„Die Gorilla-Riders motzen die deutsche Streikkultur auf“, schrieb die Journalistin und soziale Aktivistin Nina Scholz kürzlich in einem Kommentar in der Wochenzeitung Freitag. Sie erinnerte mit Recht daran, dass sich die Beschäftigten des Lieferdienstes Gorillas nicht nur in kurzer Zeit organisiert haben, obwohl sie in einer Branche beschäftigt sind, die lange Zeit als schwer organisierbar galt. Sie haben zudem mit kurzfristigen Arbeitsniederlegungen, Demonstrationen und Blockaden von Gorillas-Warenlagern eine kämpferische Note in den Arbeitskampf gebracht, der in Deutschland selten ist.
Nicht umsonst spricht man vor allem hierzulande von wilden Streiks, wenn diese ohne die Beteiligung von Gewerkschaften ausgerufen werden. In anderen Ländern gibt es die Unterscheidung nicht. Es waren auch die Arbeitskämpfe der Gorillas-Arbeiter*innen, die dafür gesorgt haben, dass selbst in DGB-nahen Gewerkschaften wieder mehr über solche selbstorganisierte Arbeitskämpfe diskutiert wird.
Der Rechtsanwalt Benedikt Hopmann hält die Unterscheidung zwischen sogenannten wilden und offiziellen Streiks sogar mit EU-Recht unvereinbar. Doch jenseits solcher Überlegungen sollte erst einmal festgestellt werden, dass es der Kampf der Gorillas-Beschäftigten an ihren Arbeitsplätzen in Berlin war, der diese Debatten befördert hat. Die Kämpfe begannen im Februar 2021, als sich die Fahrer*innen weigerten, bei winterlichen Minustemperaturen zu arbeiten. Seitdem hat sich bei Gorillas in Berlin ein kämpferisches Klima ausgebreitet, das dann dafür gesorgt hat, dass es seit Juni 2021 immer wieder zu Arbeitskämpfen kam. Mittlerweile hat das Gorillas-Management mit Entlassungen von aktiven Beschäftigten reagiert.
Kampf auch vor Gericht
Längst hat sich die Auseinandersetzung auch auf die gerichtliche Ebene ausgeweitet. „Gorillas-Rider kämpfen weiter“ steht auf dem Transparent, das einige Fahrradkurier*innen kürzlich an den Zaun einer Grünanlage gegenüber dem Berliner Arbeitsgericht im Stadtteil Schöneberg aufgehängt haben. Zuvor waren am Arbeitsgericht zwei weitere Güteverhandlungen ohne Ergebnis zu Ende gegangen. Wie bei mehreren Verhandlungen in den letzten Wochen klagten die Rider auf Entfristung ihrer einjährigen Arbeitsverträge.
„Wir sind sicher, dass die Beschäftigten die Klagen gewinnen und trotzdem spielt das Gorillas-Management auf Zeit“,
erklärt Rechtsanwalt Martin Bechert, der mehrere Rider*innen vertritt. Denn durch einen Formfehler sind die befristeten Verträge ungültig. Die Verträge wurden alle digital geschlossen, obwohl bei befristeten Vereinbarungen gesetzlich die Schriftform vorgeschrieben ist. Die Firma Lieferando hatte den gleichen Formfehler gemacht. Auch dort hatten mehrere Rider*innen Klagen eingereicht. Das ist der Hintergrund für die Ankündigung von Lieferando von Mitte August 2021, alle Verträge der ca. 10.000 Kurierfahrer*innen zu entfristen. Davon sollen auch alle neu eingestellten Rider*innen profitieren. Lieferando wollte sich dabei mit dieser Entscheidung als soziales Unternehmen aufspielen, das auf die Sorgen und Probleme reagiert. So heißt es beim Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) zur Entfristung:
„Lieferando reagiert damit nach eigenen Angaben auf Forderungen der Beschäftigen nach sicheren Arbeitskräften. Das Unternehmen wächst stark und sucht ständig neue Mitarbeiter“.
Unerwähnt bleibt, dass es die Rider*innen nicht bei Forderungen belassen haben. Sie haben sich organisiert, kamen in Kontakt mit solidarischen Unterstützer*innen wie der aktion ./. arbeitsunrecht, aber auch mit Arbeitsjurist*innen. Die schauten sich die Verträge der Rider*innen an und entdeckten dabei erst den Formfehler, der die Grundlage für die juristische Klagen wurde. Lieferando hatte also keineswegs plötzlich seine soziale Ader gegenüber den Beschäftigten entdeckt, sondern genauso wie das Gorillas-Management die Macht von organisierten und informierten Riders zu spüren bekommen.
Klagewelle als Teil des Arbeitskampfs
Pedro von der Basisgewerkschaft Freie Arbeiter*innen Union (FAU), in der sich viele der Rider*innen organisieren, sieht in den Klagen gegen die Befristung denn auch die Fortsetzung der Arbeitskämpfe bei den Lieferdiensten. André Koletzki von der aktion ./. arbeitsunrecht unterstützt den Arbeitskampf der Rider*innen in all seinen Formen. Dazu gehören auch für ihn die wilden Streiks und Blockaden im Sommer 2021 wie auch die juristische Klagewelle gegen die rechtsunwirksamen Verträge. Die aktion ./. arbeitsunrecht wendet sich generell gegen die Befristung von Arbeitsverhältnissen, weil damit prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse vorangetrieben werden.
Dass die Klagen aus einen Organisierungsprozess am Arbeitsplatz entstanden sich, zeigt sich auch bei den Gerichtsterminen. Die jeweiligen Kläger*innen werden von Kolleg*innen aus unterschiedlichen Firmen unterstützt. Sie verabreden sich zur solidarischen Prozessbegleitung, so dass bei den Terminen oft mehr solidarische Besucher*innen anwesend sind, als unter Corona-Bedingungen im Raum bleiben können. Im Anschluss an die Prozesstermine tauschen sich die Rider*innen noch vor dem Arbeitsgericht über die aktuelle Entwicklung vor Gericht und an den jeweiligen Arbeitsplätzen aus. So schaffen sich die Rider*innen Räume, wo sie sich treffen, austauschen und koordinieren können. Damit soll auch verhindert werden, dass der Arbeitskampf auf der juristischen Schiene an Schwung verliert. Die Klagen sind nicht ein Ersatz für die Organisierung am Arbeitsplatz. Sie sind vielmehr nur eine weitere Ebene im Arbeitskampf.
Erfolgreich gegen Union-Busting
Dass die Lieferdienste, nicht nur bei Gorillas, auch zum Mittel der Repression greifen, um gegen die Arbeitskämpfe vorzugehen, zeigte sich bei der Firma cyclelogistics. Dort wurde ein gewählter Betriebsrat, der sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in dem Betrieb eingesetzt hat, unter einem Vorwand entlassen. Nach einem sechsmonatigen Arbeitskampf hat das Berliner Arbeitsgericht Mitte September 2021 entschieden, dass die Kündigung ungültig ist. Der Kollege kann wieder in der Firma arbeiten und auch seine gewerkschaftlichen Funktionen wieder aufnehmen.
„Leider scheint es dem Management gelungen zu sein, unseren Kampf für bessere Bedingungen vorübergehend zu unterbrechen. Aber zum Glück haben sich meine Kolleg*innen, einschließlich derjenigen im Betriebsrat, klar gegen diese Störversuche gestellt“,
kommentierte er seinen Erfolg nach 6 Monaten. Auch die Gorillas-Belegschaft hat eine Betriebsratswahl eingeleitet. Auch dort gibt es Störmanöver des Managements. Es geht dabei um die Versuche von Beschäftigten aus dem Management, sich an der Betriebsratswahl zu beteiligen, was von den Rider*innen mit Grund abgelehnt wird. Ein Mitarbeiter spricht davon, dass viele Beschäftigte durch die Erfahrungen der Arbeitskämpfe der letzten Monate eher bereit sind, Konflikte mit dem Management einzugehen.
Wenn Gorillas damit wirbt, dass es bei ihnen keine 10 Minuten dauert, bis eine Lieferung ausgeliefert wird, kontern die Rider*innen, dass ihre Organisierung mindestens genauso schnell geht. Ihr Kampf stellt das Geschäftsmodell von Gorillas in Frage, das auf der Ausbeutung billiger und flexibler Arbeitskräfte beruht. Ob Gorillas wirklich keine Zukunft in Deutschland hat, wie der Pressesprecher der aktion ./. arbeitsunrecht, Elmar Wigand, prognostiziert, wird sich zeigen. Doch die Beschäftigten haben in den letzten Monaten gezeigt, dass auch sie den Bossen Grenzen setzen können. Ihr Kampf ist nicht zu Ende.
Für den 16. November bereiten sie Demonstrationen in Berlin vor.
Weitere Hintergründe findet ihr auch auf fau.org im Artikel: Was geht ab bei gorillas?
Nicht zu vergessen, das zahlreiche Syndikate bundesweit den Arbeitskampf bei Gorillas unterstützen. Hier nur einmal das Beispiel aus Düsseldorf, aber es gibt zahlreiche weitere!
https://duesseldorf.fau.org/gorilla-workers-support/