Betrieb & Gesellschaft

Time to say Goodbye…

FAU Heidelberg beschließt Auflösung.

Das Hauptsächliche vorweg: Wir haben fertig.

Das Allgemeine Syndikat Heidelberg, seit 2020 in der FAU organisiert, hat seine Auflösung beschlossen. Am 07.02.2025 fand die zweite Vollversammlung zum Thema Zukunft/Auflösung statt. Bereits am 08.10.2024 hatten sich aktive und ehemals aktive Mitglieder zu einer Vollversammlung getroffen und miteinander besprochen, wie nach einer bereits länger anhaltenden Krisenphase des Syndikats weitere Schritte aussehen könnten. Die Anwesenden kamen darin überein, dass sie sich angesichts der Anzahl der aktuell Aktiven, deren begrenzten Kapazitäten und ihren nur in Teilen übereinstimmenden Zielsetzungen, nicht imstande sehen, zeitnah eine fruchtbare Basisgewerkschaftsarbeit zu gewährleisten. Entsprechend wurde die Auflösung des Syndikats als eines der nächsten Ziele beschlossen.

Weiter sollte die Option einer Ortssektion unter der Verantwortung des Syndikats Stuttgart ausgelotet werden, als mögliche Anschlussorganisation für die Mitglieder vor Ort, die weiter aktiv bleiben und ggf. einen Neustart mitgestalten möchten. Der zeitliche Abstand zwischen den beiden Vollversammlungen sollte entsprechenden Raum zum Austausch untereinander, und mit den Genoss:innen des Stuttgarter Syndikats bieten. Gleichzeitig wurde die Zeit genutzt, bereits einige vorbereitende Schritte für die offizielle Auflösung anzugehen. Etwa eine Klärung der Finanzen, das Zusammentragen der noch vorhandenen Materialien, das Verfassen diverser Mitteillungen etc. Außerdem waren da noch Weihnachten und der Jahreswechsel, die gesamtgesellschaftliche Lähmung trifft eben auch FAU Syndikate.

Mit dem Beschluss vom 07. 02. ist es jetzt jedenfalls satzungsgemäß entschieden, die FAU Heidelberg stellt ihre bereits seit längerem brach liegenden Aktivitäten offiziell ein und betreibt eine Abwicklung ihrer Strukturen. Verbleibende Kassenbestände fließen nach Ablauf einer Liquidierungsfrist in die Regionalstruktur. Wir verabschieden uns schweren Herzens und entrichten unsere besten Wünsche und solidarischen Grüße allen Genoss:innen nah und fern, welche die rot-schwarze Fahne weiter hochhalten.

Am Ende eine kleine Rückschau

Es nimmt sich freilich müßig aus, im Nachhinein alles zusammentragen zu wollen, was, wann, an welcher Stelle für was schlussendlich ursächlich, oder eben auch nicht war. Einiges Erhellendes findet sich sicher bereits im Krisentext vom August 2024, der in der Debatte und im Forum erschien. Anderes ist eher dem Wissen und Bewusstsein der betroffenen Mitglieder vorbehalten. Wieder anderes wird vielleicht auch erst mit dem notwendigen (Zeit-)Abstand, oder aber auch niemals ganz klar werden. Dennoch von unserer Seite der Versuch, die wesentlichen Faktoren aus unserer Sicht zusammenzutragen, damit im Idealfall andere davon lernen und profitieren können.

Die allgemeinen Startbedingungen waren sicher ein Faktor. Heidelberg ist eine mittelgroße Universitätsstadt wie aus dem Bilderbuch. Knapp ein Drittel der Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt hier verorten, wechseln alle 2-4 Jahre nahezu komplett durch, was das Etablieren von Kontinuitätslinien zumindest nicht einfacher macht. Stadtbild und lokale Wirtschaft sind vielfach akademisch geprägt und im Dienstleistungssektor verortet, gewerkschaftliche Organisierung ist in Heidelberg nochmal mehr die Ausnahme, als in anderen Städten. Die örtliche radikale Linke verortet sich traditionell, wenn überhaupt, eher autoritär-sozialistisch oder post-autonom, thematisch vor allem antifaschistisch orientiert oder klimagerechtigkeits-bewegt. Klasse und Klassenkampf sind deutlich mehr Teil des Slogans-Pool, als der konkreten Praxis. Eine, wie auch immer orientierte, anarchistische Szene hat sich in Heidelberg nie so recht etablieren können. Auch wenn es immer wieder umtriebige Einzelpersonen und Gruppen gegeben hat, blieben sie immer eher eine Randerscheinung, am ohnehin nicht-bürgerlichen Rand. Soviel zu den allgemeinen Bedingungen.

Dass bei den ersten Gründungsbemühungen in Heidelberg das regional nächstgelegene Syndikat (FAU Mannheim) selbst eher von Dysfunktion und Inaktivität geprägt war – und trotzdem oder gerade deswegen sich wenig kooperativ zeigte, ließ die Gründungsphase zu einer weit mehr kräftezehrenden Unternehmung werden, als es nötig oder zuträglich war. Dennoch, 2019/2020 stabilisierte sich allmählich eine Gruppe aktiver Mitglieder, die dann wiederum inmitten der Aufbauphase ihres Syndikates sich mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie und den folgenden politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen konfrontiert sah, was ein Anwachsen der Gruppe und den Ausbau belastbarer Strukturen nicht einfacher machte.

In den gesamtgesellschaftlich etwas stabileren Folgejahren mangelte es der Gruppe leider an der Befähigung und dem Willen im Syndikat eine gemeinsame Praxis, gemeinsame Prioritäten und klar formulierte Zielmarken zu entwickeln und diese mit einer solidarisch-kritischen Fehlerkultur immer wieder zu konsolidieren. Was sich anfangs wie thematische Vielfalt und freie Assoziation anschickte, stellte sich mit der Zeit eher als Zerstreutheit, Aktionismus und isolierende Fraktionierung heraus. Ein Kreis von 8-10 Personen, mit fast genau so vielen Themenschwerpunkten ergab keine funktionstüchtige Gewerkschaftsarbeit, entwickelte demnach nur schwer Wirksamkeit und erschien folglich Außenstehenden und Interessierten wenig attraktiv. Der schrittweise Rückzug, oder das plötzliche Ausscheiden von aktiven Mitgliedern, wurde nicht selbstkritisch-fragend begleitet, sondern unterschiedslos mit dem Scheiden von Mitgliedern wegen biografischer Umbrüche vermengt.

Zusätzlich lähmte ein nicht aktiv ausgetragener Konflikt die Zusammenarbeit in der Gruppe der Aktiven. Zwischen dem Aufbau und der passiven Blockade eines queer-feministischen Profils und persönlicher Differenzen einiger Akteur:innen miteinander, und nur halbherzig angegangenen Vermittlungsversuchen, rutschte die Arbeitsfähigkeit sowie die allgemeine Stimmung Richtung Bodenlosigkeit. Am Ende der Fahnenstange stand ein kollektiver Arbeitskonflikt, der das desolate Syndikat und die noch völlig unerfahrenen Kolleg:innen des betroffenen Betriebes zwingend überfordern musste – und neben der Überarbeitung einzelner Mitglieder – trotz einiger erzielter Teilerfolge – vor allem Frustration und Ratlosigkeit bei allen Beteiligten hinterließ. Eine Aufarbeitung dieses Arbeitskampfes im Detail fehlt bislang und scheint auch leider nicht mehr absehbar.

Soweit zur Analyse der Defizite. Rückblickend lässt sich festhalten, dass es vor allem konsequentere Debatten um gemeinsame Prioritäten und eine realistischere Abwägung zwischen notwendigem Arbeitsaufwand einerseits und den vorhandenen Kapazitäten im Syndikat andererseits gebraucht hätte. Möglicherweise hätte auch ein aktiveres Konfliktmanagement inklusive der Suche nach externen Hilfestellungen geholfen, die voranschreitende Erosion der Mitgliederstruktur abzubremsen.

Darüber hinaus bleibt aber auch festzuhalten, dass der obenstehende Text vor allem einen Versuch der Problemanalyse darstellt. Es würde den Anstrengungen, dem Engagement, der praktischen Gewerkschaftsarbeit und dem kulturell wertvollen Schabernack, den die Mitglieder der FAU Heidelberg über die Jahre auf die Beine stellten, nicht vollends gerecht werden, würde hier allein der Eindruck einer desolaten und letztlich gescheiterten Organisation zurückbleiben. Dagegen sprächen vor allem die zahllosen Gewerkschafts- und Sozialberatungen, ein gutes Dutzend Solidaritätsaktionen… vielfältige inhaltliche Veranstaltungen, interne Weiterbildungen, eine rot-schwarze KüfA, ein offenes anarchistisches Weihnachtssingen und zumindest die Teilorganisierung eines ansässigen Betriebes.

Zudem glauben wir, dass wir sowohl trotz als auch wegen des letztlich gescheiterten Aufbaus eines stabilen FAU Syndikats viele lehrreiche Lektionen für unsere weitere politische Praxis innerhalb wie außerhalb der FAU gewinnen konnten und hoffen, diese bei Bedarf produktiv anwenden zu können, wie wir hoffen, dass unsere vielleicht etwas grobschlächtige Analyse an dieser Stelle einen Beitrag dazu leisten kann, das Hintergrundwissen der Gesamt-FAU auszubauen und ihre künftige Arbeit voran zu bringen.

Solidarische Grüße
FAU Heidelberg

FAU Heidelberg

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FAU Heidelberg

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