Umgang mit der Corona-Krise – eine syndikalistische Zwischenbilanz

In unserem dreiteiligen Artikel geht Steff Brenner in Teil I und II der Frage nach, wie sich die syndikalistischen Gewerkschaften Deutschlands und der Welt mittlerweile auf die veränderten Umstände eingestellt haben. In einem letzten Artikel wird über die möglichen Entwicklungen, Handlungs- und Bündnismöglichkeiten in den nächsten Wochen spekuliert.

Teil 1 – Syndikalistische Gewerkschaften Deutschlands in der Corona-Krise

In Deutschland gibt es unseres Wissens nach aktuell drei syndikalistische Gewerkschaftsbünde und eine größere Betriebsgewerkschaft, das sind die Föderationen der Industrial Workers of the World (IWW) und der Freien Arbeiter*innen Union (FAU) – jeweils Gewerkschaftsföderationen für alle Berufe–, die Gefangenengewerkschaft / Bundesweite Organisation (GG/BO) und die Betriebsgewerkschaft an der Goethe-Universität Frankfurt unter_bau. Betrachten wir zunächst die Entwicklungen im größten Verband, der FAU:

Einer der ersten Schritte bestand für die Basisgewerkschaften vor Ort darin, sich einen genauen Überblick über die arbeitsrechtlichen Regelungen in Pandemie-Zeiten zu verschaffen. Hier haben die FAU Jena und die FAU Berlin sehr schnell mit zwei umfassenden Übersichten unterstützt. Es folgten spezielle Ausarbeitungen, u.a. zu ALGII-Bezug durch die FAU Magdeburg und Übersetzungen bspw. ins arabische durch die FAU Marburg-Gießen-Wetzlar.

Von den aktuell aktiven FAU-Gewerkschaften bieten mittlerweile fast alle spezielle arbeitsrechtliche Sonderseiten auf ihren Home-Pages an, ca. die Hälfte haben ihre Beratungs-Angebote zu dem schon auf Online- und/oder Telefonberatungen umgestellt. Ebenfalls ca. die Hälfte der Syndikate ist sehr aktiv in den nachbarschaftlichen Hilfsnetzwerken und Mitnehmzäunen (teilweise auch als Initiator_innen von Netzwerken mit hunderten Helfer_innen) in ihren Städten und ein etwas kleinerer Teil begleitet die aktuelle Situation durch intensive Medienarbeit. Bei der Verlegung inhaltlicher Veranstaltungen ins Netz hängt die Föderation noch ein wenig hinterher. Bis jetzt gab es eine Podiumsveranstaltung mit der FAU Münster und ein Video zur aktuellen Situation von der FAU Berlin.

Besonders zu erwähnen ist, dass die Umstellung interner Treffen und Beratungsangebote auf einen Online-Modus durch das beherzte Handeln der Bundes-IT-Mandate mit eigenen Tools binnen weniger Tage realisiert werden konnte.

Betriebsbezogen aktiv wurde u.a. die FAU Bonn mit mehreren Unterstützungs-Telegram-Gruppen für unterschiedliche Branchen, die FAU Dresden mit einer Sammlung von Hilfsfonds für unterschiedliche Beschäftigungsgruppen und der Unterstützung von Aufrufen im Kultur- und Bildungsbereich. Die FAU Berlin kämpft aktuell für die Verbesserung der Corona-bezogenen Situation in den örtlichen Universitäten.¹ Mehrere Syndikate berichten bereits über einen deutlichen Anstieg der Beratungs- und Fallzahlen, auch erste Auseinandersetzungen wurden schon geführt, i.d.R. um Kündigungen und Kurzarbeit. Dieser Trend wird sich sicherlich noch deutlich verstärken.

Während es um die Kolleg*innen der Gewerkschaftsföderation IWW in Deutschland leider sehr still ist, sind die Genoss*innen in der Gefangenengewerkschaft GG/BO dafür aktuell um so aktiver. Das ist leider auch bitter nötig: Mit fast täglicher Berichterstattung zeichnet die Gewerkschaft ein bedrückendes Bild von den mangelnden Hygiene-Maßnahmen in den deutschen Knästen und der Corona-Gefahr für alle Inhaftierten. Es scheint klar: In einem deutschen Gefängnis inhaftiert zu sein mindert die Überlebenswahrscheinlichkeit für Risikogruppen erheblich. Gleichzeitig kommt es vielerorts zu Einschließungsmaßnahmen und Haftverschärfungen, während es im selben Moment Häftlinge sind, die die dringend benötigten Mundschutz-Masken für Pflege- und Krankenhauspersonal nähen. In dieser Situation bemüht sich die GG/BO aktuell um das Herstellen einer breiten Öffentlichkeit und die konkrete seelische und medizinische Unterstützung ihrer gefangenen Mitglieder.

Die Betriebsgewerkschaft unter_bau der Goethe-Universität Frankfurt am Main informiert ihrerseits seit Wochen in der Universität über Corona und die damit zusammenhängenden arbeitsrechtlichen Konsequenzen. Sie haben nun einen Forderungskatalog an die Universitätsleitung vorgelegt, der sicher weiteren syndikalistischen Hochschulstrukturen als erstes Vorbild dienen kann.

Inhaltliche Statements und Einordnungen der aktuellen Lage oder gar gesamtgesellschaftliche Forderungskataloge sind ansonsten aus den Reihen des syndikalistischen Spektrums noch rar gesät, kein Wunder bei den enormen Umstrukturierungen die wir auf Arbeit aktuell erleben und den Erfordernissen der Umstellung unserer alltäglichen, gewerkschaftlichen Hilfsleistungen.

Erste Aufschläge gab es aber trotzdem, so von der FAU Jena mit ihrem Statement „Coronakrise – was können wir tun, wer bezahlt dafür?“ und der FAU Magdeburg mit ihrem Text „Der Virus und die Krise des Kapitalismus“. Ralf Dreis von der FAU Frankfurt am Main philosophierte in der Direkten Aktion diese Woche außerdem über den Effekt abendlichen Klatschens und mögliche kritische Einschübe in diese Aktionsform.

In den nächsten Wochen wird die syndikalistische Bewegung zunächst vor der Aufgabe stehen, die vielen Anfragen von wirtschaftlich bedrängten Lohnabhängigen zu begleiten, ihre Online-Angebote auszubauen. Daneben wird es aber nötig sein, auf die Interpretation der Krise den größtmöglichen Einfluss zu nehmen, medienwirksam darzustellen, dass die Toten der Corona-Krise keine bedauernswerten Opfer einer natürlichen Katastrophe sind, sondern Opfer der kapitalistischen Systematik, in der für das Wohl der Bevölkerung immer nur das mindeste ausgegeben und investiert werden kann, will mensch als Unternehmen oder auch Staat auf dem internationalen Mark bestehen.

Es wird außerdem nötig sein, die aktuellen Einschränkungen der Grundrechte nicht nur wieder zurück zu erkämpfen, sondern, wo immer möglich, die Handlungsspielräume im Streikrecht, der Versammlungsfreiheit, dem Datenschutz etc. noch zu erhöhen – denn für die kommende Krise werden wir diese Möglichkeiten im Kampf für unsere täglichen Brötchen brauchen. Schließlich wird die syndikalistische Bewegung Deutschlands vor der Aufgabe stehen, realistische Szenarien von der bevorstehenden Wirtschaftskrise und den staatlichen Umgangsstrategien zu entwickeln und sich auf eine Zeit sehr harter Klassenauseinandersetzungen vorzubereiten. Unbeantwortet ist aktuell außerdem die Frage, wie in der aktuellen Situation eine wirksame Solidarität mit den Geflüchteten in Griechenland/Türkei oder der Bevölkerung im von türkischer Invasion bedrohtem Nordsyrien aussehen kann und sollte.

Anregungen für weitere Aktions- und Kampfformen werden wir uns im Teil II des Artikels anschauen, wenn wir den Blick auf die Forderungen und Aktionen unserer Schwesterngewerkschaften in der Internationalen Arbeiter*innen Konföderation (IKA) richten. Im III. Teil des Artikels werden wir schließlich einen Ausblick wagen, was uns in Deutschland evtl. bevor steht und welche Handlungs- und Bündnismöglichkeiten es in dieser Lage geben könnte.

¹ https://berlin.fau.org/news/stuehleruecken-in-zeiten-von-corona-zur-gefaehrdung-von-beschaeftigten-der-hu-bibliotheken und https://berlin.fau.org/news/forderungen-an-die-universitaeten

Beitragsbild: Alexey Hulsov CC0 1.0 2020

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