Solidarität ist mehr als Händewaschen

In den ersten Wochen nach dem Beginn der Corona-Krise war in den Abendstunden häufig Applaus zu hören. Menschen standen auf den Balkonen, die denen Beifall spendeten, die in Kliniken und Supermärkten ihrer Lohnarbeit nachgehen mussten. Schon bald gab es Kritik, vor allem, weil diese Menschen zu Held*innen des Alltags erklärt werden, obwohl sie oft alles andere als freiwillig ihre Lohnarbeit verkaufen mussten. Stattdessen müsste es darum gehen, die Berufe, die oft von Frauen in sehr prekären Arbeitsverhältnissen ausgeübt werden, endlich besser zu entlohnen. Zudem handelt es sich hier um Berufe, in denen Beschäftigte seit Jahren Kämpfe genau für mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen führen.

Erinnert werden soll an die erbittert geführten Arbeitskämpfe im Einzelhandel in den letzten Jahren. Zudem gibt es seit Jahren Kämpfe im Caresektor, wie der Pflege- und Krankenhausbereich benannt wird. In Berlin haben sich vor einigen Wochen zahlreiche soziale Initiativen im Bündnis #jetzterstrecht zusammengeschlossen. Mittlerweile stehen 25 Gruppen unter dem Aufruf. Unter dem Motto „Solidarität ist mehr als Händewaschen“ werden dort schnell umsetzbare Forderungen aufgestellt, die die sozialen Folgen der Coronakrise für die Menschen mit geringen Einkommen abmildern sollen. Die anvisierten Reformen erstrecken sich auf die Gesundheits-, Sozial- und Wohnungspolitik.

Initiative ging von FAU-Mitgliedern aus

Die Idee zum Bündnis ist Mitte März zu Beginn der Corona-Krise entstanden, als die Verunsicherung auch in linken Gruppen groß war“, erklärt Jakob. Er ist Mitglied der Basisgewerkschaft Freie Arbeiter*innenunion (FAU), die den Aufruf ebenfalls unterschrieben hat. Angesprochen wurden vor allem Initiativen, die sich für soziale Rechte im Stadtteil und am Arbeitsplatz einsetzen.

„Wir vernetzen uns im Bündnis #jetzterstrecht themenübergreifend, um die Zeit in und nach der Coronakrise mit linken Inhalten zu gestalten“,

begründet David Schuster vom „Bündnis Zwangsräumung verhindern“ die Unterschrift. Mit den Critical Workers, der Gruppe Corasol und der Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migrant*innen sind in dem Bündnis Initiativen vertreten, die sich für die Rechte von Arbeiter*innen ohne deutschen Pass einsetzen. Auch der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V. (Besd) ist Teil des Bündnisses.

„Wir haben den Aufruf unterschrieben, weil er auch unsere Probleme reflektiert“,

begründet Susanne Bleier Wilp vom Vorstand des Verbands die Beteiligung. Sie betont, dass die Mehrheit der Sexarbeiter*innen in Berlin Migrant*innen und mehrfachstigmatisierte Personen sind, die von Wohnungsnot und mangelndem Zugang zu medizinischer Versorgung während der Corona-Krise besonders betroffen sind.

Besonders stark vertreten im Bündnis ist der Stadtteil Wedding, in dem es bereits seit Jahren eine starke soziale Organisierung gibt. Neben der Stadtteilorganisation Hände weg vom Wedding (HwvW) haben auch das nach einer Anarchistin benannte Kiezhaus Agnes Reinhold und die Erwerbsloseninitiative Basta den Aufruf unterzeichnet. Die Stadtteilinitiative HwvW hat vor einigen Wochen einen Forderungskatalog für eine soziale und demokratische Lösung der Krise vorgelegt.

Dort wurde die Verteidigung demokratischer Grundrechte mit dem Recht auf Wohnen, würdigen Arbeitsbedingungen und einer Gesundheitspolitik jenseits der Marktlogik verbunden. Es handelt sich um Reformen, von denen die Mehrheit der Bevölkerung Vorteile hätte. Damit würde mit einer Tradition gebrochen, nach der Reformen immer häufiger mit Einschränkungen für die Armen und Kürzungen im Sozialbereich verbunden sind. Zudem haben diese Reformen transformatorischen Charakter, weil sie, wenn sie umgesetzt würden, wesentliche Mechanismen der kapitalistischen Verwertungslogik infrage stellen würden. Dass wird in dem Forderungskatalog auch nicht verschwiegen. So heißt es im Kapitel Ökonomie:

„Die Herstellung und Verteilung von Waren soll entlang der wirklichen gemeinsamen Bedürfnisse der Gesellschaft planvoll organisiert werden. Der Markt garantiert unsere Versorgung nicht.“

Solche Initiativen sind umso wichtiger, weil es eine fatale Illusion wäre, anzunehmen, dass die kapitalistische Gesellschaft nach der Corona-Krise solidarischer wird, wie in machen Feuilletons behauptet. Dazu braucht es soziale Bewegungen, wie das Bündnis #jetzterstrecht an möglichst vielen Orten.

 

Alle Forderungen findet ihr hier.

Das Titelbild ist das Symbol des Bündnisses.

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