Betrieb & Gesellschaft

Wir haben ein Problem und es heißt Lohnarbeit

Die Corona-Krise der letzten Wochen hat mit aller Deutlichkeit erkennen lassen, dass das Lohnsystem das Herz der kapitalistischen Maschine bildet.

Auf das Eindringlichste wird appelliert und schließlich mit den Mitteln des Gewaltmonopols durchgesetzt, dass wir unsere Freizeit zuhause verbringen sollen. Doch bleibt die Lohnarbeit von diesen Beschränkungen weitgehend unangetastet. Für das Kapital muss menschliche Gesellschaft nicht stattfinden, solange es abhängige Lohnarbeiter*innen gibt, die Tag für Tag durch ihre Arbeitskraft Mehrwert schaffen. Darauf hat die Arbeiter*innenbewegung immer schon mit der Forderung nach einer Verringerung der Arbeitszeit reagiert. Auch aus feministischer Perspektive ist es die radikale Verkürzung der Arbeitswoche, die erst eine gerechte Verteilung von Sorgearbeit in unserer Gesellschaft ermöglicht.

Und im vergangenen Jahr haben auch die ökologischen Kosten unserer Fixierung auf Lohnarbeit als Lebenssinn mehr Aufmerksamkeit erhalten. Die klimapolitische Relevanz des Kampfes um kürzere Arbeitszeiten haben in den letzten Jahren zahlreiche Studien bestätigt. Um die international vereinbarten Klimaziele einzuhalten, müssten die reichen Länder die durchschnittlichen Wochenarbeitszeiten stark reduzieren. Verringert man die geleistete Arbeit in dem erforderlichen Maße, würde sich auch eine dringend notwendige Debatte über den Sinn vieler Jobs und den Gebrauchswert von Gütern und Dienstleistungen anschließen. Darüber hinaus haben verschiedene Versuche wie 4-Stunden-Tage und 30-Stunden-Wochen – etwa beim für radikale Umtriebe eher unverdächtigen Unternehmen Microsoft Japan – gezeigt, dass kürzere Arbeitszeiten eine deutliche Produktivitätssteigerung erzielen können.

So betrachtet ist eine drastische Arbeitszeitverkürzung keine revolutionäre Forderung, sondern sollte vielmehr als Selbstverständlichkeit einer zeitgemäßen Arbeiter*innenbewegung angesehen werden. Im Kapitalismus dient Lohnarbeit der Akkumulation von Kapital. In einem System, das auf Wachstum programmiert ist, sind alles weitere (wie Soziales oder Ökologie) immer nur Nebenprodukte oder Zugeständnisse. Unsere Arbeit führt nicht dazu, dass es allen im Laufe der Zeit stetig immer besser geht, sondern dass Wenige immer weiter Profit erzielen – und dabei im gleichen Atemzug unsere gemeinsamen Lebensgrundlagen zerstören. Dass der Kapitalismus sich nicht an grundlegenden Bedürfnissen orientiert, zeigt nicht zuletzt die aktuelle Ausnahmesituation durch Covid-19. Auf einmal wird sichtbar, welche Bereiche für das gesellschaftliche Leben wesentlich sind. Bereiche wie das Gesundheitssystem, das seit Jahren kaputtgespart wird. Was nach der Krise kommen mag, ist schwer zu sagen. Doch die Leidtragenden einer Wirtschaftskrise sind in der Regel nicht die Verursachenden, sondern die Lohnabhängigen. Doch was wäre, wenn wir uns entscheiden, unsere Arbeitskraft lieber antikapitalistisch zu organisieren, anstatt das kapitalistische Wirtschaftssystem mit teils sinnloser und oft prekärer Arbeit zu retten?

Der Aufbau von Organisationen, mit denen Lohnabhängige über den Sinn und Zweck ihrer Arbeit bestimmen Bossen. In der Gewerkschaft werden Entscheidungen von den Mitgliedern auf Vollversammlungen oder branchenspezifischen Treffen gefasst, sodass die Entstehung einer Gewerkschaftsbürokratie verhindert wird. Gewerkschaften sind sowohl Kampforganisationen, um die Interessen der Arbeiter*innen gegen das Kapital durchzusetzen, als auch Aufbauorganisationen, die es möglich machen, eine demokratische Bestimmung über das Wirtschaftsleben vorzubereiten, zu lernen und schließlich auch gegen Widerstände zu erkämpfen. Sie erlauben es, die tägliche Arbeit vom Diktat der Profiterwirtschaftung zu befreien und öffnen damit die Möglichkeit, andere Zwecke für das gemeinsame Schaffen zu setzen.

Wir brauchen gesellschaftliche Institutionen, in denen wir andere Zwecke als Wachstum für unsere Arbeit bestimmen können. Zwecke, die auch in Hinblick auf die kommenden Herausforderungen des Klimawandels notwendig sind, um ein gutes Leben für alle zu gewährleisten – oder zumindest erst einmal ein Leben für alle. Und wir brauchen Zeit, um uns um die drängenden Themen unserer Zeit zu kümmern. Angefangen bei der gerechten Verteilung von Reproduktionsarbeit, über die Gründung von Betriebsgruppen und den Aufbau von solidarischen Netzwerken, bis hin zu Seenotrettung und politischen Kämpfen hier vor Ort, an den europäischen Außengrenzen, sowie international. Europa zeigt sich momentan von seiner hässlichsten Seite und tritt Menschenrechte momentan am sichtbarsten an seinen Außengrenzen mit Füßen. Um den in Europa gesellschaftlich so tief verankerten Rassismus und Antisemintismus zu bekämpfen, müssen wir zusammenstehen. Wir dürfen nicht zu kleinen Rädchen im System werden die alles am Laufen halten – sondern sollten uns solidarisieren, organisieren und füreinander da sein.

Dieser Artikel ist Teil der Print-DA, der Verteilzeitung zum 1. Mai 2020. Ihr könnt diese entweder hier herunterladen oder im Syndikat eures Vertrauens in gedruckter Form erhalten.

[edit1: Das Beitragsbild wurde von der Online-Redaktion nach Absprache mit der Redaktion der Print-DA zum 1. Mai 2020 geändert.]

[edit2: Das Titelbild des Artikels stammte von pixabay.com]

Swantje Ammoneit and Vincent Heßelmann

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Swantje Ammoneit and Vincent Heßelmann

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