Kultur

Weg mit dem § 218

"Cyankali" - Ein haarsträubend aktuelles Werk über Abtreibungen aus der Weimarer Republik wurde erstmals in Griechenland aufgeführt.

Eine parteiübergreifende Gruppe von Parlamentarier:innen im Bundestag will versuchen, endlich den § 218 abzuschaffen und Abtreibungen in Deutschland gesetzlich zu legalisieren. Griechenland ist da seit Jahrzehnten weiter, sind Abtreibungen doch seit 1986 in den ersten 12 Schwangerschaftswochen legal. Allerdings versuchten zuletzt auch hier rechte Reaktionäre und christliche Fundamentalist:innen das Thema erneut auf die Tagesordnung zu setzen. Griechische Frauen bekämen seit Jahren zu wenige Kinder, die Nation sei bedroht und überhaupt müsse „das ungeborene Leben“ geschützt werden, denn Abtreibung sei Mord. Passend zu diesem bisher glücklicherweise nur verhalten anlaufenden Versuch eine Kampagne zu starten, endeckte die griechische Regisseurin Mártha Bouzioúri das von dem deutsch-jüdischen Arzt und Dramatiker Friedrich Wolf 1929 geschriebene Theaterstück Cyankali. Beeindruckt ließ sie das bisher in Griechenland völlig unbekannte Stück übersetzen. Nun wurde es im November und Dezember 2024 am Städtischen Theater von Piräus erstmals in Griechenland aufgeführt.
Der mit Bert Brecht befreundete Wolf beleuchtete darin vor fast 100 Jahren die tragische Realität von ungewollt schwangeren Frauen während der Weimarer Republik. Wie wenig sich seither geändert hat wird nicht nur daran deutlich, dass das Thema in den USA, seit der Ernennung mehrerer reaktionärer Richter am Obersten Gerichtshof durch Donald Trump, erneut hart umkämpft ist. In mehreren US-Bundesstaaten herrschen nun erneut strikte Abtreibungsverbote. Und auch in Europa, wo es vielen Griechinnen schon lange selbstverständlich erscheint über das Austragen eines Kindes oder den Abruch einer Schwangerschaft selbst zu entscheiden, werden Frauen in Polen und Malta schickaniert und kriminalisiert und müssen ins Ausland reisen um abtreiben zu können.

Wer ist diese Männermafia, die Frauen das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper verweigern will? Wer zieht Profit aus den „ärztlichen Gewissensgründen“, die Frauen die zuverlässige Beendigung einer ungewollten Schwangerschaft in einer Klinik unmöglich macht, und sie in die Hände von „Engelsmacher:innen“ treibt? Wie unschuldig ist der Aufschrei der Gläubigen, die sich um „das Recht des ungeborenen Kindes“ sorgen, wenn in Heimen und durch Kinderarbeit diejenigen mißhandelt und ausgebeutet werden, die das Pech hatten in bitterarmen Familien geboren zu werden?
Das sind nur einige der Fragen, die sich während der Aufführung des hochaktuellen Werkes von Friedrich Wolf förmlich aufdrängten. Das 1929 geschriebene Stück wurde danach in ganz Deutschland aufgeführt und als künstlerisch-propagandistische Waffe im Kampf gegen den § 218 benutzt, der den Frauen das Recht auf Abtreibung verwehrte. 1930 wurde Wolf der „gewerbstmäßigen Abtreibung“ beschuldigt und verhaftet, kam jedoch nach Massenprotesten frei. Während der Weimarer Republik waren jährlich über 800.000 Frauen gezwungen auf illegale Weise in unhygienischen Hinterzimmern abzutreiben. Tausende verloren dabei ihr Leben, verschuldeten sich, blieben für immer unfruchtbar oder lebenslang traumatisiert. Wolf bekämpfte mit seinem Stück sowohl als Arzt als auch als linker Dramatiker diese grausame Realität und machte auch auf den Klassencharakter des § 218 aufmerksam. Denn reiche Frauen konnten gute Ärzte bezahlen um sicher und hygienisch abzutreiben, für arme Frauen war dies unmöglich. Nachdem der Abtreibungsparagraph aufgrund großer Proteste gegen Ende der Weimarer Republik leicht liberalisiert wurde (Abtreibung blieb illegal, war jedoch nach einer medizinischen Indikation möglich), wurde der § 218 nach der Machtergreifung der Nazis 1933 noch rigoroser als zuvor gehandhabt. Wolf musste wie so viele ins Exil und seine Werke wurden verbrannt.

In der Beilage „Nisídes“ der Wochenendausgabe der genossenschaftlichen Tageszeitung Efimerída ton Syntaktón vom 23/24. November 2024, äußerten sich Regisseurin Mártha Bouzioúri und die Schauspieler:innen Gogó Kartsána, Kléarchos Papageorgíou, Níkos Koukás und Eva Samióti zum Stück.

Mártha Bouzioúri:
„Als mir das Stück in die Hände fiel, hat mich zuerst die Tatsache beeindruckt, dass ein Mann, ein Theaterregiseur, mit seinem Stück vor fast 100 Jahren, eine führende Rolle im Kampf der Frauen für Selbstbestimmung spielte. Als ich es dann las, war ich schockiert über den haarsträubenden Zyklus der Geschichte und davon, wie kühn, notwendig und hochaktuell ein Theaterstück heute daher kommt, von dem uns ein ganzes Jahrhundert trennt. Davon wie ungelöst noch immer die in ihm angeschnittenen Themen sind, wie Geschlechtergerechtigkeit und die Kämpfe der Frauen, die sich durch ein ganzes Jahrhundert ziehen.
Parallel dazu, während im Mittelpunkt eine illegale Abtreibung in der Zeit der schweren Wirtschaftskrise vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs steht, weist das Stück auf eine Reihe wichtiger Nebenthemen hin. Als da wären, die Klassendimension des Rechts frei entscheiden zu können ein Kind zu wollen oder nicht, die gesellschaftliche Verlogenheit, die Korrumpiertheit des Gesundheitswesens, die stereotype und gesellschaftlich erwartete Darstellung weiblicher Identität oder die Ausbeutung von Frauen in schwächeren Positionen.
Nun ja, und heute wird uns bewusst, dass unser Recht auf Abtreibung nicht nur nicht verfassungsmäßig abgesichert ist, es nicht nur in Frage gestellt und erschwert wird sondern auch sehr einfach abgeschafft werden kann wie uns das jüngste Beispiel der USA, aber auch europäischer Länder wie Polen und Malta, zeigen. Es ist zum Haare raufen, dass in Griechenland im gleichen Moment ein Theaterstück über das Recht legal, sicher und unter Achtung der menschlichen Würde eine ungewollte Schwangerschaft unterbrechen zu können Uraufführung feiert, während auf der anderen Seite des Atlantiks Trump bei den Wahlen triumphiert.“

Gogó Kartsána:
„Es ist wirklich bewundernswert und gleichzeitig auch heroisch, das ein Mann in einer für alle schwierigen Zeit seine Freiheit und sein Leben riskiert um sich für die Selbstbestimmung der Frau einzusetzen. Er hat zum einen so viele Frauen gerettet und es zum anderen mit seinem Stück geschafft die Diskussion zum Thema Abtreibung von der Charakterisierung als Mord dahin zu verändern, dass es sich um das Recht der Frau über ihren Körper und ihr Leben zu entscheiden handelt.“

Kléarchos Papageorgíou:
„Es ist erschütternd, dass das Thema noch immer absolut aktuell ist fast 100 Jahre später. Heute, 2024 ist die Abtreibung in 75 Ländern der Erde vollständig verboten oder streng eingeschränkt.“

Níkos Koukás:
„Ich finde es eine Schande, dass wir das immer noch diskutieren. Das ist auch das krasse an unserem Stück, das es vor einem Jahrhundert geschrieben wurde und so Themen behandelt wie Gewalt gegen Frauen oder die Selbstbestimmung der Frau über ihren eigenen Körper, Themen die heute längst geklärt und selbstverständlich sein sollten und leider noch immer hochaktuell sind.“

Eva Samióti:
„Ich kann sagen, dass ich mich auf Grund unserer Aufführung noch stolzer fühle eine Frau zu sein, gleichzeitig jedoch eine große Traurigkeit spüre weil wir 2024 noch immer über das Recht der Frauen verhandeln müssen selbst über ihren Körper und ihr Leben zu entscheiden.“

Ralf Dreis, Thessaloníki

 

Titelbild: © edition-digital.de

Ralf Dreis

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Ralf Dreis

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