Kultur

Selbstverwaltete Betriebe

Eine Buchbesprechung zu dem Buch "Vom Protest zum sozialen Prozess. Betriebsbesetzungen und Arbeiten in Selbstverwaltung" von Dario Azzellini.

In den letzten Monaten wurde in linken Kreisen wieder verstärkt über weltweite Aufstände diskutiert. Der Anlass waren anhaltende Massenproteste auf den verschiedenen Kontinenten. Da werden Proteste von Hongkong, Irak, Iran, Ecuador, Chile und Libanon schnell aneinandergereiht. Dabei besteht die Gefahr, dass die jeweiligen Besonderheiten der Proteste in den Hintergrund treten. Zudem fällt die fast völlige Abwesenheit der Arbeiteter*innenklasse in der medialen Berichterstattung über die Proteste auf.

Daher verdient das Buch von Dario Azzellini mehr Aufmerksamkeit, dass unter dem Titel Vom Protest zum sozialen Prozess im VSA-Verlag herausgegeben wurde. Azzellini beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Arbeiter*innenselbstverwaltung und hat dazu gemeinsam mit Oliver Ressler mehrere Filme gedreht. Auf knapp 150 Seiten hat Azzellini einen guten Überblick über die selbstverwalteten Betriebe in Frankreich, Italien, Griechenland, Brasilien, Argentinien, Venezuela, Ex-Jugoslawien, der USA, der Türkei und Ägypten gegeben. Deutschland gehört nicht dazu. Azzellini erwähnt kurz das kurzlebige Projekt Strike Bike. Als 2007 die Belegschaft einer Fahrradfabrik in Thüringen, unterstützt von der Basisgewerkschaft Freie ArbeiterInnen Union (FAU), die Fahrradproduktion in Eigenregie weiterführte. Leider fand das Projekt zu schnell ein Ende. Das ist auch ein Indiz für die schwach entwickelte soziale Protestkultur, die Azzellini als notwendig für die Erfolge eines selbstverwalteten Betriebes bezeichnet.

Rückeroberte Betriebe

Azzellini verwendet in dem Buch durchgehend den Terminus „rückeroberte Betriebe (RBA) und führt den Begriff in der Einleitung so ein:

„Als RBA werden Betriebe bezeichnet, die zuvor als kapitalistisches Unternehmen existierten und deren Schließung oder Bankrott zu einem Kampf der ArbeiterInnen um eine Übernahme unter ArbeiterInnenselbstverwaltung geführt hat.“ (S. 8)

Vorbild für viele der vorgestellten Betriebe war dabei Argentinien. Dort wurden während der Krise um 2001 gleich mehrere Betriebe besetzt. Die Kachelfabrik Zanon wurde auch in Deutschland, u.a. durch einen Dokumentarfilm der Berliner Regisseurin Susanne Dzeik, in der gewerkschaftlichen Linken bekannt. Die Kolleg*innen machten einen Prozess durch, den Azzellini bei allen von ihm beschriebenen Betriebe beobachtet hat:

„Im Laufe des Kampfes entwickeln und übernehmen die meisten Betriebe egalitäre und direktdemokratische Praktiken und Strukturen und bauen Beziehungen zu anderen sozialen Bewegungen und kämpfenden ArbeiterInnen auf“ (S.9).

Besonders aktiv ist die Belegschaft der Seifenfabrik Vio.me in Griechenland, deren Produkte mittlerweile ebenso in Deutschland bestellt werden können, wie die Biotees der RBA Scop Ti, vorher Fralib, in der Nähe von Marseille. Azzellini beschreibt den langen Kampf der Belegschaft gegen die drohende Schließung, der bei den verbliebenen Arbeiter*innen zu einen gesteigerten Selbstbewusstsein geführt hat:

„Wir haben uns gegen Milliardäre erhoben. Sie haben gesagt, dass wir verrückt sind. Aber letztlich hat sich unser Wahnsinn ausgezahlt“(S.28),

wird im Buch ein Beschäftigter zitiert.

Mühen der Ebene

Allerdings zeigt das Buch auch, dass es bei den rückeroberten Betrieben auch Rückschläge und Niederlagen gibt. Ein trauriges Beispiel ist der Pharmabetrieb Jugoremdija im serbischen Zrenjanin. Nach 2007 gelang es den Arbeiter*innen, den von den Eigentümern in einen betrügerischen Bankrott geführten Betrieb in Eigenregie zu führen. Doch unter der Belegschaft kam es zu Spannungen zwischen Beschäftigten, die noch aus früheren Zeiten Anteile an der Fabrik besaßen und anderen, die dort nur ihre Arbeitskraft verkauften. Als dann die Banken keine Kredite mehr gaben, musste der Betrieb Insolvenz anmelden und steht unter gerichtlicher Zwangsverwaltung.

Auch in der Textilfabrik Kazova Tekstil in Istanbul eskalierte ein Streit zwischen einigen Beschäftigten und einer von anderen Teilen der Belegschaft unterstützten kommunistischen Gruppe, die die Arbeiter*innen in ihren Kampf sehr unterstützte. Die von der türkischen Regierung angedrohte Repression hat diese Auseinandersetzung natürlich verstärkt. Doch auch eigentlich erfolgreichen RAB wie Scop Ti müssen sich, um überleben zu können, auf den Markt behaupten können.

Azzellini geht auf diese Problematik ein und formuliert sehr vorsichtig

„dass die RBA weder ihre Beziehungen zum Markt noch zum Staat auflösen können.“ (S.111)

Daher ist es auch etwas zweckoptimistisch, wenn der Autor nur wenige Kapitel später schreibt:

„Die Arbeitskraft der ArbeiterInnen eines RBA wird durch und für das Kollektiv genutzt. Arbeit hört auf eine Last zu sein und wird zu einem Synonym der Würde, des Selbstbewusstseins und der Selbstentfaltung“ (S. 115).

Das haben die Delegierten von Vio Me und Scop Ti, die vor einigen Wochen auf der Wandelwoche in Berlin waren, bei der alternative Wirtschaftsweisen vorgestellt wurden, über ihre Probleme sich in einem globalen kapitalistischen Markt behaupten zu müssen, aber wesentlich nüchterner dargestellt. Der Markt habe teilweise die Rolle der früheren Fabrikbesitzer übernommen und gibt den Beschäftigten den Takt vor. Die Versuche, die Produkte der RBA über kleine linke Kollektive zu vermarkten, ist noch zu randständig, als das die Betriebe davon überleben könnten.

Da hätte man sich bei der Lektüre des Buches gewünscht, dass Azzellini auf diese Alltagsprobleme von selbstverwalteten Fabriken im Kapitalismus noch ausführlicher eingeht. Das gilt auch für das Kapitel zu den rückeroberten Betrieben in Venezuela. Schließlich gehörte Azzellini zu den wenigen Forscher*innen, die bei der Beurteilung des bolivarianschen Prozesses nach dem Regierungsantritt von Chavez das Augenmerk auf die Selbstorganisation von Teilen der Bevölkerung, in den Stadtteilen, aber auch in den Fabriken gelegt hat. Gerade in einer Zeit, in der fast in allen Medien nur von der Krise in Venezuela die Rede ist, stellt sich die Frage, welche Rolle diese Ansätze von Selbstorganisation der Bevölkerung heute in dem Land spielen. Daher enttäuscht es etwas, wenn das entsprechende Kapitel mit dem Satz eingeleitet wird:

„In Venezuela ist die Situation wiederum ganz anders und viel zu komplex, um hier umfassend dargestellt werden zu können.“ (S. 87)

Diese Kritik schmälert allerdings nicht den Verdienst von Azzellini, in einen Buch einen Überblick über die selbstverwalteten Betriebe gegeben zu haben.

 

Dario Azzellini. Vom Protest zum sozialen Prozess. Betriebsbesetzungen und Arbeiten in Selbstverwaltung. VSA-Verlag. 150 Seiten.

Titelbild: Buchcover ©VSA Verlag.

Peter Nowak

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Peter Nowak

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