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„Wir gewinnen Mitglieder durch Arbeitskämpfe“

Die CNT-CIT in Madrid hat in den letzten Jahren viele neue Mitglieder gewonnen. Vor allem in prekären Sektoren wie dem Kultur- und Medienbereich konnte sie Verbesserungen erkämpfen, zum Teil mit ungewöhnlichen Methoden. Ein Interview mit Ellison von der CNT.

Die spanische Schwestergewerkschaft der FAU hat mit neuen Herausforderungen zu kämpfen. Die Übersetzerin und Lektorin Ellison Moorehead, die seit 2009 in der CNT Madrid aktiv ist, erzählt im Gespräch mit der Direkten Aktion, wie auch Selbstständige sich organisieren können, wie Mitglieder gehalten werden können, die häufig ihre Arbeitsplätze wechseln und was das für die interne Gewerkschaftsstruktur bedeutet.

Wie bewertest Du die momentane Situation des Syndikalismus in Spanien? Welche Möglichkeiten und welche Barrieren gibt es?

Ellison Moorehead: Es gibt viele Möglichkeiten für den Syndikalismus in Spanien, vor allem weil sich die anderen Gewerkschaften auf größere Betriebe mit mehr als 200 Beschäftigten fixieren, da sie dort den offiziellen Status als „repräsentativ“ über die Stimmenanteile bei den Wahlen zu den „comités de empresa“ (Anm. d. Verf.: Vergleichbar mit Betriebsräten in Deutschland) erlangen können. In Spanien sind die meisten Betriebe jedoch kleiner und dort werden wir aktiv, indem wir Betriebsgruppen aufbauen

Wir agieren flexibel und sind in der Lage, Arbeiter*innen in prekären Arbeitsbeziehungen zu organisieren. Das heißt, wir arbeiten viel mit Personen, die nur befristete und kurzfristig laufende Verträge haben und dauernd den Arbeitsplatz wechseln müssen. Wir brauchen keine Wahlen, um aktiv werden zu können, sondern wir verlangen nur einen bestimmten Organisationsgrad – momentan sind das 10% der Belegschaft. Die Leute können also unmittelbar damit anfangen, Veränderungen herbeizuführen. Das ist wichtig, weil sie oftmals nur für einen kurzen Zeitraum einen bestimmten Job haben. Wenn Du etwas erreichen willst, dann musst Du es sofort angehen.

Die Grenzen der menschlichen Kapazitäten sind Barrieren, auf die wir in unserer gewerkschaftlichen Arbeit alltäglich stoßen. Wir beziehen uns noch zu sehr auf eine Mentalität, wie sie in den 1930er Jahren verbreitet war: wir erwarten eine revolutionäre Haltung bei den Leuten. Aber nicht alle sind dazu bereit, ihr Leben für die Organisation aufzuopfern. Seit einiger Zeit wenden sich mehr Arbeiterinnen an uns, die bereits viele Verpflichtungen neben der Lohnarbeit haben. Wir versuchen uns darauf einzustellen, indem wir die Versammlungen nur einmal im Monat durchführen, statt jede Woche. Die Versammlungen dauern jetzt maximal zwei Stunden, vorher waren es vier bis fünf Stunden. Eine andere Barriere ist, dass die CNT ein sehr aggressiver Ort ist. Eine Gewerkschaft ist ein Schlachtross, eine Kampforganisation, und das wirkt sich auch nach innen aus. Insbesondere Frauen werden davon abgeschreckt, weil wir Frauen gelernt haben zu vermitteln und uns nicht aktiv in Auseinandersetzungen einzubringen. Wir sind darauf angewiesen, dass sich die Leute gerne und motiviert in die Organisation einbringen möchten. An dem Punkt haben wir schon viele Fortschritte erreicht, aber es bleibt auch noch viel zu tun.

Überwinden können wir diese Barrieren durch Wachstum. Wir gewinnen Arbeitskämpfe und dadurch gewinnen wir Mitglieder. Aber ein Wachstum an Mitgliedern ist nicht ausreichend. Es kommt ebenso darauf an, dass die Kompetenzen der Gewerkschaftsmitglieder wachsen, sowohl in gewerkschaftlicher, als auch in politischer Hinsicht. Die Leute kommen, von wo auch immer, und es ist die Aufgabe der CNT sie auszubilden. Wir müssen dazu in der Lage sein, Leute aus allen Teilen der Gesellschaft in die Organisation aufzunehmen.

Wie kann eine konstruktive Streitkultur entstehen?

EM: Die Mitglieder eines Syndikats sollten durch Folgendes verbunden sein: gemeinsame Ziele, gemeinsame Prozesse und soziale Beziehungen. Zwischen diesen drei Faktoren muss aber ein Gleichgewicht bestehen. Deshalb ist es mir wichtig, persönliche Beziehungen zwischen den aktiven Gewerkschaftsmitgliedern anzuregen. Gerade Menschen, die gewerkschaftlich sehr aktiv sind und die Schlüsselrollen einnehmen, sollten sich auch regelmäßig in einem anderen Rahmen begegnen und über andere Themen sprechen. Deshalb gehe ich mit Genoss*innen aus Betriebsgruppen, mit denen ich eng zusammenarbeite, manchmal essen und dann reden wir über alles außer über die Gewerkschaftsarbeit. Es ist wichtig, eine Atmosphäre zu schaffen, die nicht nur zu hundert Prozent aus Aktivismus besteht, sondern in der auch eine persönliche Ebene Raum erhält. Wir können nicht immer nur Aktivist*innen sein. Trotzdem dürfen wir nicht vergessen, dass wir uns in einer Gewerkschaft organisieren, um unsere Probleme zu lösen. Doch wenn eine persönliche Ebene existiert, dann verlaufen Streitigkeiten meist konstruktiver.

Die CNT verfolgt das langfristige Ziel, Betriebe zu übernehmen und zu kollektivieren. Wie verträgt sich dies mit einer sozialen Realität, in der die Arbeiter*innen oftmals den Arbeitsplatz wechseln müssen?

EM: Ja, klar: unsere Idee ist es, Betriebe zu kollektivieren! Aber wir sind mit einer Situation konfrontiert, in der oftmals die Arbeiter*innen prekär und die Betriebe klein sind. Es ist schwierig einen kleinen Betrieb zu kollektivieren. Es sind oft individuelle Konflikte: Du gegen deinen Chef. Und der fühlt sich wie ein kleiner König. Dann folgt die Kündigung und wir landen vor Gericht. In der Regel gewinnen wir die Prozesse, aber was dann? Es ist sehr einfach, diese Konflikte auf eine persönliche Ebene zu reduzieren. Wenn es nicht gelingt dagegen eine kollektive Ebene zu eröffnen, dann ist auch aus gewerkschaftlicher Sicht manchmal ein Neuanfang sinnvoller.

Die Kollektivierung eines Betriebes ist in größeren Betriebsgruppen besser denkbar und die Voraussetzung hierfür sind größere Belegschaften. Wir sind durchaus auch in großen Betrieben vertreten. Zum Beispiel gibt es eine sehr aktive Betriebsgruppe bei „Madrid Destino“. Das ist ein öffentliches Unternehmen für Kultur und Tourismus. Zunächst hat sich eine kleinere Gruppe von Arbeiter*innen eines Sub-Unternehmens bei uns organisiert. Sie konnten einige Erfolge verzeichnen, die Betriebsgruppe wuchs und es schlossen sich Arbeiter*innen von anderen Subunternehmen an. Dann waren es einige Dutzend Personen die der Betriebsgruppe angehörten. Und da wir immer mehr Erfolge zu verzeichnen hatten, konnten wir unseren Organisationsgrad steigern Vor einigen Monaten schlossen sich noch einmal einige Dutzend Arbeiter*innen der Betriebsgruppe an. Das Ziel ist es immer, mehr Beschäftigte zu organisieren, die ihre Beschlüsse in der Versammlung der Betriebsgruppe fassen, um so Einfluss auf die Entscheidungen der Geschäftsführung zu gewinnen.

Gerade heute haben wir Forderungen an das Unternehmen übermittelt und gleich darauf haben sie uns angerufen und um ein kurzfristiges Treffen gebeten, um diese Forderungen zu verhandeln. So bestimmen wir also jetzt schon, wie Entscheidungen innerhalb des Unternehmens getroffen werden und das ist schon ein Zwischenschritt hin zur Kollektivierung. Wir verfolgen kurz-, mittel- und langfristige Ziele: Kurzfristig verfolgen wir sehr pragmatische Ziele, mit denen wir die Mitglieder an die Gewerkschaft binden und wachsen, mittelfristig nehmen wir Einfluss auf die Entscheidungen der Unternehmensführung und langfristig streben wir die Übernahme des Betriebes an.

Warum organisieren sich Menschen heute in der CNT Madrid und welche Aufgaben übernehmen neue Mitglieder innerhalb der Organisation?

EM: Es gibt viele Gründe, warum sich Leute bei uns organisieren. Einer ist, dass der Opa Anarchist war oder dass die Person sich selbst als Anarchist*in versteht. Es kamen Leute nach den letzten Wahlen, in denen die Rechtsradikalen sehr stark geworden sind – einfach weil sie etwas tun möchten. Diese Leute sind sehr sympathisch, aber sie bringen sich nicht wirklich in das Organisationsleben ein. Ich kann es mir nicht wirklich erklären. Wir versuchen alles, um die Struktur durchlässiger zu machen, aber es ist für neue Leute immer noch schwierig, hineinzufinden und aktiv zu werden. Wir zerbrechen uns diesbezüglich den Kopf, wie es besser laufen könnte, denn eigentlich kommen diese Leute als Aktivist*innen.

Dann kommen Leute, weil ihre Kolleg*innen auf der Arbeit bereits Mitglieder sind. Gemeinsam mit ihnen wollen sie konkrete Probleme lösen und deshalb organisieren sie sich. Das funktioniert wunderbar! Es organisieren sich auch Leute bei uns, die zuvor von anderen Gewerkschaften ignoriert wurden. Wie ich schon gesagt habe: Wir gehen dorthin, wo andere Gewerkschaften nicht hingehen. Wenn Du zu einer Gruppe von Reinigungskräften irgendwo gehörst, dann beachten dich die großen Gewerkschaften nicht.

Was passiert wenn neue Mitglieder eintreten? Wir haben ein Sekretariat und jedem Sekretär und jeder Sekretärin ist ein Komitee beigeordnet. Hier können die Mitglieder aktiv werden. Die meisten Leute bringen sich in das Komitee des Sekretariats für gewerkschaftliche Aktion ein, einfach weil dort meistens der Erstkontakt stattfindet. Genau das ist auch unsere Absicht. Diese Gruppe ist zwischenzeitlich so groß, dass wir gar nicht mehr hinterherkommen, für sie die notwendigen Einstiegsfortbildungen zu organisieren. Weitere Komitees sind „Kommunikation“, wo sich vor allem die Delegierten aus den Betriebsgruppen einbringen, die für das Verfassen von Pressemitteilungen oder die Social-Media-Präsenz zuständig sind. Dort treffen sie auf die Pressesekretärin des Syndikats, die die Arbeit des Komitees koordiniert. Die Kassierer*innen der Betriebsgruppen bringen sich in das Komitee für Finanzen ein, wo sie dem Kassierer des Syndikats begegnen usw. Das funktioniert sehr gut.

Andere haben kein Mandat und keinen bestimmten Verantwortungsbereich. Sie werden mal hier und mal dort aktiv. Dann gibt es noch Arbeitsgruppen, wie zum Beispiel „Feminismus“. Aber dort passiert gerade nicht so viel, weil sich alle Beteiligten in die gewerkschaftlichen Prozesse einbringen. Auf dem letzten Treffen der Arbeitsgruppe haben wir beschlossen, dass unsere Perspektive auf den Feminismus absolut gewerkschaftlich sein muss. Dementsprechend bringen wir sie in die Arbeitskämpfe ein.

In welchen Unternehmen seit ihr momentan aktiv und könnt etwas für die Beschäftigten erreichen?

EM: Wie ich schon gesagt habe, Madrid Destino ist momentan unser Zugpferd, wo die Genoss*innen auf allen Ebenen für die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen kämpfen. Dort sind ziemlich viele Gewerkschaftsmitglieder involviert. Daneben gibt es noch einen sehr interessanten Organisationsprozess in einem Online-Magazin, wo sich fast die ganze Belegschaft in der CNT organisiert hat. Es sind alles Frauen. Sie befinden sich momentan in Verhandlungen mit den Chefs, um verschiedene Probleme zu lösen. Eine Genossin, die halbtags arbeitet, musste viele Überstunden machen. Sie hat gefordert, dass ihre vertragliche Stundenanzahl aufgestockt wird. Das haben wir dann in den Verhandlungen mit den Chefs auch durchgesetzt. Im universitären Bereich haben einige unserer Mitglieder einen Organisationsprozess angestoßen. Seit einigen Monaten organisieren sie regelmäßig offene Versammlungen, die sehr gut angenommen werden. Sie diskutieren die verschiedenen Probleme in dieser Branche und überlegen gemeinsam, was sie dagegen tun können.

Und nicht zuletzt organisieren wir viele Statist*innen, die für die Theater, die Filmbranche oder die Werbeindustrie arbeiten. In diesem Branchensegment sind wir die größte Gewerkschaft. Die Statisten agieren innerhalb der CNT sehr autonom, mehr als Branchensektion, denn als Betriebsgruppe, weil sie alle für verschiedene Agenturen arbeiten und meist nur Verträge für einen Tag haben. Sie haben ihre eigene Struktur, ein eigenes Sekretariat, eigene Fortbildungen entsprechend der spezifischen Bedürfnisse, die aus der Arbeit in diesem Branchensegment resultieren. Im Konfliktfall haben sie es meist mit einer Agentur und den Auftraggebern zu tun.

Die CNT ist in diesem Bereich so stark, dass entweder die Agentur oder die Auftraggeber an uns herantreten und um ein Gespräch bitten, um Konfliktpotentiale zu minimieren. Es gibt viele individuelle Konflikte, zum Beispiel die Einforderung von Honorarzahlungen. An diesem Punkt arbeitet die Branchensektion sehr effektiv. Daneben gibt es einige rechtliche Auseinandersetzungen und die Sektion organisiert momentan eine Arbeitsbörse, über die Gewerkschaftsmitglieder Aufträge erhalten können. Es ist das Ziel der CNT, einen neuen Tarifvertrag für dieses Branchensegment zu erreichen. Bisher gelingt es den beiden Mehrheitsgewerkschaften UGT und CCOO noch dies zu verhindern. Wir brauchen mehr Mitglieder, denn auch wenn wir die größte Gewerkschaft in diesem Bereich sind, ist der Organisationsgrad insgesamt noch zu niedrig.

Was habt ihr als nächstes vor, wie geht es weiter?

EM: Ersteinmal möchten wir uns weiter als Gewerkschaft für alle Berufe in Madrid etablieren. Bislang liegt unsere betriebliche Verankerung vor allem im Kultur- und Medienbereich. Dieses Ziel haben wir uns letztes Jahr gesteckt und wir werden wohl noch bis zum nächsten Jahr damit beschäftigt sein. Gleichzeitig haben sich uns seitdem mehrere hundert neue Mitglieder angeschlossen. Ein solches Wachstum in so kurzer Zeit stellt eine Herausforderung dar, welche wir momentan bewältigen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Weitere Informationen findet ihr hier.

Titelbild: ©CNT Madrid

Florian Wegner

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Florian Wegner

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