Seit 2014 ist Michael Wilk immer wieder in Rojava unterstützend als Notarzt für den kurdischen roten Halbmond im Einsatz.
In Rojava / Nord-Ostsyrien wird weiter gekämpft. Dies hat sich auch nicht durch das verheerende Erbeben geändert. Drohnen sind im Einsatz, unter türkischer Ägide agierende Dschihadistenmilizen kontrollieren nicht nur die Invasionszonen von Afrin und die um Serê Kaniyê, sondern attackieren auch die angrenzenden Regionen. Immer wieder werden Menschen getötet oder schwer verletzt. Die auf Befehl Erdogans erfolgenden Angriffe des Nato-Mitglieds Türkei fordern viele Opfer und belasten den Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung. Die Kräfte der multiethnischen Selbstverteidigungseinheiten sind dadurch zunehmend gebunden, was die im Untergrund existierenden Kräfte des IS zu vermehrten Attacken befähigt. Häufig ist die Grenze zum angrenzenden Irak schwer passierbar, wenn nicht gar geschlossen- die politisch konkurrierende, clanbestimmte konservative kurdische Regionalregierung im Nordirak pflegt gute Kontakte zum Erdogan-Regime. Immer wieder sind dadurch Handel und die Versorgung Rojavas mit Hilfsgütern blockiert, ebenso wie die Ein- und Ausreise. Der Kampf um Rojava, der Prozess der Befreiung ist komplex und von Krieg, Hindernissen und immensen Schwierigkeiten gezeichnet. Andererseits sind die Ansprüche allumfassend, die Emanzipation der Menschen, allen voran die Befreiung der Frauen, die Umsetzung basisdemokratischer Prinzipien, das Ringen um territoriale Autonomie gegenüber dem autoritären Regime Assads.
Es drohen autoritäre inhumane Systeme zu triumphieren, einerseits das Assad-Regime unter dem Patronat Russlands, das seinen Allein-Herrschafts-Anspruch reetablieren möchte, andererseits die Türkei Erdogans, die ungehindert Teile Syriens annektiert bzw. bombardiert. Europa ergeht sich diesbezüglich in konsequenzlose Ermahnungen und Lippenbekenntnisse, zu schwer wiegen Flüchtlingsabkommen, die ökonomischen und militärischen Beziehungen zum Aggressor Türkei. Vergessen, wer den Kampf gegen den IS führte, die 11.000 toten kurdischen und SDF Kämpfer:innen, die 21.000 schwerverletzten und verstümmelten jungen Menschen, die nun sehen können, wo sie bleiben. Die hochgepriesenen humanitären Ansprüche Europas entpuppen sich als das bekannte moralisch ethische Totalversagen, das immer dann zu Tage tritt, wenn es um die Verteidigung von Ökonomie- und Einflusszonen geht. Die Bevölkerung Rojavas wird – nicht zuletzt von der Bundesregierung– ohne jeden Skrupel auf dem Altar des „notwendigen Zweckpragmatismus“ geopfert. Die Infrastruktur Rojavas wurde in den Kämpfen gegen den IS zu weiten Teilen zerstört. Auf Hilfe und Unterstützung beim Wiederaufbau, die von westlichen Staaten zu erwarten gewesen wäre, warten die Menschen vergebens. Das Interesse des Westens erlosch weitgehend nach der Zerschlagung des IS.
Der Versuch, in Rojava ein gesellschaftliches Modell der Selbstverwaltung, der Gleichberechtigung von Mann und Frau und basisdemokratischer Ansätze zu errichten, ist wenig relevant oder irritierend bis störend und wird bestenfalls ignoriert. Geschützt, gefördert und finanziert werden von den Staaten Europas hingegen mörderische Diktaturen, die Menschenrechte mit Füßen treten.
Ohne Zweifel steht das gesellschaftliche Modell Rojavas unter einem hohen Druck. Das angestrebte Gesellschaftsmodell Nord-Ostsyriens ist eine Herausforderung, die großen Einsatz, Mut und Kraft und Durchhaltevermögen erfordert. Seit über zehn Jahren leben die Menschen im Krieg und einem verwüsteten Land. Die Reorganisierung und Instandsetzung aller gesellschaftlichen Strukturen, Schulen, Krankenhäuser, Arbeitsstätten, erfolgte vor allem aus eigener Kraft und mit solidarischer Unterstützung. Die Wiederaufbauleistung war, vor allem vor dem Hintergrund der genannten Schwierigkeiten, enorm. So entstanden z.B. in der weitgehend zerstörten Stadt Kobane ganze neu Stadtteile.
…war auch die Region Kobane betroffen, Menschen wurden getötet, verletzt, Häuser zerstört. Ungeachtet des Erbeben-Desasters setzte die türkische Armee Angriffe auf das Gebiet Rojavas fort, der türkische Staatsterror zeigte sich einmal mehr skrupellos.
Das Erdbeben in der Türkei und Syrien, mit abertausenden Toten und Verletzten, sowie der Zerstörung unzähliger Häuser, war verheerend. Die Folgen der Naturgewalt sind jedoch auch immer ein Spiegel der Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Viele der Toten hätten nicht sterben müssen, viele Verstümmelte müssten nicht leiden, wenn Bauvorschriften eingehalten und nicht durch machterhaltene Korruption der Erdogan-Bürokratie unterminiert worden wären. Das Epizentrum des Bebens verwüstete vor allem Gebiete der Türkei, Nordwestsyriens, auch das türkisch besetzte Afrin, im Rest Rojavas waren die Schäden vergleichsweise überschaubar. Der Kurdische rote Halbmond und die Selbstverwaltung Rojavas schickten Hilfskonvois in die schwerer betroffenen Gebiete, wo diese jedoch prompt von Erdogan-Truppen gestoppt bzw. auch von Assad-Kämpfern geblockt wurden, um Anteile bzw. den ganzen Konvoi zu kassieren. Auch wenn die Hilfe letztlich nach Tagen ihre Ziele erreichen konnte, zeigt sich, dass sowohl auf türkischem, wie auch auf syrischem Staatsgebiet die Hilfe für die Opfer des Erdbebens politisch instrumentalisiert wird. Spenden und Soforthilfe vieler Menschen erreichten Betroffene, erst nach Umetikettierung auf die nationale Hilfsorganisation der Türkei, in den kurdischen Gebieten wurde selbstorganisierte Hilfe beschlagnahmt und unterbunden. Auch die nun projektierte internationale milliardenschwere Hilfe zum Wiederaufbau droht an vielen Betroffenen vorbei zu laufen und zur Unterstützung der korrupten Regime zweckentfremdet zu werden.
Vor diesem Hintergrund ist Solidarität und politischer Druck notwendig. Einerseits, um direkte Hilfe und Unterstützung dahin zu bringen, wo sie erforderlich ist, andererseits um eine Änderung der herrschenden Verhältnisse durchzusetzen.
Spenden sind möglich an medico international oder auch an M. Wilk „Gesundheitshilfe“ DE77510500150173070939 (hier keine steuerwirksamen Quittungen)
Titelbild: Rakka 2019, Überlebenswille in einer zerstörten Stadt
Interview mit Torsten Bewernitz und Gabriel Kuhn.
Der revolutionäre Syndikalismus, wie wir ihn kennen, gehört vielleicht der Vergangenheit an. Damit er überleben…
Rezension zum Buch der Sanktionsfrei e.V. Gründerinnen über Bürgergeld, Armut und Reichtum.
Arbeits- und Klimakämpfe verbinden - zum neuen Buch von Simon Schaupp und dem Film Verkehrswendestadt…
Alter Chauvinismus oder die Kehrtwende in eine neue Fürsorglichkeit.
Rezension zu „Die kleinen Holzdiebe und das Rätsel des Juggernaut“
Leave a Comment