In Berlin organisierte ein Bündnis für die Verteidigung des Streikrechts eine Solidaritätsveranstaltung.
„Es kann nicht sein, dass bei uns im Streikrecht immer noch die Entscheidungen eines Nazijuristen gelten“ erklärt der Rechtsanwalt Benedikt Hopmann am 10. Dezember auf einer Solidaritätskundgebung unter dem Motto „Streikrecht ist Menschenrecht“. Eine Gruppe von Berliner Gewerkschafter*innen, vor allem aus der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), aber auch Unterstützer*innen aus Stadtteilinitiativen und Sozialbündnissen hatten bewusst den Internationalen Tag der Menschenrechte für diese Veranstaltung gewählt. „Wir wollen klarmachen, dass das Streikrecht ein Menschenrecht ist“, erklärte einer der Organisator*innen.
Der Kampf für ein umfassendes Streikrecht ist seit Jahren das Anliegen des Juristen Benedikt Hopmann. Ihm ist es ein großes Anliegen, dass endlich die Spuren von Hans Carl Nipperdey beseitigt werden. Er war einer der Kommentatoren des NS-Gesetzes zur Nationalen Arbeit und hat 1952 während eines Arbeitskampfes ein Gutachten erstellt, das bis heute das Streikrecht in Deutschland maßgeblich beeinflusst. Dazu gehört das Verbot des politischen und des verbandsfreien Streiks, d.h. ein Arbeitskampf ohne gewerkschaftliche Beteiligung. Daher ist es Hopmann ein besonders Anliegen, das Streikrecht in Deutschland auf eine neue Grundlage zu stellen und Nipperdeys Spuren zu tilgen. Dafür kämpft er juristisch, daneben setzt er sich auch in Bündnissen für eine stärkere außerparlamentarische Bewegung für das Streikrecht ein. Diese Notwendigkeit betont auch der Rechtsanwalt David-Sebastian Schumann vom Verein Demokratischer Jurist*innen. Es sei ein Fehler, sich im Kampf um ein umfassendes Streikrecht allein auf die Justiz zu verlassen. So gibt es vor allem bei DGB-Gewerkschaften die Hoffnung, dass die EU-Justiz dafür sorgen werde, dass auch in Deutschland verbandsfreie Streiks bald möglich sein werden.
Dagegen galt auf der Veranstaltung die Devise, dass das Streikrecht am Arbeitsplatz erkämpft werden muss. Das heute überhaupt wieder über den Kampf um ein umfassendes Streikrecht geredet wird, ist den Beschäftigten von Lieferdiensten wie Gorillas in Berlin zu verdanken, die gegen ihre schlechten Arbeitsbedingungen ohne Gewerkschaften gestreikt haben. Die Folgen waren Abmahnungen und Kündigungen, gegen die sich die Kolleg*innen überwiegend erfolgreich juristisch zur Wehr setzten. Aber es gab auch im letzten Jahr zahlreiche Kundgebungen, Demonstrationen, Blockaden vor Warenlagern von Gorillas. Daran beteiligten sich neben den Beschäftigten immer auch solidarische Menschen, beispielsweise im Frühjahr 2022 gegen die Schließung eines Gorillas-Warenlagers auch Nachbar*innen.
Auf der Veranstaltung kamen dann Fernando Bolaños vom Gorillas Workers Collective und Martin Bechert, der zahlreiche Gorillas-Beschäftigte vor den Arbeitsgerichten verteidigt, zu Wort. Marc von der Stadteilinitiative ‚Hände Weg von Wedding‘ betonte in seinem Redebeitrag die Notwendigkeit, Stadtteil- und Betriebsarbeit zu verbinden. Im Weddinger Kiezladen Agnes Reinhold gibt es den Solidaritätstreff ‚Hart am Limit‘. Es sind erste Organisierungsversuche von Sozialarbeiter*innen in Berlin.
Erfreulich war, dass gleich zwei Referentinnen auf die Frauenstreiks eingegangen sind. Die sozialistische Feministin Gisela Notz berichtete über den ersten bundesweiten Frauenstreiktag am 8. März 1994. Sie erwähnte auch die Probleme, diesen selbstorganisierten Streiktag gegen die Bürokratie der DGB-Gewerkschaften durchzusetzen. Die Referentin für feministische Politik bei der Fraktion der LINKEN Judith Solty berichtete über den neuen Anlauf eines Frauenstreiktags am 8. März 2019, der viel Engagement und Begeisterung auslöste. Allerdings haben die Corona-Pandemie sowie interne Konflikte den Kreis der Aktivist*innen schrumpfen lassen. Am 8. März 2023 soll es einen neuen Anlauf geben.
Anny Cory von der Verdi-Betriebsgruppe des Botanischen Gartens berichtet über die Beteiligung eins Teils der dortigen Beschäftigten am von Umweltaktivist*innen ausgerufenen Klimastreik. Dazu muss man wissen, dass die Beschäftigten des Botanischen Gartens sogar über Berlin hinaus bekannt wurden, weil sie mit als outgesourcter Betrieb erfolgreich für ihre Rückkehr in den ursprünglichen Betrieb kämpften. Das bedeutete Lohnerhöhungen für einen Großteil der Belegschaft. Im September 2019 beteiligte sich die Belegschaft am Klimastreik. Mittlerweile wird ihnen dafür freigegeben. Allerdings fragen sich die Kolleg*innen, ob damit nicht die politische Brisanz aus dem Konflikt genommen wird.
Der letzte Block war den internationalen Streikkämpfen gewidmet. So berichtete Haydar Deniz von der türkischen Lehrer*innengewerkschaft, das ihre Gewerkschaftsarbeit kriminalisiert wurde, mehrere Kolleg*innen von der Polizei und Justiz verfolgt wurden, er floh deswegen nach Deutschland. Aus diesen Erfahrungen heraus ist Deniz der Kampf für ein umfassendes Streikrecht auch in Deutschland wichtig. Per Video wurde eine Kollegin von der anarchistischen polnischen Gewerkschaft Inicjatywa Pracownicza (IP) aus Polen zugeschaltet. Sie organisieren Arbeiter*innen im Amazon-Werk Poznan. Die Kollegin sprach sich für eine stärkere Vernetzung der Beschäftigten über Landesgrenzen hinweg aus. Sie müssen ihre Kämpfe globalisieren, wie die Konzerne die Produktion.
Da stellt sich in der Tat die Frage, warum einerseits vor allem DGB-Gewerkschaften die Hoffnung auf ein umfassendes Streikrecht bei der EU-Justiz ablegen, es aber bisher keine EU-weitere Kampagne für ein umfassendes Streikrecht gibt. Besser noch wäre natürlich eine EU-weite Streikbewegung. Dass dies möglich ist, zeigten die Arbeitskämpfe in verschiedenen Ländern der europäischen Peripherie wie Spanien, Griechenland und Italien in den Jahren 2008 bis 2011. Damas demonstrierten und streikten in diesen Ländern Beschäftigte gegen das Austeritätsdiktat der EU-Gremien, dass die Lebensbedingungen vieler Menschen verschlechterte.
Heute stehen wir vor einem Winter mit hoher Inflation und einer Energiekrise. Es gab in den letzten Wochen verschiedene Protestbündnisse, die für einen heißen Herbst gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf die Lohnabhängigen und armen Menschen mobilisierten. Bisher blieb die Resonanz bei diesen Protesten bescheiden. Vor allem die Lohnabhängigen fehlten. Demnächst stehen in vielen Branchen in Deutschland neue Tarifrunden an. Angesichts der hohen Inflation und der Energiekrise könnten diese Tarifrunden unter dem Motto ‚Genug ist genug‘ zum Kampf gegen die Krisenfolgen werden. Dann würde der Kampf um ein umfassendes Streikrecht ganz konkret auf der Straße und in den Betrieben ausgetragen.
Titelbild: https://gewerkschaftliche-linke-berlin.de/
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