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Für die Unabhängigkeit Kataloniens! Damit mein Vater endlich seine Flagge abhängt

Beim Unabhängigkeitsreferndum in Katalonien zeigt der spanische Staat sich von seiner hässlichen Seite. Eine subjektive Sicht auf die Dynamik von Repression und Selbstbestimmung.

Katalonien. Es gibt wenige Momente in meinem Leben, die mich emotional so mitgerissen haben. Ich stehe manchmal kurz vor den Tränen, aber ich könnte auch jubelnd durch die Straßen laufen.

Ich wurde vor 30 Jahren in Barcelona in eine linke, aber katalanisch-nationalistische Familie geboren. Mein Vater sagte einmal den Satz: „Wenn das katalanische Volk irgendwann seine Freiheit zurück erlangt, werde ich alle meine katalanischen Flaggen abhängen.“

Mein Vater wurde mitten in das Franco-Regime geboren. Mein Ur-Opa wurde wegen einer katalanischen Flagge zu drei Jahren Haft verurteilt. Die Katalanen wurden durch das Regime extrem unterdrückt: oft mit Gewalt, aber auch durch offene Benachteiligung. So wurden zum Beispiel katalanische – und auch baskische – Wehrdienstleistende an die entferntesten Ecken Spaniens geschickt, um einer Flagge zu dienen, die sie unterdrückte. Bei meinem Vater waren das die kanarischen Inseln – kein Ort in Spanien ist weiter entfernt von Barcelona. Die spanische Regierung hat diese Praxis auch nach der Ablösung Francos durch den König – fälschlicherweise als „transición“ (Transition) benannt – weitergeführt. Diese Praxis haben vor allem die Basken zu spüren bekommen. Baskische Gefangene mussten ihre Haft in Andalusien oder Extremadura absitzen, damit die Familien für ein paar Stunden Besuch ihrer Angehörigen bis zu 1500 km hin und 1500 km zurück fahren mussten.

Mein Vater hat mir erzählt, dass er immer eine Pro-Real-Madrid-Zeitung – den Diario Marca – bei Demos dabei trug, damit er unauffällig an der Polizei vorbeilaufen konnte, ohne Angst vor Repressionen haben zu müssen. Damals wurden Menschen ohne jeglichen Grund verschleppt. Heute hat man einen Grund dafür gefunden: Man tarnt die Willkür hinter den Verhaftungen einfach mit dem „Antiterrorgesetz“. Dieses Gesetz erlaubt der Polizei und den Richtern, jemanden bis zu 5 Tagen ohne Kommunikation mit einem Anwalt oder Freund*innen/Familie zu entführen. Freunde und Bekannte, deren einziges „Verbrechen“ es war, links zu sein, wurden verschleppt, um in Madrid psychischer und oftmals auch physischer Folter zu unterliegen. Da ging es nicht um das Verhindern einer Straftat, es war purer Hass auf Andersdenkende. Gestützt von einer Regierung, die das Wort Demokratie benutzt, um solche Taten zu rechtfertigen.

Repression im Namen der Demokratie

Dieses Wort, „Demokratie“, wird auch heute wieder benutzt, um die Unterdrückung eines fundamentalen Rechts – nämlich der Selbstbestimmung – zu legitimieren. Die Regierung, Kinder und Enkelkinder des Franco-Regimes, hatte sich lange Jahre hinter diesem Wort verstecken können, als in Spanien relativer wirtschaftlicher Aufschwung zu spüren war. Mit der sogenannten Wirtschaftskrise veränderte sich alles: Die Ungerechtigkeiten in Spanien konnten nicht mehr mit dem Versprechen von Wohlstand getarnt werden. Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit wurden zu immer größer werdenden Problemen. Die Menschen äußerten ihren Missmut und organisierten sich. Sie forderten gemeinsame Lösungen. Sie forderten ein würdevolles Leben. Was tat die Regierung? Sie beschloss die „ley mordaza“ – das Knebelgesetz: Jegliche Art von zivilem Ungehorsam wurde mit extrem hohen Strafen belegt. So will die Zentralregierung, nach alter Franco-Manier, alle Probleme lösen. Die Geschichte wiederholt sich. Statt Lösungen zu bieten, werden die Menschen, die Lösungen forderten oder sogar darboten, gewalttätig unterdrückt.

Eine solche Unterdrückung lässt sich nicht lange aushalten. Dadurch ist in den letzten Jahren eine gewaltige Protestbewegung entstanden. Die Menschen haben sich auf den Straßen vereint und das Vertrauen aneinander wieder aufgebaut. In Katalonien ist – parallel zu den Protesten gegen die Sparpolitik der Regierung – der Kampf für die Selbstbestimmung der Region aufgeflammt: ein Kampf, der in allen Schichten der Gesellschaft angekommen ist.

Die Ungerechtigkeiten sind nämlich bei jedem Lohnabhängigen zu spüren. Menschen besetzten Häuser, damit Familien darin leben können. Sie besetzen Universitäten, damit die unsozialen Bildungsgesetze nicht umgesetzt werden können. Der zivile Ungehorsam ist vom Werkzeug des politischen Kampfes zur Waffe für das blanke Überleben geworden.

In Katalonien soll am 1. Oktober 2017 über eine mögliche Abspaltung von Spanien abgestimmt werden. Wieder zeigt die spanische Regierung ihren franquistischen Charakter: Die Abstimmung wurde für illegal erklärt. Wieder benutzten sie das Argument, dass das Referendum gegen die demokratischen, in der Verfassung von 1978 verankerten Grundlagen verstoße, also ein Anschlag gegen die „Demokratie“ wäre. Was hier wie eine Aussage des Wahrheitsministeriums erscheint, ist in Spanien eine gängige Art der Auseinandersetzung mit den Problemen des Landes.

Menschen, die Selbstbestimmungsrecht fordern, werden kriminalisiert, weil sie ein Referendum abhalten wollen. Es werden sogar die Organisator*innen dieses Referendums festgenommen. Wahlurnen werden beschlagnahmt. Die Schulen und andere öffentliche Einrichtungen, an denen das Referendum stattfinden soll, werden unter polizeiliche Kontrolle gestellt. Drei Schiffe mit bis zu 4500 Betten, warfen vor den größten Städten Kataloniens Anker, um die vielen aus allen Regionen Spaniens angeheuerten Polizeikräfte zu beherbergen.

Jeden Tag treffen neue noch erschütterndere Nachrichten auf die Menschen. Der Zustand ist nicht mehr auszuhalten. Daher ist es jetzt wichtiger denn je, dass wir alle Präsenz auf der Straße zeigen. Wir müssen zeigen, dass wir stärker sind als irgendwelche alteingesessenen Strukturen. Dass wir alle Ketten sprengen können, die man uns auferlegt.

Wofür kämpfen wir?

Die CNT in Katalonien begrüßt den zivilen Ungehorsam, der sich im Konflikt Bahn bricht, und ruft zum Generalstreik am 3. Oktober 2017 auf.

Es ist eine sehr schwierige Situation, in der ich mich nicht auf eine intellektualisierte Ebene begeben will und kann. Ich kann nur aus einer emotionalen Ebene appellieren: Wir müssen kämpfen! Für unsere Freiheit! Für das Selbstbestimmungsrecht aller Menschen!

In Katalonien würde sich nach der möglichen Unabhängigkeit eine Regierung bilden, die wahrscheinlich nicht unserem Idealbild der Gesellschaftsorganisation entspricht. Es würde immerhin – durch die überschaubare Größe Kataloniens – eine nähere Regierung sein als die jetzige in Madrid. Es eröffnet die Möglichkeit neue basisdemokratische Experimente anzugehen. Das können wir aber nur schaffen, wenn wir die Ketten, die die spanische Zentralregierung der iberischen Halbinsel aufbürgt, sprengen. Eine Unabhängigkeit Kataloniens könnte diese faschistische Regierung so weit in die Knie zwingen, dass ein Präzedenzfall für andere Regionen in Spanien entsteht – vielleicht sogar für andere Regionen in Europa und der Welt.

Es ist ein erster Schritt. Ich weiß selbst nicht, wohin dieser Schritt gehen wird: ob zum Guten oder zum Schlechten. Aber eines ist sicher: Es wird sich was verändern und wir können hier und jetzt der Menschheit eine basisdemokratische, zukunftsorientierte, solidarische und ökologische Alternative bieten. Lasst uns den Impuls, den die katalanische Gesellschaft gerade in Gang setzt, dafür nutzen, eine bessere Welt zu erschaffen: eine friedliche und selbstbewusste Welt.

Dafür müssen wir jetzt auf die Straßen gehen! Dafür – und damit mein Vater endlich seine Flagge abhängen kann!

Hans Laubek

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Kommentare

  • Ich kann zwar die Emotionalität des Autors vor dem Hintergrund der Erfahrungen seiner Familie verstehen. Aber die Zeiten, wo der Catalanismo zur Unterdrückung durch den spanischen Staat führte, sind lange vorbei. Seit Jahren ist es eher umgekehrt - der katalanische Nationalismus benutzt Sprache und Kultur als Waffe gegen den Teil der Bevölkerung Kataloniens, der von ihnen als "zugewandert" betrachtet wird und bei dem manche katalanischen Nationalisten von "Überfremdung" sprechen. Bei aller Wut in ihrem Text hat Doris Ensinger (siehe ihre Polemik bei muckracker.wordpress.com) leider in Vielem Recht. Und eines dürfen wir niemals vergessen. Nationalismus ist immer und überall ein Spaltungsinstrument der nationalen Eliten, das uns von den eigentlich wichtigen Kämpfen um soziale Befreiung ablenken oder abhalten soll. Natürlich müssen wir gegen die Repression durch egal welchen Staat zusammen stehen. Aber wir dürfen uns niemals für die nationalistischen Interessen irgendwelcher bürgerlicher Eliten einspannen lassen!

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Veröffentlicht von
Hans Laubek

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