Gorillas Rider:in mit Regenbogenflagge auf dem Rucksack

Wie organisieren? Sexismus und Queerfeindlichkeit am Arbeitsplatz

Antoin arbeitet als Rider:in beim Lebensmittellieferanten Gorillas. Am organisierten Arbeitskampf der Rider:innen war Antoin maßgeblich beteiligt. Neben den schlechten Arbeitsbedingungen beschäftigten Antoin aber auch sexistische und queerfeindliche Vorfälle, für die Gorillas keine Verantwortung übernahm. Die Verantwortung sieht Antoin aber nicht nur beim Unternehmen. Was sich ändern muss und warum Antoin das Organisieren das nächste Mal anders machen wird.

⊗Triggerwarnung – dieser Text enthält Darstellungen von sexistischer und transfeindlicher Gewalt.⊗

Direkte Aktion: Antoin, du hast den Arbeitskampf bei Gorillas mitorganisiert. Wie hast du den Kontakt mit anderen Fahrer:innen aufgenommen?

Antoin: Bei Gorillas arbeiteten wir mit einer App, mit der wir berlinweit mit allen Rider:innen chatten konnten. Dort sah ich Nachrichten von Kolleg:innen, die die Arbeitsbedingungen kritisierten. Als ein:e Fahrer:in gekündigt wurde, habe ich meine Unterstützung gezeigt und kam so mit anderen Fahrer:innen in Kontakt. Später hat Gorillas den Chatkanal blockiert. Dann gab es für jedes Warenhaus einen eigenen Kanal, sodass wir nicht mehr mit allen reden konnten.

Wie habt ihr weitergemacht, nachdem Gorillas den Kanal blockiert hat?

Wir haben regelmäßige Treffen organisiert und neue sichere Kommunikationskanäle aufgebaut. Den Zugangslink haben wir mithilfe von Aufklebern verteilt. Und wir haben aktiv mit unseren Kolleg:innen gesprochen. Das war für mich ziemlich riskant, weil ich noch in der Probezeit war. Es gab eine:n Fahrer:in, die fürs Organisieren gefeuert wurde. Das war eine große Herausforderung – das Organisieren und gleichzeitig unter dem Radar des Unternehmens zu bleiben.

Was war deine persönliche Motivation, die Arbeitssituation zu verändern?

Ich habe im Herbst 2020 mit der Arbeit bei Gorillas angefangen und im Winter wurde es sehr kalt. Wir hatten keine passende Ausrüstung. Es wurde stressiger, weil Gorillas expandierte und Fahrer:innen fehlten. Ich bekam Rückenschmerzen.

Dann gab es noch diese sexuellen Belästigungen. Eine Männergruppe, die mich einfach „Bitch“ nannte. Einfach so, ohne Vorgeschichte. Ich stand draußen und sie wollten mit mir reden. Ich bin nicht wirklich auf sie eingegangen und plötzlich fing der eine an, mich laut als „Bitch“ zu bezeichnen. Ein anderes Mal gab es einen Vorgesetzten, der laut sexistische Musik abspielte und mich auf diese gruselige Art antanzte. Nach diesen Ereignissen habe ich mich wirklich unwohl gefühlt und ich habe angefangen, mich aktiv nach Leuten umzuschauen.

Du wolltest so viele Fahrer:innen wie möglich organisieren – darunter sind auch Sexist:innen. Wie hast du das gemacht?

Ich blieb häufig still. Das war anstrengend, weil diese Mikroaggressionen schwer auszuhalten sind. Ich habe Kontakt mit anderen queeren Rider:innen aufgenommen. Es war mir wichtig Feminist:innen einzubeziehen, aber insbesondere auch Queers, die inklusiv in Bezug auf trans Personen sind. Ich habe Material gesammelt, damit Leute anfangen, ihre Maskulinität und Heterosexualität zu reflektieren.

Wie hat sich Sexismus auf das Organisieren ausgewirkt?

Wenn dich die Leute als weiblich sahen, musstest du doppelt so hart für deine Meinung kämpfen. Dir wird nicht geglaubt, du wirst ausgelacht und einfach nicht ernst genommen. Sexistische Kommentare werden nicht ernst genommen.

Du hast beim Organisieren von Anfang an einen queer-feministischen Schwerpunkt gehabt – auch auf den Treffen mit Kolleg:innen. Warum?

Es gab kein Bewusstsein für Geschlechterfragen. Alles wurde sehr männlich betrachtet. Auf unseren Treffen war es mir beispielsweise wichtig, die Pronomen vorzustellen. Ich wollte, dass diese respektiert werden und dass sich keine:r lustig darüber macht. Denn in diesen prekären Jobs arbeiten auch viele Queers und trans Personen. Mir war es wichtig eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich diese Menschen wohl fühlen. Das heißt zum Beispiel auch, dass sich die Leute trauen, über ihre gleichgeschlechtlichen Partnerschaften zu reden.

Außerdem wollte ich das erhöhte Risiko für schwangere Fahrer:innen thematisieren. Der Job ist nicht gesund, wenn du schwanger bist. Die körperliche Arbeit auf dem Fahrrad oder als Packer:in in den Warenhäusern ist unsicher. Bei Gorillas gab es dafür keine Richtlinien. Das führte dazu, dass sich Schwangere krank meldeten und irgendwann gefeuert wurden, weil sie zu lange wegblieben.

Berlin gilt als vergleichsweise queerfreundliche Stadt. Sind Queers überproportional beschäftigt in dieser Art von Job?

In Berlin vielleicht schon, weil die Stadt als sicherer Hafen für Queers gilt. Aber wenn du queer bist, erfährst du viele Mikroagressionen – auch am Arbeitsplatz. Insbesondere wenn du trans bist, sind die Hürden höher, um aufzusteigen. Deine psychische Gesundheit spielt eine größere Rolle. Für diese Menschen steigt die Chance in prekären Jobs zu landen. Das kann beispielsweise auch auf Personen zutreffen, die von Rassismus betroffen sind. Es gibt natürlich auch noch andere Faktoren.

Viele Unternehmen werben mit Diversität. Auch Gorillas hat mit der Regenbogenflagge geworben. Wie hast du das erlebt?

Das war eine Marketingkampagne. Es gab viel Transphobie und Sexismus in den Warenhäusern. An der Unternehmensspitze wirkte alles in Ordnung. Unten gab es viele Probleme, für die das Unternehmen keine Verantwortung übernahm. Vielleicht hat das etwas mit Klasse zu tun – ich weiß es nicht. Gorillas hat Queer-Propaganda gemacht, als schlimme queerfeindliche Dinge passiert sind.

Was ist passiert?

Eine trans Frau – eine Freundin von mir – wurde von einem Typen belästigt. Er hat gesagt, dass trans Menschen umgebracht werden müssen und sie aus dem Warenlager gejagt. Ich habe den Kontakt zum Vorgesetzten gesucht. Der hat nichts verstanden und meine Freundin dann sogar noch eine „Shemale“ genannt und sie mit Sexarbeiter:innen verglichen. Sexarbeit ist nicht das Problem. Aber das eine hat nichts mit dem anderen zu tun. Er war ignorant und hatte keine Ahnung, wie er mit dem Fall umgehen sollte. Das Problem wurde nie gelöst. Zeitgleich begann Gorillas, Taschen mit Regenbogenflaggen zu bedrucken.

Du hast dich wegen Queerfeindlichkeit und Transphobie aus dem Organisieren zurückgezogen. Warum?

Viele männliche Rider sahen die Probleme nicht. Einige von ihnen – auch Frauen – sind queerfeindlich und transphob. Für sie ist der Kapitalismus und das Unternehmen der Gegner. Für mich ist das auch so, aber gleichzeitig sind meine Gegner auch unter meinen Kolleg:innen.

Als du über diese Probleme sprechen wolltest wurde dir Identitätspolitik vorgeworfen. Was ist damit gemeint?

Das habe ich die Leute auch gefragt, was sie damit meinen. Diese Diskriminierung ist mein Leben. Ich wäre lieber nicht in diesen Boxen, aber die Gesellschaft packt mich dort rein. Wenn ich darüber reden will, dann heißt es, ich betreibe Identitätspolitik. Aber welche Möglichkeiten habe ich? Ich akzeptiere es und organisiere mich damit, um zu zeigen, dass es ok ist, queer zu sein.

Wie machst du mit dem Organisieren weiter?

Ich mache eine Pause. Ich habe mich zurückgezogen. Ich kann nicht mehr mit Leuten arbeiten, die meine Existenz in Frage stellen. Das ist ungesund und überschreitet meine Grenzen. Wenn du trans Personen nicht willkommen heißt, dann sind deine Revolution und dein Freiheitskampf scheiße, weil du das nur für eine bestimmte Gruppe tust. Ich habe gelernt, besser auf meine Grenzen zu achten.

Was würdest du beim Organisieren das nächste Mal anders machen?

Ich würde von Anfang an klare Ansagen machen, was nicht ok ist. Das ist natürlich schwer, wenn du Arbeiter:innen organisierst, mit denen du nicht unbedingt die gleichen politischen Ideale teilst. Die Arbeitswelt ist noch immer sehr binär – Frauen sollen diese und Männer jene Jobs machen. Als weiblich gelesene Person ist es schwer, an einen männlich dominierten Arbeitsplatz zu gehen. Was können wir als Gewerkschaft tun, um diese Strukturen aufzubrechen? Aus gewerkschaftlicher Sicht beschäftigt mich die Frage, wie wir diese Barrieren beseitigen.

Bild/PW

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