Betrieb & Gesellschaft

Wem gehört das Jobcenter?

Ein kleines Gedankenspiel zu militanter Erwerbslosigkeit

Die glücklichen Arbeitslosen scheinen alles und jede*n gegen sich zu haben. Allein die nackten Zahlen (wir erinnern uns, dreieinhalb Millionen Erwerbslose bei weniger als einer Millionen freier Stellen [1]Statistik Arbeitsagentur scheinen auf der Seite ihrer Fürsprecher*innen zu stehen – und wer mag sich schon auf nackte Zahlen berufen und so tun, als lebten wir in einer vernunftbasierten Gesellschaft? Gerade (glücklichen, aber auch glücklosen) Arbeitslosen erschiene dieser Gedanke lächerlich, wenn er nur nicht so traurig wäre.

Und ansonsten hat sich alles gegen das Anliegen der Glücklichen Arbeitslosen verschworen: das öffentliche Meinungsbild, die vermeintliche Leistungskultur (weiß der Arbeitsteufel, wieso in dieser unseren Leistungsgesellschaft reiche Erben wie die Quants auch ohne jede Arbeit eine gute Milliarde Euro im Jahr Bruttoeinkommen haben können, eine examinierte Pflegekraft kaum mehr als 30.000 €…), allen voran aber die Jobcenter als Orte des permanenten Gängelns, der Entmündigung und der allgegenwärtigen Drohung. Aber eben auch das fehlende Bewusstsein und der eigene, dürftige bis vollends abwesende Grad an Organisierung der Erwerbslosen selbst, erweist sich als problematisch.

Gewerkschaften aller Branchen und Couleur, ob nun überwiegend sozialdemokratisch-korporativ, oder (anarcho-)syndikalistisch und klassenkämpferisch, ob nun sogenannte Einheitsgewerkschaften oder einzelne Berufsgruppenvertretungen, vermutlich selbst die neuerdings wie Schimmelpilze aus den dunkelsten Pissecken der Gesellschaft sprießenden, nationalistischen bis semi-faschistoiden Gesell*innen, sie alle wissen um die Schwierigkeit, die arbeitende Bevölkerung zu ihrem eigenen (vermeintlichen) Wohl zu organisieren.

Das Regime des Neoliberalismus hat eine Herrschaftstechnik der Vereinzelung vollzogen. Mittels der Philosophie des (erschreckend konformen und sich allen anderen zur Gänze ähnelnden) Individuums, einer verhackstückten Arbeiter*innenschaft im Zuge der Flexibilisierung der Beschäftigungsverhältnisse (Leiharbeit, Werksverträge, Minijobs, Befristung,) als auch den Schrecken von ökonomischem wie gesellschaftlichem Abstieg („Hartz IV“), haben die meisten (arbeitenden) Menschen allen Glauben daran verloren, gemeinsame Interessen mit den Kolleg*innen zu teilen, oder diese gar irgendwie irgendwo irgendwann realisieren zu können.

Doch was die Arbeiter*innen zumindest noch haben (wenngleich dank der Digitalisierung immer weniger), ist ein gemeinsamer Ort. Ein Arbeitsplatz hat, neben dem elenden Umstand, sich immer wieder von neuem dort hinschleppen zu müssen, den offensichtlichen Vorzug, sich gemeinsam im Arbeiten, im Gelingen wie Überfordert-sein erfahren zu können. Das sinnstiftende wie das zermürbende, die guten oder eben schlechten Arbeitsbedingungen, werden als geteilte Erfahrung erlebt. Die nicht zu umgehende Kooperation und die damit einhergehende zwischenmenschliche Begegnung, können kleine Risse in das Mauerwerk der Vereinzelung schlagen. Das zusammenkommen ermöglicht ein zusammenstehen, auch wenn es dieses nicht automatisch erzeugen mag. Solidarität ist eine der möglichen Folge davon.

Den Erwerbslosen fehlt ein solcher Ort in Gänze. Der einzige gemeinsame institutionelle Ort, die Agenturen für Arbeit bzw. die Jobcenter, erlauben keine Erfahrung des gemeinsamen, so wenig wie vollgestopfte Fußgängerzonen, ein Stau auf der Autobahn, oder eine überfüllte Tram das kann. Alle befinden sich zwar in der identischen Ausgangslage, sehen sich in die gleiche Rolle gezwungen, aber in ihrem Elend und ihren Kämpfen dagegen bleiben sie weitestgehend allein, höchstens noch bedrängt von der Zeugenschaft und der projizierten Selbstabwertung der Mitbetroffenen und der Konkurrenz um die unerschwingliche Zeit (jede Minute in einer Jobcenterschlange kann zu einer gefühlten Ewigkeit heranwachsen).

Und um kurz noch bei den Gewerkschaften zu bleiben, deren (öffentlichkeitswirksames) Engagement zu diesem Thema lässt meist gehörig zu wünschen übrig. Zum einen bezüglich einer wirkmächtigen Repräsentation der ökonomischen, sozialen und kulturellen Interessen von Erwerbslosen, zum anderen, was die oftmals zutage tretende Einseitigkeit der konzeptionellen Vision zu diesem Thema betrifft. Selbst wenn das Märchen gut bezahlter Vollbeschäftigung ein erstrebenswertes wäre – was gut und gerne bezweifelt werden darf – so bleibt es nicht weniger ein Märchen.

Halbherzig Richtung Politik und Wirtschaft um die Schaffung neuer Jobs betteln, um dann schnell wieder auf die Lohnkämpfe zurückzukommen, sprich, die richtigen, die eigentlichen Gewerkschaftsthemen, das kann es nicht gewesen sein. Aber gut, alles nachvollziehbar, angesichts des potentiellen Organisationsgrades der Betroffenen. Wenn einen schon die Arbeitenden in die Verzweiflung treiben, dann erscheinen diese utopischen Erwerbslosen wenig attraktiv. Und ja, ich weiß auch, dass die großen wie die kleinen Gewerkschaften meist Erwerbslosenausschüsse, AKs, AGs, oder was auch immer sonst noch firmiert wird, betreiben. Aber wo ruft eine Gewerkschaft „ihre“ Erwerbslosen schon mal zur Aktion auf? Oder erwähnt auch nur deren Lage und Interessen in einem exponierten Redebeitrag? Wollen die Gewerkschaften wirklich den Fehler der Parteien wiederholen – und so lange das ökonomisch untere Fünftel außer acht lassen, bis windige Nadelstreifen-Nazis einen Weg finden, diese zu aktivieren? Selbstverständlich darf auch an die eigenen Nasen gefasst werden (die liegt nämlich viel näher, ist aber nicht immer auf Anhieb sichtbar, ein grundsätzliches Dilemma, das viele Themen und Aspekte des Lebens betrifft)!

Wer immer und vor allem ausschließlich auf die anderen hofft, die das mal für einen regeln sollen, Regierungen, Parteien, Einheitsgewerkschaften, um Gottes Willen, vielleicht sogar noch die Kirchen, oder seien es alternativ der große Lottogewinn oder die nächste MeinGrundeinkommen-Verlosung – der hat schon verloren. Und ja, politisches Bewusstsein, Mobilisierung und Organisation, gar politische Aktionen, vor allem in Selbstverwaltung, sind anstrengend.

Glückliche Arbeitslose werden jetzt sagen: Dafür bin ich doch nicht arbeitslos geworden! Aber es wäre ja auch eine gewinnbringende, quasi symbiotische Verknüpfung des entspannten, müßiggängerisch den Tag verbummeln einerseits, politischer Aktionen andererseits, denkbar. Mit 10, 20, 50 mit-erwerbslosen Genoss*innen, direkt vor den Türen des ortsansässigen Jobcenters zu hocken, Mensch-Ärger-Dich-Nicht mit den arbeitswilligen Sachbearbeiter*innen spielen, das wär doch mal was. Wer sagt, Erwerbslose könnten nicht streiken? Oder, wem dieser Grad an ziviler Untätigkeit mitten im Wege, weit weniger zivilen Tätigkeit, zu viel abverlangt, der kann sich auch auf weniger offensive Aktionsformen verlegen: Gemeinsame Frühstücktreffs in Wartebereich des ortsansässigen Jobcenters zum Beispiel, Lesekreise, Spielevormittage, öffentliche Selbsthilfegruppen-Meetings etc. etc. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, und die Hallen und Gänge nicht weniger Jobcenter und Arbeitsämter bieten auch einigen Platz für solche Geschichten und dergleichen mehr.

Warum diesen öffentlichen, ja, steuerfinanzierten Raum nicht nutzen? Warum ihn nicht solidarisch in Anspruch nehmen und ihn auf diese Weise mit neuem Leben füllen, ihn so einem zusätzlichen gesellschaftlichen Nutzen zuführen? Warum die Jobcenter dieses Landes nicht zu gemeinsamen Orten aller Erwerbslosen machen, ob nun arbeitssuchend, arbeitsunfähig, oder glücklich arbeitslos? Die Frage kann gestellt werden: Wem gehört eigentlich das Jobcenter? Eine Antwort steht noch aus.

 

Simon ´Ekke´ Trimpin

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Simon ´Ekke´ Trimpin

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