Die wirtschaftlichen und soziale Dimensionen von „Mega-Sport-Events“
Die Transformation von internationalen Sport-Events in durchkommerzialisierte Mega-Sport-Events hat nachhaltige Folgen für die Austragungsorte, denn hinter der populären Fassade steht eine mächtige Allianz aus dem Sport, den Medien und der Wirtschaft. Ein Mega-Sport-Event kann beschrieben werden als eine geplante und einzigartige Veranstaltung mit hohem emotialen „Wert“, die Unternehmen die Gelegenheit für Werbekampagnen oder zum Verkauf von Produkten und Dienstleistungen gibt. Maurice Roche beschreibt Mega-Events als „großangelegte kulturelle Veranstaltungen mit dramatischem Charakter, Massenattraktivität und internationaler Bedeutung“. Solche Events geschehen nicht einfach – sie werden geschaffen. Um sie kompatibel mit Geschäftsinteressen zu machen, wird der Sportwettbewerb dramatisiert und emotionalisiert, um dadurch mehr Zuschauer anzuziehen (zum Beispiel durch innovative Regeln, die Spannung erzeugen), kommerzialisiert durch Medienpräsenz (TV) und ökonomisiert durch Sponsoring und Merchandising. Die Bedeutung von Massenmedien in diesem Prozess kann gar nicht unterschätzt werden. Neue massenmediale Technologien, wie Satelliten-TV, waren eine treibende Kraft hinter der Kommerzialisierung des Sports, indem sie ein globales Publikum für Mega-Sports-Events wie die Olympischen Spiele und die Fußballweltmeisterschaften erzeugten. Generell gilt: Keine Massenmedien, kein Mega-Sport-Event.
Dieser Transformationsprozess ist eng mit dem Namen einer Person verknüpft: Horst Dassler, Sohn von Adi Dassler, dem Gründer des Sportartikelherstellers adidas. Dassler gilt als der Erfinder des modernen Sportrechtegeschäfts, bei dem einige ausgewählte globale Unternehmen exklusive Marketingrechte für ein Sport-Event kaufen. Das ‚magische Dreieck’ besteht aus Sportveranstaltern, Medien und Unternehmen, untereinander verbunden durch spezialisierte Agenturen, die mit Sportrechten handeln oder Marketing- und Sponsorenkonzepte entwickeln, so zum Beispiel Sportfive (Hamburg) oder Infront Sports & Media (Zug, Schweiz). Zusammen bilden sie eine Einheit, in der zwar jede Partei ihre eigenen Interessen verfolgt, aber auch alle voneinander abhängig sind. Im Zentrum des ‚magischen Dreicks’ stehen die Veranstalter, die in der kritischen Literatur als größtenteils „undemokratische Organisationen“ beschrieben werden, mit dubiosen Entscheidungsfindungsverfahren und einem Mangel an Transparenz. Sie agieren häufig eher im „Interesse globaler Ströme als lokaler Gemeinschaften“.
Das gesamte Geschäft dreht sich im Wesentlichen um den Handel mit den Sportrechten an der Veranstaltung. Zum Beispiel im Fußball: Die FIFA ist (als Eigentümerin der ‚Handelsmarke FIFA’ und der Handelsmarken der einzelnen Meisterschaften) der Schlüsselakteur bei allen Angelegenheiten rund um die jeweiligen Wettbewerbe. Diese Handelsmarken bilden das Wirtschaftsgut der FIFA, die wertvollste davon ist die Marke FIFA World Cup™. Unternehmen können ein weites Spektrum von Marketingrechten erwerben, das es ihnen erlaubt, spezifische FIFA-Handelsmarken für ihre eigenen Marketingstrategien einzusetzen und von der Popularität der Spiele zu profitieren. Die wichtigsten Formen sind dabei das Sponsoring der FIFA selbst und von einzelnen FIFA-Wettbewerben, der Kauf von TV-Übertragungsrechten sowie von Lizenzen für Merchandising oder sogenannte ‚Hospitality-Programme’. In den letzten Jahren hat sich die Zusammensetzung dieser Handelsmarken zunehmend fragmentiert und ihr Anteil am Gesamtkuchen hat sich geändert. Ein Gebiet von wachsendem Interesse ist der Verkauf der ‚Hospitality-Programme’ für VIP’s und Geschäftspartner von Sponsoren. So beinhalten Sponsorenpakete zumeist ein substantielles Kartenkontingent (bis zu 30.000 Karten pro Unternehmen – für FIFA-Partner), mit denen Firmen ihre Geschäftspartner beglücken oder die sie bei ihren Marketingaktivitäten, zum Beispiel im Rahmen von Verlosungen und ähnlichem, einsetzen können. Dies verknappt natürlich die Zahl der Eintrittskarten, die für das allgemeine Publikum zur Verfügung stehen.
Der Veranstalter spielt normalerweise keine operative Rolle bei der Ausrichtung eines Mega-Sport-Events, dies wird von der nationalen Organisation übernommen. Dennoch hat der Veranstalter, das heißt der Rechteinhaber, auf allen Ebenen und zu allen Zeitpunkten das letzte Wort. Die FIFA, zum Beispiel, stellt vielfältige Vorbedingungen, die ein Staat erfüllen muss, wenn er eine FIFA-WM beherbergen will. Neben Anforderungen an die Sportstätten, verlangt die FIFA umfassende Regierungsgarantien welche unter anderem beinhalten: erleichterte Einreise- und Arbeitserlaubnisse; spezielle Regelungen hinsichtlich Zollangelegenheiten, Telekommunikation und Bank/Währungstransaktionen; die Einrichtung eines internationalen Medienzentrums sowie diplomatische Protokollfragen.
Für die Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland 2006 war zum Beispiel die ‚Knock out Anforderung’, die nach Steuerbefreiung. Das hieß, die FIFA wurde für alle ihre Finanztransaktionen in Deutschland steuerbefreit, einschließlich der gesamten TV- und Marketingeinnahmen; stattdessen konnte sie ihre Steuern unter wesentlich besseren Bedingungen (4,25% vom Jahresgewinn) in der Schweiz bezahlen. Ebenso waren FIFA-Funktionäre und ihre Gäste, Schiedsrichter und FIFA-Kongress-Teilnehmer steuerbefreit für alle Einnahmen im Zusammenhang mit der Fußball-WM. Weitere Anforderungen waren umfassende Sicherheitsvorkehrungen, die in Zusammenarbeit mit der FIFA erarbeitet wurden. Für die Sicherung von Stadien, Hotels und Teamquartieren wurden die deutschen Behörden durch privates Sicherheitspersonal unterstützt – ausgewählt und bezahlt von der FIFA. Der „Krieg gegen den Terror“ wurde als Begründung für weitreichende Maßnahmen herangezogen, auch auf Kosten von Bürgerrechten, wie die Bestückung der Tickets mit RFID-Chips zeigt, die vom Bundesministerium des Inneren befürwortet und von Bürgerrechtsorganisationen kritisiert wurde.
Veranstalter und Rechteinhaber von Sportgroßveranstaltungen wie FIFA und IOC schützen die Exklusivität von Sponsoren, Lizenznehmern und die ihrer eigenen Handelsmarke mit allen verfügbaren Mitteln. Die FIFA zum Beispiel betreibt dazu ein umfassendes globales Schutzprogramm, das sogenannte Rights Protection Programm (RPP). Die Gastgeberstädte hatten dies zu unterstützen und ebenfalls im Umkreis der Stadien und der Fan-Fest-Meilen diese Exklusivität zu garantieren. Dies verursachte vielfältige Konflikte zwischen FIFA, lokalen (Klein-) Unternehmen und den Städten, aus denen die FIFA normalerweise als Gewinner hervorging. Für arme Leute, wie Klein- und Straßenhändler, kann dies drastische Konsequenzen haben. Im Vorfeld von Mega-Sport-Events werden üblicherweise örtliche „Stadtreinigungskampagnen“ gestartet, was häufig die Vertreibung von Bettlern und Obdachlosen oder gar den Abbruch von Favelas umfasst. So mussten während der Fußball-WM 2010 in Südafrika die Straßenhändler entdecken, dass die FIFA-Regeln hinsichtlich des Verkaufs von Artikeln, die Logos oder andere ‚geschützte’ Marken nutzten oder imitierten, äußerst restriktiv sind; dass sie also, anstatt von dem Sportereignis zu profitieren, die Möglichkeiten ihren Lebensunterhalt zu verdienen ernstlich eingeschränkt sahen.
Der globale Charakter von Mega-Sport-Events und die dominante Rolle von multinationalen Konzernen, sowohl als Sponsoren wie als Zulieferer, ist am Auffälligsten in der Sportartikelindustrie. Sport-Multis haben ihre gesamte Produktion in Weltmarktfabriken in Entwicklungsländern oder an Subkontraktoren im informellen Bereich ausgelagert. Ein wesentlicher Teil der Aktivitäten von Gewerkschaften und NGO’s hat sich in den letzten Jahren auf diesen Bereich konzentriert. An der Spitze dieser Initiativen steht das Netzwerk „Play Fair“ (für die Olympischen Spiele 2012, siehe www.playfair2012.org), welches organisiert ist von der Clean Clothes Campaign (CCC), der International Trade Union Confederation (ITUC) und der International Textile, Garment and Leather Worker’s Federation. Aber auch was im Gastgeberland passiert ist oft besorgniserregend, da auch dieser Bereich sich zunehmend globalisiert. Mega-Sport-Events erfordern massive Investitionen in Sportstätten. Aufträge werden meist an multinationale Konzerne vergeben, wobei sich wenig bis gar nicht um die Arbeitsbedingungen gekümmert wird. Dazu kommt, dass der Bau der Sportstätten unter äußerst rigiden Zeitvorgaben und ‚öffentlichem’ Druck stattfindet. Mit Bezug auf die ‚nationale Ehre’, Gastgeber eines Weltereignisses zu sein, werden Baugewerkschaften häufig Streikverzichtsvereinbarungen abgepresst und Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen als unpatriotisch denunziert. Die Angst ist oft groß, als Spielverderber hingestellt zu werden. Die Baustellen für die Olympischen Spiele in Athen 2004 können als perfektes Beispiel gelten, was unter solchen Bedingungen geschehen kann. Heike Schrader berichtete, dass es innerhalb von drei Jahren zu 13 tödlichen Arbeitsunfällen gekommen war, wobei Gewerkschaften schätzten, dass die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher lag. Neben der Bauindustrie profitieren andere Industrien von Sportgroßveranstaltungen wie Hotel- und Gaststättengewerbe, Catering, Sicherheits- und Reinigungsdienste. Unternehmen aus diesen Bereichen, allesamt Teil des wachsenden Niedriglohnbereichs mit starker anti-gewerkschaftlicher Attitüde, versuchen ebenfalls Vertragspartner zu werden und ihren Schnitt zu machen.
Die Transformation des Sports in ‚big business’ verändert nicht nur den Sport selbst, er unterminiert auch häufig Arbeitsstandards und Bürgerrechte. Wenn die Durchführung eines Mega-Sport-Events in einem Land nicht verhindert werden kann, ist es wichtig für Gewerkschaften und soziale Bewegungen, die Arbeitsbedingungen auf allen Ebenen zu beeinflussen. Komplexe globale Veranstaltungen wie die Fußball-WM und die Olympischen Spiele bieten viele Gelegenheiten für strategische Kampagnen. Das Ziel sollte dabei sein, dass die Spiele „Gewerkschaftsspiele“ („union games“) werden, veranstaltet in „Gewerkschafts-Städten“ („union cities“). Dies würde meinen, dass alle Arbeiten im Rahmen eines solchen Wettbewerbs in gewerkschaftlich organisierter Weise unter dem Dach von Tarifverträgen stattfinden. Sportler würden zum Beispiel in gewerkschaftlich organisierten Hotels leben, von organisierten Busfahrern zu den Sportstätten transportiert werden, die von organisierten Bauarbeitern gebaut wurden und Kleidung tragen, die von organisierten Textilarbeitern genäht wurden. „Union games“ in „union cities“ sollten als legitimes Ziel für gewerkschaftliche Aktionen betrachtet werden. Die Olympischen Spiele 1996 in Atlanta und 2000 in Sydney zeigen, dass dies kein unrealistisches Ziel ist.
Wilfried Schwetz, Diplom-Sozialwirt, Labour Policies and Globalisation (M.A.).
Donna
McGuire, Journalistin, Labour Policies and Globalisation (M.A.),
Queensland Independent Education Union, z.Zt. Promotion Universität
Kassel.
Beide arbeiten zu gewerkschaftlichen Kampagnen und strategischen Recherchen.
Bundesministerium des Inneren: „Die Welt zu Gast bei Freunden“. Dritter Fortschrittsbericht des Stabes WM 2006 zur Vorbereitung auf die FIFA-Fußball-Weltmeisterschaft 2006, Berlin 2004.
Bundesministerium des Inneren: Nationales Sicherheitskonzept FIFA WM 2006. Bund-Länder-Ausschuss im Auftrag der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK), Berlin 2006.
Daya, Quraisha: World Cup 2010: Trading on Uneven Playing Field, in: South African Labour Bulletin, Okt./Nov. 2008.
Ehlers, Christian: Politische Grundlagen der Weltmeisterschaft 2006. Akteure, Strukturen und Prozesse im internationalen Fußball, Osnabrück 2005.
Horne, John/Manzenreiter, Wolfram: Introduction to the sociology of sports mega-events, in: The Sociological Review, Oxford 2006.
Kistner, Thomas: Ein Konzern wie ein Kegelclub, in: Süddeutsche Zeitung, 04.05.2006.
Kistner, Thomas: Vive la FIFA! in: Magazin der Süddeutschen Zeitung, 09/2006.
Kistner, Thomas/Weinreich, Jens: Das Milliardenspiel. Fußball, Geld und Medien, Frankfurt 1998.
Menzel, Oliver: Die Fußball-WM 2006, rmarktungsinstrumente und wirtschaftliche Potentiale, Saarbrücken 2006.
Preuss, Holger: The Economics of Staging the Olympics, Cheltenham und Northampton 2004.
Roche, Maurice: Mega-events and modernity, London 2000.
Schmidt, Ulrich: Event-Management im Spitzen-Wettkampfsport, Bayreuth 2006.
Schrader, Heike: Für Olympia in den Tod, Telepolis, 14.05.2004.
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