagt ein Genosse und deutet auf die oberen Etagen des Blocks. Wir stehen vor dem Eingang, wo Platz ist zum Rauchen. Seit Herbst 2017 besteht das kleine „Quendër Sociale Sabota“. Es ist nichts weniger als die Erfindung des kosovarischen Anarchismus. Denn, so wird es mir erzählt, es gibt keine libertäre Tradition in Kosova. Das ist auch der Grund, warum R. zur Zeit an der ersten albanischen Übersetzung anarchistischer Theorien arbeitet. Es wird ein Buch mit Essays und Artikeln von Emma Goldman, Pyotr Kropotkin, Errico Malatesta und Voltairine De Cleyre werden. R. ist Teil des Kollektivs, das Sabota gründete und Teil der anarchosyndikalistischen Gruppe Pristinas (GASP), die von einigen Marxist*innen verstärkt wird. Denn sehr groß ist das Kollektiv noch nicht. Alle Menschen sind aber unabhängig von ihrer Identität und ihren Lebenssituationen in Sabota willkommen, außer Polizisten, Militärangehörige, Faschist*innen und andere Rechte sowie Menschen, die ihren Gewinn auf dem Rücken anderer erwirtschaften.
Seit einigen Jahren ist Sabota jetzt schon Treff- und Sammelpunkt linker Ideen.
„Wir diskriminieren niemanden, aber bekämpfen alle, die das tun. Wir bauen Fenster, wo nur Mauern stehen, wir entwickeln Kritik, wo diese verboten ist, wir befördern Solidarität an Orten, wo es nur Gleichgültigkeit gibt, wir schaffen Inhalte an Orten, wo Marketing, Organisierung, wo Vereinzelung und Widerstand, wo Unterdrückung vorherrschen.“
Hier finden Diskussionen, Partys, Filmvorführungen und Plena statt, zeitweise war das Zentrum auch Zuhause für die zwei Straßenhunde Jara und Bella. Richtig einfach zu vermitteln ist die Idee des sozialen Zentrums nicht immer.
„Ich denke es gibt immernoch diese Denkweise, die das Linkssein nicht versteht. Wenn du Kommunist*in bist, bringen sie dich mit dem Serbien von Milosevic in Verbindung oder mit dem Albanischen Diktator Enver Hoxha. Wenn du Anarchist*in bist, denken sie an Gewalt und Terrorismus“,
sagt ein Genosse im Interview mit dem unabhängigen Magazin Kosovo 2.0 .
Und doch scheinen sich langsam aber sicher Netzwerke aufzubauen. Zu einem neu eröffneten, soziokulturellen Zentrum in der Nähe (TERMOKISS) bestehen schon Kontakte:
„Dort teilen zwar nicht alle unsere Ideen, aber es gibt eine große Offenheit und ein paar politische Leute. Außerdem können wir unsere Überzeugungen dort mit in die Diskussionen tragen“.
So auch bei den Planungen zum 1. Mai. Letztes Jahr kamen rund 50 Menschen zur Kundgebung, dieses Jahr waren es bereits 200, dank einer breiten Kooperation mit NGOs und anderen Organisationen:
„Dieses Jahr fand zum ersten mal ein dezentraler Protest statt, zu dem verschiedene Gruppen aufriefen und den sie gemeinsam koordinierten – für einen Zeitpunkt, denselben Ort und die gleiche Route… Ich denke, das war ein sehr wichtiger Schritt, um in Kosovo eine neue Proteststrategie zu etablieren, wo normalerweise eine Gruppe des Protest organisiert und andere Gruppen unter diesem Dach zusammenkommen sollten.“
Obwohl es große politische und strukturelle Unterschiede zwischen Sabota und den NGOs gibt, ist eine Zusammenarbeit der einzig sinnvolle Weg für eine größere Öffentlichkeit. Die seit der Unabhängigkeit von Kosova florierende Landschaft westlicher NGOs und Stiftungen ist ein Milieu, von dem sich die Aktivist*innen sonst klar abgrenzen. Kosova ist nach Jahrzehnten der Unterdrückung durch den serbischen Staat und nach einem grausamen Krieg im Jahr 2008 erst unabhängig geworden. Nach der Intervention der NATO in diesem Krieg kam das Gebiet unter die Verwaltung der Vereinten Nationen. Heute sind 70% der Bevölkerung unter 30 Jahre alt. Hier wird nicht nur der Anarchismus neu erfunden.
„Sabota wird den Boden bereiten für eine andere Art von Aktivismus – einen horizontaleren Aktivismus.“
Eine Gruppe, die sich auch regelmäßig in Sabota trifft sind LGBT-Aktivist*innen. Auch wenn sie mit linken Ideen liebäugeln, sind hier keine erklärten Anarchist*innen zu finden. Aber auch sie fühlen sich in den bürgerlichen NGOs nicht zu Hause, unterstützen aber in den vergangenen zwei Jahren trotzdem deren Vorhaben, zum ersten Mal in der Geschichte des Landes eine Pride zu organisieren. Das ist ein mutiges Vorhaben im homophobsten Land des Balkans, aus dem viele Menschen allein aus diesem Grund emigrieren.
Einen schwierigen Moment durchlebte Sabota im Februar 2018, als schwerbewaffnete Polizei das Social Centre stürmte.
„Spezialeinheiten der Polizei umstellten das Viertel und die lokale Polizei kam ins Zentrum unter dem Vorwand von Sicherheitsgründen. Gleichzeitig begannen Erdogan-Unterstützer*innen damit, unsere facebook-Seite mit Kommentaren zu überfluten.“
Im Rahmen einer Aktionswoche zur Solidarität mit den Kurdischen Genoss*innen und den Kämpfen in Afrin war Kurdische Musik gespielt worden. Nach einer Razzia wurden eine Person ohne gültige Ausweisdokumente und eine Person, die ein Messer in der Tasche hatte, zur Wache gebracht. Sabota schrieb danach auf facebook:
„Wir, als das Kollektiv des sozialen Zentrums, sehen diese Polizeiintervention als einen politisch motivierten Eingriff des Establishment in Kosovo an und von den Teilen des türkischen Staates innerhalb dieser Institutionen und von der türkischen Botschaft. Wir rufen die Polizei dazu auf, die zwei jungen Leute gehen zu lassen, die wegen einem angeblichen, geplanten Angriff auf das soziale Zentrum festgenommen wurden.“
Sie spielten an diesem Abend bis spät in die Nacht kurdische Musik, noch lange, nachdem die beiden Genoss*innen schon wieder frei waren.
Auch dieses Jahr muss Sabota mit größeren Einschnitten rechnen. Im Juni müssen sie den aktuellen Raum verlassen und schauen sich momentan nach einem neuen Raum um.
„Wir haben nicht wirklich Zukunftspläne. Wir wollen diesen freien Raum weiter machen, damit Leute hier herkommen können, sich treffen und sich organisieren. Dies hier ist das einzige, autonome, linke politische Zentrum hier und seine Existenz ist sehr wichtig, auch für uns Anarchist*innen.“
Sabota würde sich über Unterstützung freuen, fügt ein Genosse hinzu. Etwa über Bücher, Broschüren, anderes Material und finanzielle Unterstützung. Ich jedenfalls will Pristina nicht mehr ohne Sabota denken. Hier dauert es nie lange, um auf den Punkt zu kommen, oder mindestens auf eine spannende Debatte. Auf die Frage hin, was ich noch in diesem Artikel für die Genoss*innen hier übermitteln kann, antwortet R. kurz und treffend:
„Unsere Botschaft ist weiterzukämpfen, gegen alle Arten der Unterdrückung und für eine freie Gesellschaft.“
Hier könnt ihr einige Fotos sehen.
[edit_07.07.2019 Übersetzung der englischen Zitate]
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