Kultur

Spuren der Arbeit – Der Podcast

Wie aus beschissenen Arbeitsbedingungen eine Hörspielreihe wurde

Dies ist ein persönlicher Erfahrungsbericht über schlechte Arbeitsbedingungen, eine Corona-Erkrankung, erste Arbeitskampferfahrungen und die Einladung, Euch unseren ersten DA-Podcast anzuhören.

 

Die Lohnarbeit und Covid-Erkrankungen

Im April 2021 hatten nur wenige, ältere Menschen die Möglichkeit in den Genuss einer Impfung zu kommen. Ich zählte nicht dazu. Die Krankheit traf mich ungeschützt und heftig. Obwohl ich noch recht jung und fit bin, konnte ich mein Bett vier Wochen lang nicht verlassen, erst nach fünf wieder Sport treiben. Doch im Vergleich zu anderen Verläufen hatte ich Glück. Ich konnte die ganze Zeit über schmecken, habe keine Folgeerkrankungen. Zusammen mit den Impfungen dürfte mein Körper mittlerweile sehr gut mit Antikörpern ausgestattet sein. Eigentlich habe ich keinen Grund mich zu beschweren. Doch ich tue es trotzdem – aus dem Grund, wie ich mich angesteckt habe. Dadurch, dass ich bei meiner Lohnarbeit trotz Nachfrage kein Home Office bekam und pendeln musste, habe ich mich höchstwahrscheinlich angesteckt. (Alle Leute, mit denen ich außer bei meiner Arbeit Kontakt hatte, waren negativ. Zeitgleich mit und nach mir erkrankte eine Vielzahl an Kolleg:innen in „meinem“ ehemaligen Betrieb.) Mit einem weniger widerstandsfähigen Körper wäre die Sache schlimmer ausgefallen und von mindestens einem Kollegen weiß ich, dass er Langzeitschäden davongetragen hat. Auch er hat sich Corona höchstwahrscheinlich im selben Büro wie ich eingefangen. Ich frage mich oft, wie viele Menschen an Corona gestorben sind und sich bei der Lohnarbeit oder dem Weg zu ihr angesteckt haben. Auch wenn ich Glück hatte, beschwere ich mich, wenn ich an meine Krankheitsgeschichte denke, weil sie mich daran erinnert, dass ich in einem System lebe, das mich nur dann wertschätzt, wenn ich lohnarbeite; und das es nur deswegen schade findet, wenn ich sterbe, weil ich dann nicht weiter lohnarbeite und Steuern zahle. Dies ist zumindest die Zwischen-den-Zeilen-Nachricht, die ich aus all den Corona-Maßnahmen interpretiere, die ausschließlich das private anstatt das Arbeitsleben betreffen. Diese Herabwürdigung meiner und aller Personen ist mir bekannt, aber diese so persönlich und nah an meinem eigenen Körper zu spüren, ist eine Erfahrung, die verändert und mich zum Weinen bringt, wegen der ich mich öffentlich beklagen möchte und die mich mit Hass erfüllt.

Trotzdem war ich zunächst noch relativ ruhig. Ich habe Informationen eingeholt bei verschiedenen Menschen, habe meine Ohren gespitzt, wenn sich über Dinge unterhalten wurde, von denen ich eigentlich nichts wissen dürfte – und fand heraus, dass der Grund, dass so wenige von uns ins Home Office geschickt wurden, ein finanzieller Engpass der Firma war (vorher hatte ich nicht darüber nachgedacht, wie viel Home-Office-Plätze kosten). Unsere Firma war während Corona kurz vor dem Bankrott und durch eine Lücke im System wurden vom Staat die Home-Office-Plätze trotzdem nicht gefördert. Also gab ich zunächst dem Staat die Schuld an der Misere.

Meine Call-Center-Karriere war nur von kurzer Dauer. Ich habe den Betrieb nur zu Corona-Zeiten kennengelernt, also mit wenigen Menschen im Büro – mehrere Home-Office-Plätze konnten immerhin geschaffen werden. Ein dankenswerter Umstand; doch auch einer, der Kontakte zu den Mitarbeiter:innen beschränkt und mich vereinzelte. Wegen schlecht umgesetzten Sparmaßnahmen, die die Arbeit massiv erschwerte und aus anderen privaten Gründen hatte ich meine Kündigung bereits eingereicht und zählte die Wochen und Tage bis zu meinem letzten Arbeitstag. In dieser Zeit habe ich zufällig auf einer Demo eine Arbeitskollegin kennengelernt, die ich nie zuvor gesehen hatte. Sie erzählte mir, dass sie im Home Office sei und in zehn Minuten mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren kann. Sie ist ungefähr so alt wie ich und wenn sie eine Vorerkrankung hätte, hätte sie es vermutlich erwähnt. Bis zu diesem Gespräch war es für mich in Ordnung gewesen, bei den Home-Office-Plätzen vergessen worden zu sein, da ich dachte, dass andere sie dringender gebraucht hätten. Wie ich feststellte, war dies nicht der Fall.

 

Mein letzter Arbeitstag

Um Personal zu sparen, zwang uns das Managment in den Randzeiten Mandanten mitzutelefonieren, für die wir nicht geschult waren. Die Arbeit, wenn mensch nicht geschult ist, ist mit der normalen Arbeit nicht zu vergleichen. Ich habe mir stets einen schauspielerischen Ast abgebrochen, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich absolut keinen Plan von dem habe, was ich eigentlich beauskunften sollte, musste es gleichzeitig irgendwie schaffen, den Anrufenden mit einem Gespräch abzulenken, um Zeit zu gewinnen, um mir nebenbei Informationen zu seiner Frage herauszusuchen. Wenn ich meine Unsicherheit nicht überspielen konnte, musste ich lügen, dass ich nur eine Aushilfe sei und einen Rückruf vereinbaren (der den Leuten jedoch nichts bringt, wenn sie genau in dem Augenblick Informationen brauchen). Wenn ich Pech hatte, wurde ich von den Kund:innen angeschrien, weil sie Geld für ein Telefonat ausgegeben hatten, in dem ihre Frage nicht beantwortet wurde. Das Schlimme ist, dass ich es den wütenden Anrufer:innen nicht verübeln konnte. So ziemlich alle in dem Betrieb haben diese Randzeiten gehasst. Deswegen bezogen sich meine Streikforderungen, die ich an meinem letzten Tag an die komplette Belegschaft per Firmen-internen-Mail-System sendete, fast ausschließlich auf sie.

Ich war an meinem letzten Arbeitstag pünktlich mit Kuchen ins Büro gegangen, hatte meinen Rechner hochgefahren, sendete die Mail mit meinen Streikforderungen ab mit dem Vermerk, dass ich aus den Gründen der schlechten Arbeitsbedingungen meinen letzten Arbeitstag acht Stunden lang wild streiken würde [1]Da ich alleine war, war es juristisch gesehen kein wilder Streik, sondern eine organisierte Arbeitsverweigerung mit Charakter eines wilden Streiks, wie ich später in der FAU-Schulung lernte., rannte aus dem Gebäude und gesellte mich mit meinem Streikschild, lauter Musik, meinen ausgedruckten Streikforderungen und ein paar Genoss:innen der FAU vor das Bürogebäude. Der Personaler, der an dem Tag anwesend war, fand das nicht lustig.

Mein größtes Anliegen mit der Aktion war, dass für meine nun Ex-Arbeitskolleg:innen sich die beschissenen Arbeitsbedingungen mit den Randzeiten ändern. Da der Betriebsrat es leider vergessen hatte, es der Belegschaft mitzuteilen, wusste ich nicht, dass bereits beschlossen worden war, die Randzeiten abzuschaffen. Somit waren die Forderungen meiner organisierten Arbeitsverweigerung bereits erfüllt. Nach ein paar Diskussionen mit dem Personaler bauten wir sehr langsam und gemächlich ab. Dabei haben wir mit ein paar Kollg:innen gesprochen, die sich über noch weitere schlechte Arbeitsbedingungen beschwert haben. Also stand mit unserer FAU-Arbeitsgruppe fest, dass wir weitermachen wollten.

 

Spuren der Arbeit als Podcast

Seitdem fanden mehrere Versuche von uns statt, Organizing zu betreiben, jedoch nicht sonderlich erfolgreich. Falls das hier doch mal das Management lesen sollte, möchte ich mich nicht weiter dazu äußern. Zum bisherigen Scheitern kann ich nur so viel sagen, dass ich immer wieder den Eindruck hatte, dass meine Ex-Kolleg:innen – und damit dürften sie stellvertretend für so viele Menschen stehen – sich ihrer eigenen Macht nicht bewusst sind, die sie als zusammenstehende, organisierte Arbeiter:innenschaft haben. Zudem sehen sie keine große Notwendigkeit, auch wenn viele Menschen dort ihre Arbeit hassen. Wer definiert sich schon über seine Lohnarbeit? Das Thema wird vom Rest der Lebenswelt abgekoppelt, vier bis acht Stunden leblose, verkaufte Zeit und danach wird weiter studiert, wohl verdientes Feierabendpils getrunken oder sich im Stadtteiltreff engagiert. Doch all die verkaufte Lebenszeit ist von essenzieller Bedeutung. Wie viele Stunden habe ich damit verbracht, mich mit meinen Kolleg:innen über die Scheiß-Arbeitsbedingungen auszutauschen? Wie oft habe ich davon geträumt, mich anrufende Menschen die ständig gleichen Information zu geben? Und wie oft bin ich vorletzten Sommer wütend nach Hause gefahren, weil ich in den Randzeiten nicht vernünftig arbeiten konnte? Aktivismus kann mehr sein als eine Freizeitbeschäftigung nach der Lohnarbeit, wenn er bei genau dieser kapitalistisch strukturierten Lebensgrundlage ansetzt.

Nachdem der Arbeitskampf in dem Call Center zum Stillstand kam, hat mir zufällig ein guter Freund erzählt, dass er Bücher eingekauft hat und hielt mir Spuren der Arbeit unter die Nase. In dem Call Center habe ich immer Komplimente für meine Stimme bekommen und bin in letzter Zeit Verton-Projekten nicht abgeneigt.

In Spuren der Arbeit geht es um die Erlebnisse von Arbeiter:innen aus ihrer Perspektive. Ihre Leiden, aber auch ihre Kämpfe kommen in dem Sammelband gefühlvoll zum Ausdruck. (Hier unsere Rezension.) Ich denke, dass es eine Möglichkeit ist, sich dutzende Sachbücher und Essays von ausgebildeten Theoretiker:innen zur Wichtigkeit der Arbeiter:inneschaft durchzulesen. Eine weitere und mehr als nur ergänzende ist es, den Stimmen der Arbeiter:innen und damit von uns selbst zuzuhören, damit wir begreifen, dass wir es sind, die diese Gesellschaft ermöglichen. Darauf sollten wir stolz sein, zu uns selbst und unseren Rechten stehen – und diese einfordern!

 

Somit laden wir Euch dazu ein, Euch hier unseren ersten DA-Podcast anzuhören. Die Vertonung ist allen Call-Center-Mitarbeiter:innen gewidmet. Jeden Montag erscheint ein neues Kapitel.

 

Am 16.02.23 findet im Theater der Gezeiten (Schmechtingstr. 38–40, Bochum) um 19 Uhr eine Podcast-Realise-Hörveranstaltung statt. Fühlt Euch herzlichst eingeladen.

 

Bibliographische Angaben:
Mark Richter, Levke Asyr, Ada Amhang, Scott Nikolas Nappalos (Hg.). Spuren der Arbeit, Geschichten von Jobs und Widerstand. Verlag Die Buchmacherei. September 2021. 260 Seiten. ISBN 978-3-9823317-1-3, 14 Euro.
Wenn ihr das Buch erwerben wollt, könnt ihr dies hier tun.

 

Bildrechte: bei der DA, CC0

Jona Larkin White

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Jona Larkin White

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