Der Film von Johanna Schellhagen macht Mut und könnte Diskussionen anregen.
„Hallo, ich bin Johanna, ich habe 20 Jahre Streiks und soziale Bewegungen gefilmt und war sehr spät dran, zu begreifen, welche Katastrophe der Klimawandel ist“. Mit diesem persönlichen Statement beginnt die Regisseurin Johanna Schellhagen ihren neuesten Film „Der laute Frühling“.
Schellhagen ist Gründerin der Plattform labournet.tv., auf der zahlreiche soziale Bewegungen und Klassenkämpfe dokumentiert sind. Mit ihrem Film „Die Angst wegschmeißen“ machte Schellhagen 2015 eine Serie von Arbeitskämpfen in der norditalienischen Logistikbranche bekannt.
Nun will sie die Erfahrungen, die sie in den letzten Jahren gesammelt hat, mit der Klimabewegung teilen. Im ersten Teil ihres Films finden sich Videoausschnitte über Aktionen der Klimabewegung.
Positiv ist, dass der Film den Blick immer wieder auf den globalen Süden legt, wo das internationale Kapital mit besonders harschen Methoden gegen alle Proteste vorgeht. Der argentinische Anti-Fracking-Aktivist Servat erklärt, warum auch linke Regierungen nicht so einfach aus dem fossilen Kapitalismus aussteigen können. Sie würden sofort gestürzt, so seine Prognose. Tatsächlich aber kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu. Gerade die Sozialreformen, die linke Regierungen beispielsweise unter Chavez in Venezuela durchgesetzt haben, konnten oft nur mit den Geldern finanziert werden, die durch den Export fossiler Brennstoffe wie Erdöl erzielt wurden. Das bedeutet im Grunde, es ist die Eingebundenheit fast aller Staaten in die kapitalistische Weltwirtschaft, die einen Ausstieg aus dem fossilen Kapitalismus so schwer macht.
Schellhagen fokussiert den Film auf die Frage, welche Rolle die Arbeiter*innen im Kampf gegen die Klimakrise leisten können. Der Film ist so auch eine Antwort auf eine bürgerliche Strömung in der Klimabewegung, die sich wie der ehemalige Umweltreferent der Rosa-Luxemburg-Stiftung Tadzio Müller fragt, warum Arbeiter*innen mehr zur Lösung der Klimakrise beitragen können als beispielsweise Beatles-Fans. Schellhagens Film ist eine über 60-minütige Antwort auf diese in der mittelständig geprägten Klimabewegung nicht seltene Position.
Die Klimabewegung muss die Kräfte der Veränderung finden, sagt Schellhagen und lenkt so den Blick auf die internationalen Kämpfe von Arbeiter*innen, die hierzulande oft gar nicht wahrgenommen werden. Hier kann die Regisseurin auf ihre langen Kontakte zu kämpferischen Lohnabhängigen in verschiedenen Ländern zurückgreifen. Sie lässt Aktivist*innen der italienischen Basisgewerkschaft S.I. Cobas ebenso zu Wort kommen wie die kämpferische Amazon-Beschäftigte Magda Malinowski aus Poznan. „Arbeit ist zentral und entscheidend für das kapitalistische Produktionssystem. Wenn wir uns an der Arbeit organisieren, können wir das gesamte System verändern,“ betont sie. Der Film macht klar, dass die Arbeiter*innen die Macht haben, ihre Bedingungen und die Gesellschaft zu verändern. In einem optimistischen Zukunftsszenario kämpfen Klima- und Arbeiter*innenbewegung zusammen gegen den zerstörerischen Kapitalismus. Es gibt große Streiks, nur die Arbeiter*innen in der Lebensmittel- und Carebranche arbeiten weiter, weil sie für lebenswichtige Güter oder Dienstleistungen verantwortlich sind. Gezeigt wird die Gründung von Räten, die Besetzung von Radio -und Fernsehstationen und die Gründung von öffentlichen Großküchen, die für die Essensversorgung sorgen sollen. Im Rahmen des Aufstands kommt es zur Besetzung von Fabriken, Klima- und Betriebsaktivist*innen lernen sich kennen. Am vierten Tag des Aufbruchs kommt es zu Räumungsversuchen von Polizei und Militär. Aktivist*innen rufen über Radio zur Unterstützung der von Arbeiter*innen besetzten und selbstverwalteten VW-Werke in Wolfsburg auf, in der längst keine Autos mehr produziert werden.
Nach ca. 20 Minuten landet der Film wieder in der Realität im Jahr 2022, wo viele Klimaaktivist*innen erkennen, dass die kleinen Schritte aus der Klimakrise eine Illusion sind. Sie reden vom Systemchange. Der Film macht Mut, gerade weil die animierten Szenen aus der Zukunft heute scheinbar so unwahrscheinlich scheinen, aber vielleicht die einzige Möglichkeit sind, die Katastrophe noch zu verhindern. Silent Spring (Lautloser Frühling) hieß ein Buch der Biologin Rachel Carson, dass sie vor 60 Jahren kurz vor ihrem frühen Tod veröffentlichte und das zu einem Klassiker der globalen Umweltbewegung wurde. Der Titel spielt auf den fehlenden Gesang der Vögel und das Zirpen der Insekten an, die durch den Klimawandel verschwunden sind. Johanna Schellhagen hat den Titel aufgegriffen und ins Positive verkehrt. In ihrem Film sind es die Protestschreie der Menschen, die sich überall auf der Welt gegen die zerstörerische Politik wehren, die aus dem stummen einen lauten Frühling machen. Es ist zu hoffen, dass der Film Diskussionen auslöst und vielleicht sogar dabei hilft, Betriebs- und Klimakämpfe zusammenzubringen. Ein kleiner Kritikpunkt soll noch genannt werden: einige Hinweise auf Kämpfe, wo das in den letzten Jahren bereits geschehen ist, beispielsweise beim Kampf gegen die Schließung eines Buschwerks in München oder beim Arbeitskampf im Öffentlichen Nahverkehr 2020, habe ich vermisst.
Der laute Frühling. Gemeinsam aus der Klimakrise, Johanna Schellhagen, BRD 2022, 62min, labournet.tv
Der Film hat am 02.08.2022 im Kino Tonio in Berlin-Weissensee Premiere. Danach läuft er vom 4.-10. August im Lichtblickkino. Weitere europaweite Aufführungstermine finden sich hier.
Beitragsbild von labournet.tv
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