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Über Leben und Arbeit in der Volksrepublik Donezk

Dmitri, 27 Jahre alt, ukrainischer Bergmann, Mitglied der anarchosyndikalistischen N.I. Makhno-Gewerkschaft, arbeitete von 2015 bis 2019 im Bergwerk Sassjadko in Donezk.

Im November 2007 fand hier das größte Unglück in der ukrainischen Bergwerkgeschichte statt; 101 Kumpel verloren ihr Leben. Sassjadko gilt durch eine große, natürliche Menge an Grubengas und hohen Mengen an Kohlenstaub als extrem explosionsgefährdet. Dmitri erzählt über ein tägliches Leben unter außergewöhnlichen Umständen.

Wie groß ist die Belegschaft eures Bergbaubetriebs?

Während ich dort arbeitete, waren ungefähr dreitausend Leute beschäftigt. Vor dem Ausbruch des Krieges waren es sicherlich sechs- bis siebentausend, damals war es noch eine Gesellschaft mit eigenen Läden und Tochterunternehmen. Seit der Schlagwetterexplosion 2007 steht ein großer Teil der Mine unter Wasser. Und natürlich haben viele Menschen die Region verlassen.

Wem gehört das Bergwerk? 

Juchym Swjahilsky, Eigentumer des Bergwerk Sassjadko. Bild: Vadim Chuprina ©

Der Besitzer war und bleibt Juchym Swjahilskyj [einflussreicher Ukrainisch-Israelischer Politiker und Unternehmer, 1933 in Donezk geboren und von 1990 bis 2019 für die Ukrainische Kommunistische Partei und später für die Partei der Regionen von Janukowitsch im Ukrainischen Parlament]. Dass er der Besitzer „war und bleibt“, habe ich nicht ohne Grund hervorgehoben. Am 1. März 2017 hat die Donezker Volksrepublik alle ukrainischen Unternehmen nationalisiert und ihnen den Status von Staatsbetrieben zugesprochen. Das alles aber hindert Swjahilskyj nicht daran, regelmäßig mit seinem schwerbewaffneten Sicherheitsdienst in das besetzte Gebiet zu reisen, um im Bergwerk Anweisungen zu geben.

2015 gab es abermals ein Unglück, wobei 34 Bergleute ums Leben kamen. In russischen Medien wurde berichtet, dass Sachartschenko (damaliges Oberhaupt der Volksrepublik Donezk, der 2018 bei einem Attentat ermordet wurde) den Direktor bestrafen wolle. Hast du davon etwas gehört?

Ich habe mitgekriegt, dass der damalige Direktor in einem Keller festgehalten wurde und es nachher nie zu einem Prozess gekommen ist. Er war einfach verschwunden. Den Gerüchten nach lebt er jetzt irgendwo auf der Krim.

War der Lohn in Ordnung? Konnte man mit diesem Lohn eine Familie unterhalten?

„Unser Lohn ist gut, aber gering“ ist der Lieblingsspruch der Bergleute. Die Lebensmittelpreise in Donezk sind genauso hoch wie in Moskau [um einiges höher als in einem Durchschnittsupermarkt in Deutschland]. Die Löhne betragen aber nur etwa 15.000 bis 25.000 Rubel [etwa 200 bis 350 Euro], das hängt von der Funktion und den erfüllten Zielen ab. Mach dir also selbst ein Bild davon. Früher betrugen die Gehälter in Sassjadko etwa 1000 bis 1500 US-Dollar.

Wie änderte sich die Stimmung unter den Bergleuten während der Ereignisse zwischen 2014 und der Zeit, als du Donezk verlassen hast?

Ich beschreibe mal ganz kurz das Stimmungsbild, nicht nur unter den Kumpels, sondern für Donezk insgesamt. Ich persönlich kenne niemanden, der ursprünglich die Ukraine unterstützte und dann mit der Volksrepublik sympathisiert hat. Aber ich habe öfters miterlebt, wie Unterstützer der Separatisten angefangen haben, sich offen und sehr negativ über die Volksrepublik Donezk zu äußern. Ich habe selbst mehrmals mit einem russischen Elitesoldaten gesprochen, der aus ideologischen Gründen nach Donezk gekommen war, aber nach einer kurzen Zeit das Ganze als ‚Bananenrepublik‘ bezeichnete. Er versuchte zu kündigen und nach Hause zu fahren, dies wurde aber unter diversen Vorwänden stets abgelehnt. Solche Beispiele sind zahlreich. Die Hauptbasis der Unterstützer der Volksrepublik sind diejenigen, die vom System profitieren, unter anderem auch auf Kosten der Bergleute. Der Rest überlebt einfach und wartet auf das Ende des Krieges.

Hast du die Versammlungen zur Gründung der Volksrepublik miterlebt? Was sind deine Erinnerungen daran?

Diese Versammlungen fanden sehr oft statt. Was für Eindrücke kann man da haben… Die Einwohner kommen hin, um zu schauen, wo der Lärm herkommt und bezahlte Aktivisten mit Fahnen der Volksrepublik und der Russischen Föderation sorgen für die bildliche Untermalung. Ich weiß noch, wie sie schüchtern und verunsichert in der Ecke eines Platzes standen. Erst später, mit Propaganda und großzügigen finanziellen Mitteln, sind sie zu den Leuten geworden, die sie heute sind.

Die russische Propaganda bezeichnet manche Einheiten des Milizheers der sogenannten Volksrepubliken hartnäckig als ‚antifaschistische internationale Brigaden‘. Gemeint sind einige EU-Angehörige ‚kommunistischer Überzeugung‘, die gekommen sind, um an der Seite der Volksrepubliken zu kämpfen. Bist du solchen ausländischen ‚Linken‘ schon mal begegnet?

Linke aus dem Ausland habe ich hier nicht gesehen, aber russische Rechte gibt es mehr als genug! In der Separatistenarmee kann man alle möglichen Leute treffen: normale Soldaten und Offiziere der russischen Armee, russische Militärberater, hiesige Rechte, Alkoholiker und dazu noch Söldner, die ihr Leben lang von einem Brennpunkt zum anderen ziehen, Veteranen aus dem Tschetschenienkrieg und sonstige ‚Freiwillige‘. Aber von Antifaschismus oder Freiheitskampf kann hier keine Rede sein. In der Volksrepublik sieht man sowieso recht wenig vom Volk. Diese antifaschistischen Interbrigaden sind wohl eher ein weiteres Propagandamittel, um zu zeigen wie ‚faschistisch‘ die Ukraine sei.

„Kumpels von Sassjadko“, Vadim Ghirda ©

Hast du Probleme gehabt, weil du in der anarchistischen Gewerkschaft bist?

Nein, ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht. Einige Kollegen waren interessiert. Es ist Schwerstarbeit in den Minen. Viele teilen meine Überzeugungen, sie sagen es nur mit anderen Worten. Schon seit meiner Studentenzeit bin ich bei der anarchistischen Bewegung. Nach meinem Praktikum bin ich als Bergwerkingenieur in dem Bergwerk Sassjadko geblieben.

Wie würdest du die Machthabenden in der Volksrepublik Donezk in ideologischer Hinsicht beschreiben?

Ein totalitäres System ist es auf jeden Fall. Eine wirkliche Ideologie steckt aber nicht dahinter. Stell dir vor, dass jemand ein Haus mietet, das bald abgerissen wird. Es wird nichts mehr repariert oder verschönert. Sowohl der Mieter, als auch der Eigentümer lassen einfach alles mitgehen, was noch einigermaßen Geld einbringen kann. Und das war es. Die Einzigen, die dieses System unterstützen, sind diejenigen, die nach der Übernahme durch die russischen Truppen Karriere haben machen können, ein einfacher Streifenpolizist, der auf einmal zum Hauptkommissar ernannt wird, ein Sachbearbeiter, der Richter wird. Auf einmal saß eine neue Gruppe am Futtertrog.

Ist in den Läden noch etwas erhältlich?

Alle ukrainische Supermarktketten sind nach der Abtrennung in die Hände einiger örtlichen Unternehmern übergegangen. In den Läden gibt es eigentlich nur noch Lebensmittel aus Russland und dann noch größtenteils aus der humanitären Hilfe von dort.

Die Hilfe, die eigentlich kostenlos an die Bevölkerung von Donezk verteilt werden sollte?

Die einzigen, die diese humanitäre Hilfe manchmal kostenlos erhalten, sind kinderreiche Familien und ältere Menschen. Vor einigen Jahren erhielten meine Großeltern ein Paket aus Russland… mit einer Dose Konserven und einer Packung Zucker. Das meiste wird aber in Geschäften oder auf Märkten verkauft.

Glaubst du, dass die Regierung in Kiew den Konflikt bald beenden kann?

Das hoffe ich aufrichtig. Aber ich fürchte, es wird einige Zeit dauern. Es ist von einem Waffenstillstand die Rede, aber man hört immer wieder von neuen Beschießungen.

Ist es möglich, die Volksrepublik zu verlassen oder dort einzureisen?

Für eine Ausreise aus der Volksrepublik wird eine Genehmigung gebraucht. Diese kann online beantragt werden. Die Bearbeitung dauert 4 bis 10 Tage. Als ich 2019 abreiste, gab es keine Probleme. Andersrum geht auch. Es gibt nur kilometerlange Warteschlangen vor dem Grenzübergang.

Du bist seit 2019 in Kiew. Bist du zufrieden mit deiner damaligen Entscheidung Donezk zu verlassen?

Ohne meine Familie ist es sehr schwierig. Das ist definitiv ein negativer Aspekt. Ein großer Unterschied zu Donezk ist, dass ich mich in Kiew frei bewegen kann. Okay, jetzt nicht, Quarantäne… In Kiew ist immer etwas los. Es wird gebaut, es gibt freien Handel. Es gibt viel zu tun. Aber in Donezk war alles tot. Ausgangssperre um 23.00 Uhr. Nichts für junge Leute zu tun. Keine Konzerte. Oder nein, von jenen russischen Bands aus den achtziger und neunziger Jahren, die niemand hören will. Die kamen rüber zu uns. Und wenn man nach elf Uhr abends Pech hatte, konnte man bis zum nächsten Morgen auf der Polizeiwache ausharren. Und selbst, wenn man es getrennt von der Freizeit sieht, die für ein interessantes Leben doch auch sehr wichtig ist… Es gab nur das Bergwerk. Sonst nichts.

 

Danke an https://situazion.info/ für die Herstellung von Kontakt zu Dmitri und die Erlaubnis einige Fragen und Antworten aus einem früheren Interview zu benutzen.

Beitragsbild: „Kumpels des Sassjadko Bergwerks auf dem Weg unter Tage“, Vadim Ghirda ©

Ardy Beld

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Ardy Beld

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