Interview mit der neuen Initiative „die plattform“
dieplattform.org – seit Ende letzten Jahres ist diese Internetpräsenz aufgetaucht. Die Initiative „die plattform“ vermittelt den Anspruch wieder neuen Wind in die anarchistische Bewegung zu bringen. Es ist eine gewisse Unzufriedenheit heraus zu hören mit ihrem aktuellen Zustand. Wie sich recht einfach herleiten lässt, beziehen sich die Initiator*Innen auf die Ideen des Plattformismus und wollen eine Organisation nach anarchokommunistischen Prinzipien ins Leben rufen. Kann dies eine weitere Größe des deutschsprachigen Anarchismus neben der FdA (Föderation deutschsprachiger Anarchist*innen) und der FAU (Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union) werden? Zumindest innerhalb der FAU hat es schon lebhafte Diskussionen gegeben. Die Meldung wurde in der Regel positiv aufgenommen. Grund genug für die DA-Onlinezeitung mit K´ura von der plattform ins Gespräch zu kommen.
Ausgangspunkt war sicherlich eine sich über Jahre aufbauende Unzufriedenheit mit dem Zustand der anarchistischen Bewegung. Das haben wir ja auch ausführlich in unserem Text geschildert. Im Kontext des sich zuspitzenden weltweiten Autoritarismus der unterschiedlichen Ausprägungen, macht es uns geradezu wahnsinnig gleichzeitig in einer gesellschaftlich marginalisierten Position zu sein. Wir müssen uns dringend jetzt organisatorisch und inhaltlich besser aufstellen. Denn wir leben im deutschsprachigen Raum noch in vergleichsweise ruhigen Zeiten. Nur so werden wir den Aufgaben, die in Zukunft auf uns zukommen werden, gerecht. Und damit wir Einfluss darauf nehmen können, wohin sich die Gesellschaft entwickelt. Dabei sind wir auf das Konzept des Plattformismus gestoßen und haben uns durch dieses bereichern lassen. Uns ist wichtig an dieser Stelle zu betonen, dass wir uns als Ergänzung des anarchistischen Kampfes betrachten. Wir wünschen uns ein solidarisches Verhältnis zu bereits bestehenden anarchistischen und antiautoritären Gruppen. Nichts liegt uns also ferner, als anderen Ansätzen ihre Berechtigung absprechen zu wollen. Nur durch eine Vielseitigkeit der Ansätze und Methoden werden wir breite Teile der Bevölkerung erreichen.
Kurze Einordnung zu Beginn: Errico Malatesta, den ihr ja auch genannt habt, war damals zunächst ein Kritiker des Plattformismus. Er hatte mit dem Plattformisten Nestor Machno einen längeren Briefwechsel, in dem sie sich über den Entwurf der Plattform austauschten (“Organisationsplattform der Allgemeinen Anarchistischen Union (Entwurf)”von 1926). Zu Beginn der Debatte meinte Malatesta, dass die “Tendenz” des Dokuments ein Stück weit “autoritär” sei. Im Verlauf erkannte er dann jedoch an: “Wenn ich lese, was die Genossen…sagen…, befinde ich mich mehr oder weniger in Übereinstimmung mit der Weise, wie sie die anarchistische Organisation begreifen, … und ich bekräftige meine Überzeugung, dass sich hinter den sprachlichen Differenzen in Wirklichkeit identische Positionen verbergen.” (Siehe: Schwarze Flamme, 329-330)
Das aber nur zur Richtigstellung. Um zur eigentlichen Frage zu kommen: Was ist Plattformismus? Die Kerngedanken sind:
Einheit von Theorie und Praxis: Alle Mitglieder der Organisation teilen eine gemeinsame theoretische Grundlage. Aus der gemeinsamen theoretischen Grundlage erwächst die Praxis. Und die Erfahrungen aus der Praxis fließen wieder in die Weiterentwicklung der theoretischen Grundlagen ein;
Darüber hinaus teilen plattformistische Gruppen eine anarchokommunistische Ausrichtung. Wir haben uns für unsere Organisation noch auf eine zweite für uns gleich bedeutsame Strömung verständigt: Den Anarchafeminismus. Wer hier tiefer einsteigen will, dem sei neben unserem eigenem Text auch der bereits erwähnte Entwurf der Plattform von 1926 empfohlen (bei dem wir jedoch auch unsere Kritikpunkte haben).
Der Plattformismus bietet unserer Ansicht nach spannende Lösungsvorschläge für die bestehenden Probleme des Anarchismus in unserer Region und natürlich auch darüber hinaus. Es fehlt im deutschsprachigen Raum eine rein anarchokommunistische Organisation. Anarchafeministische Ansätze sind ebenso unterrepräsentiert und nur unzureichend ausgearbeitet. Ein Konzept wie wir es vorschlagen wurde unseres Wissens nach noch nie über einen längeren Zeitraum in unserer Region ausprobiert. Hier fehlt es an Erfahrungsschätzen in der Bewegung und natürlich auch bei uns selbst, die wir dieses Experiment wagen. Die Frage sollte daher eher lauten: Warum wurde das Konzept des Plattformismus bei uns bisher noch nie ernsthaft ausprobiert?
Mit dieser Frage haben wir uns bislang nicht auseinandergesetzt. Aus dem Bauch heraus würden wir dies aber eher verneinen, da wir vom Staat angebotene Organisierungsformen ja eher ablehnend gegenüberstehen. Und wir sehen keinen Vorteil darin, den wir nicht auf anderem Wege erreichen könnten. Letztendlich sind wir dadurch doch nur leichter kriminalisierbar.
In unserem Text haben wir da bereits einige Ideen geäußert. Wir wollen hier vor allem Wege gehen, die in der anarchistischen Landschaft eher selten genutzt werden: Wie z.B. Videoprojekte um unsere Arbeit, Inhalte und Praxis zu dokumentieren und zu verbreiten. Das aktive nutzen von Sozialen Medien spielt für uns ebenso eine große Rolle, da hier nun mal die Masse der Menschen unterwegs ist. Und wenn in diesem Bereich kontinuierlich und professionell gearbeitet wird, ist eine große Reichweite unserer Inhalte möglich. Natürlich greifen wir aber auch auf klassische Methoden zurück. So geben wir mit unserer anarchokommunistischen Flugschriftenreihe “Kollektive Einmischung” Broschüren rund um den Plattformismus heraus. Natürlich stehen wir hier aber noch ganz am Anfang – wie in den allermeisten Bereichen. Was letztendlich entsteht, hängt von den Genoss*Innen ab, die jetzt und in Zukunft in unseren Reihen aktiv sind.
Ja richtig, wir sind dem Anarchosyndikalismus verbunden und stehen ihm solidarisch gegenüber – alleine schon was die geteilte Zielsetzung einer anarchokommunistischen Gesellschaft angeht. Auch wenn wir den vorgeschlagenen Weg des Anarchosyndikalismus, über kämpferische Basisgewerkschaften teilen und ja teilweise selbst in der FAU organisiert sind, sehen wir unterschiedliche Vorteile in einer eigenständigen Organisation.
Wir denken, dass eine eigene gemeinsame Strategie mit theoretischer Grundlage nur in einer eigenen Organisierung möglich ist. Zumindest gilt dies in der Form, wie wir sie uns vorstellen. Wir denken, dass ansonsten mit der Zeit innerhalb der FAU sicherlich auch Widersprüche auftreten würden, wenn die plattform andere Positionen einnimmt als die FAU. Wir haben den formulierten Anspruch eine dritte Föderation neben der FAU und der FdA (Föderation deutschsprachiger Anarchist*innen) aufzubauen. Damit unterstreichen wir auch die Ernsthaftigkeit unseres Ansatzes, eine lebendige klassenkämpferische Organisation errichten zu wollen.
Darüber hinaus wollen wir auch über klassische Gewerkschaftsarbeit hinaus wirken. Sicherlich tut das die FAU auch. Aber in der FAU wird sinnvollerweise immer ein Fokus auf Arbeitskämpfen liegen. Wir können in dieser Hinsicht vielfältiger auftreten. Dadurch haben wir eher die Möglichkeit den anarchistischen Kampf auf Bereiche wie Bildung, Viertel und Umwelt ausweiten zu können. Eine neue Organisation mit anderer Herangehensweise kann dann auch für Menschen attraktiv sein, die bisher (aus welchen Gründen auch immer) nichts mit der FAU und der FdA anfangen konnten – bzw. zumindest nicht soweit, dass sie sich bislang in diesen Kontexten organisiert haben. Das diese Rechnung aufgehen könnte, haben wir bereits von Beginn an durch das große Interesse an “der plattform” gemerkt.
In diesem Kontext verstehen wir dann auch die Frage der Transparenz nicht ganz. Nach unserem Verständnis ist es ein ganz normaler Prozess in unserer Bewegung, dass es ein lebendiges ausprobieren, kooperieren und organisieren gibt. Ganz nach dem zapatistischen Motto “Fragend schreiten wir voran”… Wir legen ja für alle öffentlich dar, wie wir uns positionieren, was unsere Ziele sind und eben auch wie unser Verhältnis zum Anarchosyndikalismus und der FAU aussieht. Wir denken für den Moment, dass wir auf eigenständiger Grundlage am meisten bewirken können. Lasst uns gemeinsam als organisierte anarchistische Bewegung in möglichst starker Zusammenarbeit dafür kämpfen der sozialen Revolution näher zu kommen!
Wir bedanken uns für die ausführlichen Antworten und wünschen euch ein glückliches Gelingen etwa durch angebotene Vorträge zu euren Anliegen.
Nähere Informationen und die Kontaktmöglichkeit für Vorträge findet ihr unter:
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Kommentare
Um ehrlich zu sein, kam der letzte Fragenblock des Interviews von einem Genossen. Über die plattform wurde bereits Anfang Januar innerhalb der FAU diskutiert und ich hatte einfach die Diskussion aufgegriffen, um die Organisation mit einem Interview vorzustellen. Sicher könnten noch weitere Beiträge von, mit sowie über die plattform zu spezielleren Themen folgen.
International ist es leider so, dass die Organisationen, die sich auf die Plattform bzw. die Anarchstische Synthese beziehen, zwar neben vielen anderen Themenfeldern auch gewerkschaftliche Kämpfe berücksichtigen. Die jedoch leider meistens nicht in ihrer anarcho-syndikalistischen Form, sondern eher innerhalb der reformistischen Gewerkschaften. Das liegt nicht zuletzt daran, dass viele Verfechter*innen der Plattform den Anarcho-Syndikalismus eher als Konkurrenz ihrer Hegemonie betrachten und Syndikalismus sowieso als letztliche reformistisch betrachten. Da unterscheiden sich viele Plattformist*nnen leider in keiner Weise vom Leninismus, der in den Gewerkschaften auch nur einen Transmissionsrieben für die eigenen Belange sieht. Vor diesem Hintergrund und angesichts der teilweile bizarren ideologischen Grabenkämpfe, die den Plattformismus international seit Jahrzehnten prägen, bin ich eher skeptisch was die Notwendigkeit eines spezifisch plattformistischen Vereins in dieser Ecke des Globus angeht.
Hallo Kirkan,
wir sehen die FAU als Bündnispartner und Leute von der plattform sind auch in der FAU organisiert. Der von dir beschriebenen gewerkschaftlichen Praxis anderer plattformistischer Organisationen können wir nichts abgewinnen. Wir wollen nicht andere plattformistische Organisationen kopieren, sondern diejenigen plattformistischen Ansätze übernehmen, die wir für sinnvoll finden.
"kollektives Handeln mit gemeinsamer Verantwortung dies meint, dass jedes Mitglied hinter allen Tätigkeiten der Organisation steht. Und dass alle Mitglieder der Organisation Verantwortung für das Gelingen und Umsetzen der Aufgaben jedes einzelnen Mitglieds übernehmen".
In eurem oben zitierten Text stellt ihr Forderungen auf, die mit einem sinnvollen Consens nur noch wenig zu tun haben. Consens heißt Mitragen und Verwirklichen einer Entscheidung, auch wenn man es persönlich anders machen würde. Das heißt aber nicht, daß ich die Verantwortung für jeden Mist übernehme den jemand persönlich macht. Ist er Delegierter, kann ich mich für seinen Rücktritt einsetzen. Was wieder im Consens erfolgen sollte.
Hallo PU,
unter “kollektives Handeln mit gemeinsamer Verantwortung” verstehen wir etwas anderes als du in deinem Beitrag. Es heißt nach unserem Verständnis, dass eine Person gerade nicht “jeden Mist” machen kann, sondern wir uns an die gemeinsam im Konsens getroffenen Beschlüsse halten. Und für das Handeln anderer Verantwortung zu übernehmen heißt für uns dann aber auch, einer delegierten Person notfalls das erteilte Mandat zu entziehen, wenn sie nicht nach ihrem Mandat handelt. Durch unser Organisationskonzept und die darauf aufbauende Praxis sollen gerade unabgesprochene Alleingänge von Einzelpersonen verhindert werden. Ich hoffe, dass der Aspekt jetzt deutlicher geworden ist.
Ich halte die Einschätzung des Interviewers, dass es in der FAU zumeist positive Reaktionen gab, für eine gewagte These. Sie bezieht sich lediglich auf einzelne Wortmeldungen abseits von lokalen Strukturen und Diskussionen.
Die Plattform halte ich nur teilweise für eine Weiterentwicklung. Richtig ist, dass die FdA durch mangelnde gemeinsame Struktur und Standards aber auch durch das Fehlen einer Programmatik seit Jahren keine wirkliche Perspektive hat mehr Relevanz zu entfalten. Mehr Verbindlichkeit ist hier angebracht.
Gleichzeitig ist die Fokusierung des Anarchopsyndikalismus auf Arbeitskämpfe nur eine bestimmte, zu dem eher aus der Not geborene, Lesart des anarchosyndikalistischen Konzept. Andere Lesarten sehen das syndikalistische Moment eher im konkreten Aufbau von Gegenstrukturen, dem Willen zum gesamtgesellschaftlichen Rahmen und die föderalistische Organisation anhand unserer alltäglichen, sozialen Rollen. Plattformismus könnte, wenn sich so eine Arbeitsteilung wie die Plattform sie hier skizziert den Anarchosyndikalismus tatsächlich eindimensional werden lassen und letztlich eine Entwicklung zur fachspezifischen, reformistischen begünstigen.
Auf der anderen Seite neigt der Plattformismus immer wieder dazu sich zu einer Mischung aus leninistischer Kaderpartei und bakuninistischem Geheimbund zu entwickeln. Beides keine Perspektive für eine Befreiung der Gesellschaft. Ich bin daher mehr als skeptisch und würde sehr dafür plädieren solche inhaltlichen Aktivitäten bewusst als Gliederung der FAU zu unternehmen - die eine gewisse Diversität in ihrer Föderation ohnehin aushalten lernen muss.
Ich bin sehr skeptisch, mutmaße aber, dass das Konzept ohnehin floppen wird. Sorry Genoss_innen.
Das sich nun eine weitere verbindliche Organisation etablieren möchte, ist ja nicht so schlimm. Aber wie der Vorredner schon vorsichtig andeutete, wäre bei einem weniger syndikalistisch verstandenen Anarcho-Syndikalismus diese Organisation kaum notwendig. Sogenannte Kulturarbeit, Zentren/Börsen für eine entsprechende Stadtteilarbeit, um sich dort einzumischen, freie Schulen oder auch schwarzrote Bergsteigerinnen (grins) usw....all das war auch historisch schon immer Teil des Anarcho-Syndikalismus. Wo mensch lohnarbeitet, wohnt und lebt sollten anarcho-syndikalistisch eingestellte Menschen eingreifen und Einfluß nehmen. Das ist u.a. ein anarcho-syndikalistischer Grundsatz. Nur dort sind wir...und werden wir als authentisch wahrgenommen (liegt in der Natur der Dinge). Die FAU mit ihrer Tendenz zur Selbstbeschränkung auf "Gewerkschaftsarbeit", auf den Syndikalismus, treibt solche Orgaversuche hervor. Für mich eine normale Reaktion. Ob dies aber ein Steinchen der Weisheit ist oder nur die "Einfalt in der Vielfalt" bereichert, lassen wir mal dahingestellt und wird sich wohl noch zeigen. Schade, das der hiesige Anarcho-Syndikalismus tendenziell seinen Charme verloren hat.