Am 11. November demonstriert die FAU-Initiative in Chemnitz mit lokalen Partner*innen für eine Welt ohne Ausbeutung. Der folgende Artikel setzt auseinander, warum es lohnt seinen Samstag zu investieren und in die drittgrößte Stadt Sachsens zu fahren.
Demos bringen nichts – oder manchmal doch? Viele Menschen, gerade Syndikalist*innen, sind zurecht skeptisch gegenüber Demonstrationen, die im Regelfall eben nicht im Ansatz in der Lage sind, die angeprangerten Verhältnisse zu beenden. Nicht zu Unrecht spricht sich eine anarchosyndikalistische Ansicht dafür aus, Verhältnisse mittels direkter Aktion zu ändern, statt sich in Symbolpolitik zu ergießen.
Die Frage ist nun aber, was eine Demonstration bezwecken soll. Sehen wir eine Demonstration als Möglichkeit, uns in der Öffentlichkeit gegenseitig zu informieren, weiterzubilden, uns und anderen zu zeigen, dass angenommene Hegemonien [1]Dominanz von Ansichten und Institutionen so hegemonial vielleicht gar nicht sind, dann kann eine Demonstration Sinn ergeben und ihr Ziel durchaus auch in Chemnitz erfüllt werden.
In Chemnitz am 11. November auf die Straße zu gehen, kann daher Aktivist*innen den Rücken stärken, die es verdient haben. Es kann ebenso dazu führen, dass Chemnitzer*innen, die bis jetzt isoliert waren, auf diese außerparlamentarische Opposition und Gewerkschaftsbewegung aufmerksam werden und sich organisieren. Es kann schließlich dazu führen, eine Nazi-Bewegung die sich aktuell allmächtig fühlt, ein wenig zu verunsichern.
Mit knapp 250 000 Einwohnern ist Chemnitz drittgrößte Stadt Sachsens. Gleichzeitig ist Chemnitz die noch am stärksten industrie-geprägte Region des Bundeslandes. Hier finden sich v.a. Immobilienindustrie, Maschinenbau und entsprechende Werkstoff- und Zulieferbetriebe. In den 90ern gab es gerade in diesen Industriezweigen harte Abwehrkämpfe gegen die Abwicklung und Stilllegung von Unternehmen, die u.a. in Betriebsbesetzungen mündeten. Viele Lohnabhängige blicken heute noch mit Stolz auf diese direkten Aktionen zurück.
Ein weiterer wichtiger Wirtschaftszweig ist der Gesundheitssektor, so arbeiten allein in dem Konzern Klinikum Chemnitz gGmbH 5000 Beschäftigte.
Für die Gefangenengewerkschaft / Bundesweite Organisation (GG/BO) ist Chemnitz ein besonderer Standort, da in der JVA Chemnitz weibliche Gefangene aus ganz Sachsen, aber auch aus Thüringen und Sachsen-Anhalt inhaftiert werden. Im Knast gibt es eine aktive GG/BO-Gruppe, die sich für Verbesserungen einsetzt. Nachdem es bei einer Solidaritätsdemonstration mehrerer feministischer Gruppen, FAU-Syndikate und GG/BO-Soligruppen am 8. März 2016 im Gefängnis zu tumultartigen Szenen und Willensbekundungen kam, konnte die Gefangenengewerkschaft zunächst eine Verbesserung ihrer Bedingungen erkämpfen. Nach einem Sitzstreik wegen Personalmangels und daraus folgender Reduzierung von Hofgängen antwortete die Gefängnisleitung jüngst allerdings mit Repression.
Zu tun gibt es also einiges für die Anarchosyndikalist*innen vor Ort. Zumal, wie überall in Sachsen, gerade mehr und mehr Lohnabhängige lieber Rechtsradikalen hinterher laufen, statt sich für ihre Interessen einzusetzen.
1933-37 bildete eine kleine FAUD-Ortsgruppe in Chemnitz einen wichtigen Rückgrat für den anarchistischen Widerstand im NS-Deutschland. Die wenigen Chemnitzer Aktivist*innen organisierten zusammen mit Genoss*innen aus Tschechien den internationalen Briefwechsel der illegalen FAUD, schmuggelten Agitationsmaterialien ins und bedrohte Genoss*innen aus dem Land. [2]Darunter Zenzl Mühsam, die Witwe und Kampfgefährtin des ermordeten Erich Mühsam. Das alles ist lange her und doch kommt es einem in der heutigen politischen Lage wieder ins Gedächtnis.
In Chemnitz treiben verschiedenste Neo-Nazi-Gruppierungen ihr Unwesen: Die JN, die Identitäre Bewegung, die NPD, die Partei III. Weg, die Hoolgruppe „NS-Boys“, bis zum Verbot 2014 die Nationalen Sozialisten Chemnitz, das Rechte Plenum. Nicht zu vergessen die AfD mit entsprechenden Tendenzen.
Beim „Rechten Plenum“ handelt es sich um einen Personenkreis, der v.a. von ehemals niedersächsischen Nazis geprägt wird. Ästhetisch und theoretisch orientiert sich die Organisation an der italienischen CasaPound und der spanischen Hogar Social Madrid. Mit hippem Lifestyle versuchte die Gruppe v.a. mit Graffitis, Anschlägen und Übergriffen den Chemnitzer Stadtteil Sonneberg zum „Nazikiez“ zu deklarieren. Eine Taktik, die wir so auch in Bautzen und seit vielen Jahren in Dortmund erleben. In der Gruppe befanden sich immer wieder auch wettbewerbs-aktive Kickboxer*innen, was die Gruppe besonders gefährlich auf der Straße machte. Im räumlichen Umfeld der Gruppenaktivitäten kam es u.a. zu Brand- und Spengstoffanschlägen. Durch umfassendes Outing konnte das Rechte Plenum immerhin im Netz halbwegs zum Schweigen gebracht werden. Inaktiv sind die entsprechenden Nazis deshlab leider nicht.
Ein anderes Phänomen ist die oben bereits genannte Kleinstpartei III. Weg. In ihrem Profil, ihrem Handeln und ihrer Ästhetik nach, ist sie eine klassisch völkische, nationalsozialistische Partei. Sie kopiert ziemlich ungeniert die NSDAP, betont ihren proletarischen Background und spielt mit Symbolik der Deutschen Arbeitsfront. Dabei versucht sie auch gezielt, zunächst links stehende Lohnabhängige zu agitieren und – geht dies nicht auf – gezielt zu bedrohen und mundtot zu machen. Der Partei geht es v.a. um die Vorbereitung einer nationalsozialistischen Führungselite, um auf einen weiteren massenhaften Rechtsruck schnell reagieren zu können. Bis dahin verfolgt auch sie die Taktik von der Herstellung lokaler Dominanz. Der III. Weg verzeichnet aktuell 22 Stützpunkte, wobei die Zahl rasant wächst. Einige Syndikate und Einzelmitglieder durften bereits Bekanntschaft mit dieser Organisation machen. So versucht sie u.a. im Westerwald ganz gezielt die Familien von Aktivist*innen zu bedrohen. In Sachsen ist der III. Weg – auch wieder historische Parallele – in Plauen aktiv. Schon Ende der 20er war Plauen eine der frühen NSDAP-Hochburgen und die Heimatstand des späteren NS-Gauleiters Mutschmann. Daneben existieren Stützpunkte in Mittelsachsen, also um Roßwein und Döbeln, sowie in Westsachsen, was u.a. Chemnitz beinhaltet. Seit einiger Zeit ist der III. Weg auch in Dresden, v.a. im Stadtteil Gorbitz aktiv. Auch hier bewegen sich FAU und III. Weg im selben Terrain. Es ist absehbar, dass der III. Weg hier beizeiten einen Stützpunkt errichten will.
2016 demonstrierte der III. Weg in Plauen, zur gleichen Zeit nahmen mehrere syndikalistische Organisationen an Gegenprotesten in der Stadt teil. Die FAU-Initiative Chemnitz zeigte gleichzeitig Gelassenheit und demonstrierte über den Möchtegern-Nazikiez Sonnenberg mit einer eigenen Mai-Demo, allerdings mit nicht wenig Begleitung von wenig erheiterten, lokalen Nazis. Auch sonst zeigt sich die FAU-Initiative wo sie kann als ein ernsthafter antifaschistischer Partner ohne Scheu, den Nazis ihre Komfortzonen zu nehmen. 2018 will der III. Weg am 1. Mai durch Chemnitz demonstrieren und so einen Tag für die rechte Bewegung vereinnahmen, den die FAU in Chemnitz in den letzten Jahren wieder radikaldemokratisch, emanzipatorisch und antikapitalistisch zu besetzen suchte.
Die seit ca. 5 Jahren bestehende Syndikatsinitiative Chemnitz war bis jetzt in unterschiedlichen Berreichen aktiv. Sie organisierte Treffen für Erwerbslose und Arbeitsrechtsvorträge und unterstützte immer wieder zusammen mit der FAU Dresden einzelne betriebliche Fälle.
Daneben setzt sie sich aktiv für Weiterbildung und Diskussion ein, so u.a. mit Veranstaltungen zu Proletarisierung akademischer Berufe, Gewerkschafts- und Antifa-Arbeit, ökologischen Perspektiven auf Syndikalismus, Globalisierung und organisiert immer wieder eigene Kundgebungen und Demos.
Eine große Stärke der Chemnitzer Initiative ist es, sich vom gesellschaftlichen Rechtsruck nicht in reine Abwehrkämpfen verstricken zu lassen, sondern weiterhin selbstbewusst die eigene Utopie in den Vordergrund zu stellen. Dabei nehmen sich die Genoss*innen jedoch immer wieder die Zeit auch die antifaschistischen Proteste in Chemnitz als auch die Kämpfe und Aktionen von anderen Syndikaten in Dresden, dem Elbsandsteingebirge, Leipzig, Halle und Jena zu unterstützen.
Mit der Fahrt nach Chemnitz unterstützen wir daher eine feine, solidarische Initiative bei der Öffentlichkeitsarbeit und dem Aufbau ihrer Strukturen. Seien wir solidarisch. Sprechen wir Freund*innen an, organisieren wir Zugtreffpunkte, hängen wir selbstgemachte Plakate in unsere Zentren, fahren wir am 11. November nach Chemnitz!
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