Betrieb & Gesellschaft

Shame on you, Deliveroo!

„Jetzt schlägt's 13!“ – Mit diesen Worten ruft der Kölner Verein aktion./.arbeitsunrecht seit inzwischen 3 Jahren zu bundesweiten Aktionstagen an jedem Freitag, dem 13. auf.

Es geht  bei diesem Aktionstag um Solidarität mit einem jeweils aktuellen Arbeitskampf und „gegen Union Busting und Ausbeutung“ [1]Aktionsbündnis Arbeitsunrecht. Welches Unternehmen diesen Preis gewinnt, wird vorher in einer Online-Abstimmung entschieden.

Am 13. April ist es also wieder so weit. Dieses Mal hat der britische Fahrradessens-lieferdienst Deliveroo das Rennen gemacht, knapp vor Vertragspartner Nordsee. Es soll Fahrrad-demonstrationen und kreative Protestaktionen in möglichst vielen Städten geben*, organisiert von einem Netzwerk von Aktivist*innen und den Arbeiter*innen von Deliveroo. Da diese zum Teil bei der FAU organisiert sind, beteiligen sich die Syndikate in Berlin, Hamburg und Nürnberg mit Demonstrationen am Aktionstag unter dem Motto: „Shame on you, Deliveroo!“ Auch „Fertigmacher“ [2]Ebd. Nordsee soll, ein kleiner Trostpreis, in die Proteste miteinbezogen werden.

Mit Horror gegen Ausbeutung

Nein, subtil ist die Symbolik der Kampagne zum „schwarzen Freitag“ nicht. Dass Freitage, die auf einen 13. fallen, Unglückstage sind, geht einer verbreiteten Theorie zufolge auf die Börsencrashs Ende der zwanziger Jahre zurück. Die Unternehmen sollen also zittern. Im Namen eines „augenzwinkernden Aberglaubens“ [3]Ebd. verkleiden sich Aktivist*innen und Arbeiter*innen vor allem im karnevalsgeübten Köln bei ihren Aktionen zusätzlich noch in Grusel- und Horrorkostümen, um an diesem vom Verein ausgerufenen „Widerstandstag der arbeitenden Bevölkerung“ [4]Ebd. auch den abgebrühtesten CEOs eine kleine, ironische Gänsehaut über den Rücken zu jagen. Dem Deliveroo-Maskottchen, einem abstrakten Känguru, tropft auf den Plakaten zum aktuellen Aktionstag Blut aus dem Mund, ein erschrocken dreinschauendes Kartoongesicht spricht gar von „Lohnsklaverei“, das ist schon grenzwertig. Am 13. Oktober 2017 liefen vor Filialen des damaligen Gewinners H&M Menschen als Zombies verkleidet auf und ab – das ist gutes Theater. Und darum geht es schließlich bei dieser Kampagne: Möglichst viel Aufmerksamkeit erregen.

Im Vergleich zu dieser schillernden Rhetorik ist die Arbeit von Aktion gegen Arbeitsunrecht seriös, die Ziele moderat. Neben öffentlichkeitswirksamen Kampagnen, wie der zum „schwarzen Freitag“, erforscht und dokumentiert der 2014 gegründete Verein unethische Unternehmenspraktiken, besonders professionalisiertes Union Busting. Es gibt Schulungen und Beratungen für Gewerkschafter*innen, Betriebsräte und Journalist*innen und eine Liste von Forderungen zur Verbesserung der rechtlichen und faktischen Lage von organisierten Arbeiter*innen, die Parlamentsfraktionen und Parteien vorgelegt werden. Im Zentrum der „Initiative für Demokratie in Wirtschaft und Betrieb“ [5]https://aktion.arbeitsunrecht.de/de/verein steht die Unterstützung von Betriebsräten.

Strampeln, Streiken, Selber Machen

So war es denn auch die versuchte Sabotage der Betriebsratsgründung in Köln, die Deliveroo zu einem Kandidaten für den 13. April machte. Dabei ist dieser Weg eher untypisch für den bisherigen Arbeitskampf der Fahrradkuriere. Vor wenigen Wochen erst traten Deliveroo-Arbeiter*innen in Hong Kong in einen wilden Streik, 300 von 500 Fahrer*innen beteiligten sich und legten den Lieferbetrieb in der Stadt für zwei Tage komplett lahm. Auch in London, Amsterdam und Barcelona – um nur einige Beispiele zu nennen – gab es schon Streiks, in Brüssel wurde im vergangenen Herbst sogar das Deliveroo-„HUB“ besetzt. Andernorts wurden Unterschriftenlisten, Fahrraddemonstrationen und Protestaktionen organisiert. Die überwiegende Mehrheit der bisherigen Aktionen stellten die Fahrer*innen selbst auf die Beine. Viele der ohnehin schon selbstorganisierten Gruppen wandten sich mit der Zeit konsequenterweise an Basisgewerkschaften wie die FAU oder die IWGB. In Paris gründete sich ein autonomes Fahrer*innenkollektiv.

In der Regel waren es plötzliche Verschlechterungen der ohnehin schon prekären Arbeitsbedingungen, die spontane Proteste auslösten, aus denen sich dann in vielen Fällen eine längerfristige Organisierung entwickelte. Reguläre Anstellungsverhältnisse wurden durch (Schein-)Selbstständigkeit ersetzt; an die Stelle eines festen Stundenlohnes trat eine Vergütung pro gefahrener Lieferung; der Wettbewerb um Schichten wurde erhöht oder ein für viele unverzichtbarer Wochenendbonus gestrichen. Einige dieser Änderungen konnten durch die Proteste gestoppt oder aufgeschoben werden; in den meisten Fällen aber reagierte Deliveroo entweder gar nicht oder mit Sanktionen. Als sich nach der Besetzung des HUBs in Brüssel das belgische Arbeitsministerium einschaltete und ein Treffen mit den Arbeiter*innen und dem Unternehmen organisierte, erschien von Deliveroo niemand. Bei Demonstrationen vor den Firmenzentralen in Berlin und London wurden Fahrer*innen persönlich angesprochen und aufgefordert, ihre Beschwerden individuell mit dem Büro zu besprechen, statt „unnötigerweise“ kollektive Forderungen aufzustellen. In Leeds wurde im Sommer 2016 nach einem Streik „die Zusammenarbeit“ mit vielen der beteiligten Fahrer*innen „beendet“ – nach einem großen öffentlichen Protest wurde das allerdings wieder rückgängig gemacht.

Angst vor dem Imageschaden

Gekündigte Kolleg*innen in anderen Städten hatten weniger Glück. Einige von ihnen überlegen bereits, zusätzlich zum Arbeitskampf genossenschaftliche Alternativen zu Deliveroo zu gründen: um einen Job zu haben, um selbstbestimmt arbeiten zu können, um den Druck auf das Unternehmen zu erhöhen und das Risiko für Streikende zu verringern. Die notwendige OpenSource Software – ähnlich der Deliveroo-App – gibt es bereits.

Leicht würde das trotzdem nicht. 2016 machte Deliveroo bei 128.6 Mio. Pfund Umsatz 129.1 Mio. Pfund Verluste [6]Vgl. https://www.telegraph.co.uk/technology/2017/09/21/deliveroo-revenues-grow-600pc-losses-stack/; beide Zahlen sind im vergangenen Jahr höchstwahrscheinlich noch gestiegen. Getragen von Risikokapital expandiert das Unternehmen kräftig und liefert sich regelmäßige Werbeschlachten mit der Konkurrenz, allen voran Foodora (DeliveryHero). Beide spekulieren auf zukünftige Marktdominanz. Die damit einhergehende Abhängigkeit von den Investoren und einem guten Image ist es aber auch, was öffentliches „Shaming“ gerade in diesem Arbeitskampf so sinnvoll macht: breite, laute Solidarität mit gut organisierten Arbeiter*innen könnte der Unternehmensleitung (und den Investoren) tatsächlich Verlustangst einjagen. Das Motto des Aktionstages ist also schon einmal gut gewählt. Jetzt müssen sich nur noch genügend Menschen aufs Rad schwingen und ganz laut klingeln.

 

* Eine Übersicht über alle geplanten Aktionen und die Ansprechpartner*innen vor Ort findest Du hier.

Ein weiterführender Kommentar der Autorin zu Foodora & Co.: Die Revolte der neuen Dienstbotenklasse findet sich in den Blättern für deutsche und internationale Politik.

Georgia Palmer

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Georgia Palmer

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