.. und wie du dich dagegen wehren kannst!
Hast du öfter das Gefühl, dass dir nicht zugehört wird, dass deine Meinungen weniger wichtig sind als die von anderen, dass du nicht wirklich ernst genommen wirst? Provoziert dich dein Chef, nur um sich über dich lustig zu machen? Es kann sein, dass dahinter eine Strategie steckt, die dich an deinem Platz halten soll. Du kannst aber lernen, die Techniken zu erkennen, dich gegen sie zu wehren und das soziale Klima positiv zu verändern.
Die so genannten Herrschaftstechniken sind ein Sammelbegriff für eine Theorie, die von der norwegischen Sozialpsychologin Berit Ås entwickelt wurde, um vor allem patriarchale Strukturen am Arbeitsplatz zu analysieren. In Skandinavien ist diese Theorie seit den 1980ern bekannt und wird oft verwendet, um Situationen und Zustände zu analysieren.
Es gibt laut der Theorie fünf konkrete, subtile Arten und Weisen, mit denen Dominanz aufrecht erhalten wird, und andere in einer untergeordneten Position gehalten werden. Das kann am Arbeitsplatz von Vorgesetzten und Chef_innen gemacht werden, unter Kolleg_innen, in der Beziehung, unter Fremden wie auch in der größeren Gesellschaft.
In einem sehr hohen Grad geschieht dies auch unbewusst und vielleicht sogar ungewollt, weil wir alle seit Geburt in bestimmte Rollen und Verhaltensmuster hineinsozialisiert werden, die in einem ungleichen Machtverhältnis zueinander stehen, entlang von Geschlecht, Ethnizität, Klasse, Behinderungen usw.
Um Herrschaftstechniken anzuwenden muss man auch tatsächlich „herrschen“. Wenn du und deine Kolleg*innen Humor benutzt oder euch insgeheim organisiert, um euch gegen euren unerträglichen Chef zu wehren, übt ihr nicht Herrschaft aus, sondern ihr wehrt euch damit gegen die Herrschaft eures Chefs.
Zudem ist die „Täter-Opfer-Umkehr“ eine beliebte Taktik von übergriffigen Personen. Sobald das Opfer Übergriffe bekannt macht, versuchen die Täter, die Rollen von „Täter“ und „Opfer“ umzukehren, und inszenieren sich selbst als unschuldige Opfer der von ihnen schikanierten Personen. So werden sie auch, falls das Thema „Herrschaftstechniken“ aufkommt, gleich behaupten wollen, dass Herrschaftstechniken von anderen gegen sie selber angewendet werden.
In keiner besonderen Ordnung sind die Herrschaftstechniken Folgende:
Unsichtbar machen – jemanden marginalisieren und verunsichern, indem man zeigt, dass ihre Meinungen und Ideen unwichtig sind:
• Eine Person, die spricht, ignorieren (nicht zuhören, mit anderen tuscheln, nur warten bis sie zu Ende geredet hat und dann sofort das Thema wechseln, sie unterbrechen während sie redet);
• Eine Person sagt etwas und niemand reagiert; eine andere Person wiederholt dasselbe und plötzlich wird es wahrgenommen; oder eine Person sagt etwas und es wird in Frage gestellt, eine andere wiederholt es ohne neue Informationen und es wird auf einmal akzeptiert;
• Du erhältst kein Feedback zu deiner Arbeit – weder positives noch negatives – deine Arbeit wird einfach ignoriert.
Lächerlich machen – jemanden marginalisieren indem man sich über sie lustig macht, sie dazu bringen, sich unfähig, peinlich und unwichtig zu fühlen:
• Sich über das Aussehen oder Tonfall/Ausdrucksweise einer Person lustig machen, und somit die Aufmerksamkeit von ihren Meinungen und Aussagen wegnehmen;
• Eine Person abwertend mit Tieren, Kindern usw. gleichstellen;
• Unterstellen, dass eine Person keinen Humor hat oder „politisch korrekt“ ist, wenn sie sich über das Verhalten oder Aussagen von jemanden beschwert;
• Eine marginalisierte Person die viel Platz einnimmt abwertend darstellen, als „Flintenweib“, „Bitch“, „so aggressiv“, „alle müssen vor ihr Angst haben“ usw.; und umgekehrt eine zurückhaltende Person abwertend darstellen als „Opfer“, „psychisch labil“, „Fußmatte“ usw.
Zurückhalten von Information – eine Person aus dem Beschlussprozess ausschließen, oder bewusst Informationen von ihr zurückhalten, damit sie schlechtere Voraussetzungen hat, ihre Aufgaben zu erledigen und informierte Beschlüsse zu fassen:
• Du wirst zu einem Treffen, das dich betrifft, nicht eingeladen, oder das Protokoll wird nachher nicht an dich geschickt;
• Beschlüsse werden gefasst oder vorbereitet bei informellen Treffen und Gesprächen, zu denen nicht alle Zugang haben, z.B. im Umkleideraum, in der Sauna oder bei Freizeitaktivitäten.
Schuld unterstellen, egal was man tut („Doppelte Bestrafung“) – jemanden in eine unmögliche Situation versetzen, jemanden bestrafen oder abschätzen, egal wie sie sich verhält:
• Wenn du deine Aufgaben sorgfältig machst, beschwert man sich, dass du zu langsam bist – wenn du effizient arbeitest, kritisiert man, dass du zu schlampig bist;
• Du bist unprofessionell, wenn du deine Kinder bzw. Familie prioritierst, aber wenn du Beruf vor Familie prioritierst, bist du eine schlechte Mutter/Frau;
• Wenn du dich über etwas beschwerst hast du „überreagiert“, wenn du versuchst es zu lösen ohne etwas zu sagen „hättest du doch was sagen sollen“.
• Du wirst dazu aufgefordert, selbstsicherer aufzutreten, aber wenn du das tust, bezeichnet man dich als aggressiv, schwierig usw.
Auftragen von Schuld und Scham – eine Person dazu bringen, zu glauben, dass sie selbst an etwas, das ihr angetan wurde, Schuld hat:
• Du meldest deinem Vorgesetzten, dass ein Kollege dich mit einem sexistischen Kommentar beleidigt hat, aber er sagt, dass du selbst schuld bist, weil du dich „aufreizend“ anziehst;
• Du hättest über das informelle Treffen herausfinden sollen, obwohl es geheim gehalten wurde;
• Niemand hört dir zu, aber du hast das Gefühl, dass es daran liegt, dass du dich blöd oder undeutlich ausgedrückt hast;
• Wenn du unakzeptables Verhalten kritisierst, wird dir klar gemacht dass du dich daran anpassen musst;
• Unproportional viel negatives Feedback wenn du Fehler machst.
Später ergänzte Berit Ås die fünf Herrschaftstechniken mit „Sexuelle Objektifizierung“ und „Gewalt oder Androhung von Gewalt“. Eine weitere grundlegende Herrschaftstechnik ist „Spalten“.
Sexuelle Objektifizierung – jemandens Aussehen oder Körperteile kommentieren, „bewerten“ oder besprechen ohne vernünftigen Grund, oft in Verbindung mit z. B. Rassismus. Jemanden nur in einem Kontext der sexuellen Begierde besprechen, und die Ansichten, Ideen und Individualität der Person nicht anerkennen. Zum Beispiel kann ein Mann auf die Brüste einer Frau starren, anstatt ihr zuzuhören.
Gewalt oder Androhung von Gewalt – seine körperliche Kraft benutzen, um seinen Willen durchzusetzen; oder zeigen, dass man Gewalt anwenden könnte. Die Gewalt kann körperlich, psychisch oder sexualisiert sein.
Spalten – teilen und herrschen. Damit die marginalisierte Gruppe nicht zusammenhält und sich gegenseitig unterstützt, werden sie dazu gebracht, sich gegenseitig zu bekämpfen oder einander Konkurrenz zu machen. Zum Beispiel werden Frauen grundsätzlich dazu erzogen, gegeneinander um die Aufmerksamkeit der Männer zu kämpfen. Und konkret kann z.B. ein Chef Konkurrenz unter den Kolleg_innen auf der Arbeit anheizen, damit sie sich nicht miteinander solidarisieren.
Gegen die fünf Herrschaftstechniken können wir uns mit Gegenstrategien und Bestätigungstechniken wehren.
Gegen sexuelle Objektifizierung und Gewalt hilft das allerdings nur bedingt – diese sind meist gar nicht subtil und müssen genauso hart entgegnet werden. Am Arbeitsplatz kannst du dich an die Beschwerdestelle oder den/die Chef_in wenden, und gegebenenfalls die Arbeit niederlegen (siehe dazu das Leistungsverweigerungsrecht nach § 14 AGG). Im schlimmsten Fall, z.B. wenn die Belästigung und Gewalt vom Chef ausgeht, und die Kolleg_innen sich mit ihm solidarisieren, bleibt oft leider nichts anderes als kündigen und sich bis Ende des Arbeitsverhältnisses krank schreiben. Um wirklich effektiv gegen sexuelle Belästigung, Gewalt und Aggression vorzugehen, müssen viele gemeinsam klar machen dass solches Verhalten überhaupt nicht akzeptabel ist.
Gegenstrategien sind Werkzeuge, mit denen wir direkt auf die fünf Herrschaftstechniken antworten können. Du kannst die Gegenstrategien anwenden, um dich zu wehren, aber auch, wenn du merkst, dass Herrschaftstechniken gegen jemand anders angewendet werden.
Es ist nicht der Sinn der Gegenstrategien, die Verantwortung auf die Opfer zu legen, dass sie selbst verhindern müssen, dass Herrschaftstechniken gegen sie angewandt werden. Die Täter sind für ihre eigenen Handlungen und Entscheidungen alleine verantwortlich.
Mit den Gegenstrategien können aber unterdrückte Personen selbst etwas gegen die Herrschaftstechniken tun, ihr eigenes Leben und ihre Wirklichkeit beeinflussen, sich schützen und ihre eigene Wahrnehmung bestätigen.
Im Grunde geht es in den Gegenstrategien darum, deutlich und sachlich zu bleiben, sich nicht provozieren zu lassen, zu reagieren ohne die Ruhe zu verlieren und in Frage zu stellen, was zum Beispiel an einem Witz so lustig ist, oder warum man etwas auf eine bestimmte Weise machen sollte. So lange die Herrschaftstechniken unbekannt und unbenannt bleiben, ist es schwierig, mit ihnen umzugehen. Aber mit einem aktiven Dialog können die Techniken enttarnt werden.
Die Herrschaftstechniken sind oft darauf ausgerichtet, dich aus der Fassung zu bringen, und es kann eine Herausforderung sein, einen kühlen Kopf zu bewahren. Wenn du aber die Taktik dahinter erkennst, wird es dir vielleicht leichter fallen.
Konfrontieren und in Frage stellen kann schwierig sein wenn man konfliktscheu ist. Allerdings hast nicht du den Konflikt angefangen, sondern die Person, die die Herrschaftstechnik anwendet. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen, dass du die Stimmung mies machst. Weil der ”Herrscher” hat ja bereits die Stimmung ruiniert. Du aber kannst die Stimmung wieder retten, indem du auf die Herrschaftstechnik reagierst.
Die folgenden Gegenstrategien wurden von dem Mitspracherecht-Netzwerk an der Universität von Stockholm entwickelt:
Du wirst unsichtbar gemacht?
– Platz einnehmen!
Bleib ruhig und souverän. Fordere das Recht, gehört zu werden und gesehen zu werden, ein.
• Direkt unterbrechen wenn dir nicht zugehört wird.
• Unterstreichen, dass du etwas Wichtiges sagst.
• Direkt reagieren auf die Art und Weise, wie sie dich unsichtbar machen wollten: „Das fand ich nicht cool“, „Habe ich richtig gehört, hast du wirklich gesagt, dass …?“, „Meinst du wirklich, dass …?“
• Mit Humor entwaffnen: „Ups, jetzt hast du wohl vergessen, mich beim Namen zu nennen, aber das kann ja jedem mal passieren.“
Du wirst lächerlich gemacht?
– In Frage stellen!
Lehne die Erniedrigung und Scham ab, bleib kalt und logisch, lach nie mit, lass den Witz nicht unkommentiert passieren.
• Lass sie erklären, was an dem Witz so lustig war.
• Wiederhole was sie gesagt haben und stelle es in Frage: „Du hast mich gerade ‚…’ genannt, wie meinst du das?“
Information wird von dir zurückgehalten?
– Die Karten auf den Tisch legen!
• In Frage stellen, wenn ein Beschluss ohne dich gefasst wurde.
• Klar sagen, dass du nicht alle Informationen bekommen hast.
• Einfordern, informiert zu werden wenn Beschlüsse gefasst werden sollen.
• Dein eigenes Netzwerk nutzen um Informationen zu bekommen.
Dir wird Schuld unterstellt, egal was du tust?
– Das Muster brechen!
Fordere Transparenz zu Konsequenzen ein. Mach klar, dass du nicht überall sein kannst und nicht alles machen kannst.
Dir wird Schuld und Scham aufgetragen?
– Intellektualisieren!
Werde dir bewusst, dass die Schuld- und Schamgefühle dir von jemand anders aufgetragen wurden. Diese Herrschaftstechnik funktioniert sehr subtil: sie schleicht sich in deinen eigenen Kopf ein und beeinflusst deine Gefühle. Deswegen richtet sich auch die Gegenstrategie auf dein eigenes Bewusstsein.
• Die Situation konkret in Worte beschreiben und aus verschiedenen Perspektiven betrachten.Was ist wirklich passiert als du diese Gefühle von Schuld und Scham empfunden hast, und welche Rolle haben andere Personen gespielt? War es etwas, das sie gesagt haben, das die Gefühle in dir verursacht hat? Warum können sie das getan haben?
• Analysiere die Situation, als ob es nicht dir, sondern einer Bekannten passiert wäre – was würdest du ihr raten?
• Den Vorfall in einem größeren Zusammenhang von kulturellen Normen und Traditionen sehen.
Wenn du und deine Kolleg_innen gemeinsam handelt, könnt ihr euch besser für eure Rechte und Interessen am Arbeitsplatz einsetzen. Mit einem solidarischen Klima untereinander kann der Chef euch nicht so leicht spalten und vereinzeln.
Bestätigungstechniken sind Werkzeuge, mit denen wir das soziale Klima positiv verändern können. Herrschaftstechniken sind nichts „natürliches“ oder unveränderbares. Es sind die Menschen am Arbeitsplatz, in der Gruppe usw., die das Klima bestimmen und in die gewünschte Richtung lenken können. Wir können alles verändern, wenn wir es wollen.
Sichtbar machen
Anderen zuhören, Feedback und konstruktive Kritik geben.
Respektieren
Andere respektieren und ernst nehmen, ihnen zuhören und nach ihrer Meinung fragen.
Informieren
Andere über Beschlussprozesse informiert halten; besonders aufmerksam sein mit Personen, die aufgrund von Alter, Persönlichkeit o.ä. seltener ihre Meinung äußern.
Doppelt belohnen
Immer davon ausgehen, dass alle ihr Bestes tun, ausgehend von ihren Voraussetzungen. „Was auch immer wir tun, wir haben das Richtige getan.“
Dich selbst und andere bestätigen
Bestätigen, unterstützen und positive Normen definieren, die nicht von Scham und Schuld ausgehen.
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-Quellen:
• Wie dein Chef dich an deinem Platz hält – und wie du dich dagegen wehren kannst! Broschüre der Gender-AG der FAU Berlin 2017
• SAC:s Könsmaktutredning, SAC:s könsmaktsutredningsgrupp, Sveriges Arbetares Centralorganisation SAC 2010
• Bekräftartekniker och motstrategier – sätt att bemöta maktstrukturer och förändra sociala klimat, ENSU, Empowerment-Nätverket vid Stockholms Universitet 2004
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