Ein Interview mit Sandra (32), zweifache Mutter und Gefangenen-Gewerkschafterin.
In der Frauen-Justizvollzugsanstalt (JVA) Chemnitz besteht seit Ende 2016 eine Sektion der Gefangenen-Gewerkschaft (GG/BO). Die inhaftierten Gewerkschafterinnen werden von der Solidaritätsgruppe Jena der GG/BO unterstützt. Diese hat anlässlich des Frauen*kampftags 2017 und 2018 Demonstrationen mit jeweils ca. 250 Unterstützer*innen zur JVA Chemnitz organisiert.
DA: Du bist derzeit in der JVA Chemnitz inhaftiert und kämpfst darum, dass deine Haftunfähigkeit aufgrund psychischer Erkrankung (Agoraphobie [1]Agoraphobie bezeichnet eine Angststörung, in der die Angst durch bestimmte Orte und Situationen wie weite Plätze oder Menschengedränge ausgelöst wird. mit Panikstörung, Traumatisierung u.a.) anerkannt wird und du damit deine Haft unterbrechen und eine Therapie machen kannst. Wie bist du überhaupt in diese Situation geraten?
S: Aufgrund meiner Traumatisierungen (sexueller Missbrauch, Eingesperrtsein) habe ich eine Agoraphobie entwickelt und um diese nicht spüren zu müssen, bin ich kaufsüchtig geworden. Angefangen habe ich mit 12 Jahren und irgendwann geriet alles außer Kontrolle. Aufgrund dessen habe ich Betrugsstraftaten begangen, die ich heute bereue. Und deshalb kam ich in Haft. Ich bin wahrlich nicht stolz darauf, aber ich bin krank. Das soll keineswegs eine Entschuldigung sein! Aber ich möchte gesund werden, um ein normales Leben führen zu können und um nie wieder Straftaten zu begehen.
DA: Du bringst dich seit einigen Monaten in die Gefangenen-Gewerkschaft ein. Wie bist du dazu gekommen und was machst du in dem Rahmen?
S: Ich bin durch die Demo im März darauf aufmerksam geworden und fand es klasse, dass es draußen Menschen gibt, die uns nicht als Monster sehen. Ich versuche, Hilfe zu schaffen für psychisch Kranke in Haft; versuche, Statistiken zu erstellen in dem Zusammenhang und die Gesellschaft, JVA’s und Justizministerien darauf aufmerksam zu machen. Aber auch andere Bereiche, wie die mangelhafte medizinische Betreuung etc., muss mehr beachtet werden.
DA: In der JVA Chemnitz landen viele Frauen, die schon vorher schlimme Dinge durchlebt haben. Was ist dein Eindruck: Was hat sie in diese Situation gebracht? Welche Rolle spielen die Männer und der Staat dabei?
S: Oh, das sind viele Gründe. Mangelnde Liebe und Akzeptanz in der eigenen Familie. Aber auch viel Gewalt, sexueller Missbrauch durch Männer. Viele Frauen sind dadurch drogen- oder alkoholabhängig geworden oder wurden selbst zum Täter.
DA: Was möchtest du den Frauen und Männern mitgeben, die am 8. März 2019 für die Sache der Frauen auf die Straße gehen?
S: Ein großes Dankeschön, dass sie es machen! Denn in unserer Gesellschaft ist das nicht selbstverständlich. Viele von uns sind zu Tränen gerührt von so viel Solidarität, gerade wenn sie von den eigenen Liebenden im Stich gelassen werden aufgrund der Haft und Menschen wie ihr für uns da seid. Mich hat es letztes Jahr zu Tränen gerührt. Danke!
In Deutschland sind 58.692 Personen inhaftiert, davon 3.502 Frauen (Stand 31.03.2018).
In Chemnitz sind über 250 Frauen inhaftiert.
Weitere Informationen unter: www.ggbo.de
Gestern wurde die Zelle der Gefangenengewerkschafterin Sandra durchsucht und Materialien beschlagnahmt, mehr dazu hier.
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Der Beitrag stammt aus der Zeitung zum 8. März, die von der fem*fau, einer feministischen AG in der FAU, herausgegeben wurde. Die Zeitung ist kostenlos erhältlich bei den lokalen FAU-Gewerkschaften und online hier.
Titelbild © Anarchist Black Cross Dresden, März 2019.
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