Kultur

Sabotage: Gestern wie Heute ein Kampfmittel

Arbeitskämpfe haben immer verschiedene Gesichter und die Mittel können recht unterschiedlich sein. Alles eine Frage der Taktik, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Ein mögliches Mittel, worüber heute scheinbar kaum diskutiert wird, ist die Sabotage.

In den USA erschien 1916 beim IWW Publishing Bureau in Cleveland eine kleine Broschüre über Sabotage. An einem Textilarbeiterstreik 1913 beteiligten sich rund 25.000 Arbeiter*innen 20 Wochen lang in fünf US-Staaten und begleiteten einen Prozess im Staate New Jersey gegen Frederic Sumner Boyd, der wegen Aufruf zur Sabotage mit einer langjährigen Haftstrafe zu rechnen hatte. Das Thema Sabotage geriet dabei in den Fokus der Diskussionen.

Elizabeth Gurley Flynn, 07.08.1890 – 05.09.1964

Die Autorin dieser Broschüre, die 23jährige Elizabeth Gurley Flynn, eine Aktivistin der IWW (Industrial Workers of the World), betont hier die legitime Notwenigkeit von Sabotage, die noch relativ neu war als taktisches Mittel des Arbeitskampfes. Mit Beispielen aus Frankreich, Schottland etc., die heute sicherlich etwas arg romantisch klingen, versucht sie propagandistisch, die neuen Möglichkeiten zu schildern.

Flynn (1890-1964) gilt als eine emanzipierte Frau, die – selten genug zu jener Zeit – direkt aus dem Arbeitermilieu stammt und schon früh Redetalent beweist. Sie engagiert sich bei Arbeiter*innenstreiks, für Frauenrechte und Immigrant*innen, der bekannte Folksänger Joe Hill verfasste ihr zu Ehren den Song „Rebel Girl“. Aus Sicht der US-amerikanischen, anarchistischen Bewegung ist es sicherlich bedauerlich, dass sie 1936 in die amerikanische kommunistische Partei (ACP) eintritt, deren erste nationale Vorsitzende sie 1961 wird. Sie stirbt 1964 in Moskau. Nach einem Staatsbegräbnis auf dem Roten Platz wird Flynn auf eigenen Wunsch in Chicago auf dem Waldheim Friedhof beigesetzt, wo einige ihrer Genoss*innen begraben sind – aber auch die Märtyrer vom Haymarket.

Emma Goldmann schreibt in ihren Erinnerungen über Flynn: „Sie war ein faszinierendes Geschöpf…“ und sie hatte „eine Stimme, die vor Ernsthaftigkeit bebte.“ Goldman hatte Flynn bereits als 14-jährige reden gehört und versorgte sie auch mit Geld, als Flynn nach der Geburt ihres Kindes krank wurde, sie verkehrten auch privat miteinander. Goldman schätze Flynn, trotz deren Nähe zur kommunistischen Partei: „…sie war […] weder fanatisch, noch hatte sie eine feindselige Haltung…“ [gegenüber den Anarchist*innen. Anm. J.K.]. Sie war „…eine der ersten Revolutionärinnen aus dem amerikanischen Proletariat.“ (E. Goldman, Gelebtes Leben, Berlin 1979, S. 570).

Einige Beispiele der Sabotage in diesem Büchlein würden wir heute als „Arbeit nach Vorschrift“ bezeichnen, aber interessant ist sicherlich auch, dass sie die Sabotage von Seiten der Fabrikbesitzer erwähnt, die eine billigere Seide verwenden, die nicht nur die Verarbeitung erschwert, sondern auch die Qualität verringert. Demnach ist heute anscheinend die Sabotage bei Kapitalisten fast weiter verbreitet wie als Mittel des Arbeitskampfes. Sabotage ist also keine Einbahnstraße.

Das Büchlein lässt sich als ein Stück Historie lesen, geschrieben von einer Frau, die leider hierzulande kaum bekannt ist und wenn, dann von den Kommunist*innen vereinnahmt (1958 erschien ihre Biographie in der DDR unter dem Titel „Das Rebellenmädchen“) wurde. Unter Umständen sollten sich anarchistische Historiker*innen mit Flynn beschäftigen, um dieses emanzipierte, kämpferische, aber auch tragische Leben in unserer Geschichte einzuordnen.

Auf der anderen Seite ist dieses Büchlein eine Anregung, sich mit dem Kampfmittel Sabotage neu auseinander zu setzen, neue Möglichkeiten zu überlegen, zu entwickeln, und – einzusetzen. Wir brauchen auf alle Fälle mehr Fantasie.

Elizabeth Gurley Flynn, Sabotage. Die bewusste Verringerung industrieller Effizienz. Aus dem amerikanischen, übersetzt und mit einer Biografie versehen, von Ruth Schäfer. Verlag Dialog Edition & Trikont Duisburg/Istanbul 2016, 56 S., 8,00 Euro

Jochen Knoblauch

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Jochen Knoblauch

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