Im Hennigsdorfer Flüchtlingsheim regt sich Widerstand gegen die Gutscheinpraxis
Flüchtlinge in Deutschland sind entrechtet, insbesondere jene, die ohne Aufenthaltserlaubnis in Heimen leben. Das ist kein Geheimnis. Menschen, die die Risiken und Strapazen einer Flucht auf sich nehmen, wird die Teilnahme am sozialen Leben außerhalb des Heims praktisch verweigert: Die Residenzpflicht hält sie räumlich gefangen und mangels Arbeitserlaubnis bleibt zum Leben nur das Allermindeste – dabei die Angst vor einer Abschiebung permanent im Hinterkopf.
200 Euro monatlich erhalten die BewohnerInnen im Hennigsdorfer Flüchtlingsheim. Mit 62 Prozent des amtlich anerkannten Existenzminimums muss der alltägliche Bedarf bestritten werden. Das reicht hinten und vorne nicht. Kultur und soziales Leben, ja allein schon Fahrkarten werden zu einem unerreichbaren Luxus. Und selbst die Möglichkeit, ihn sich vom Mund abzusparen, wird den Menschen hier verwehrt. Da mehr als drei Viertel der staatlichen Leistungen in Wertgutscheinen ausgegeben werden, bleibt den Betroffenen gerade einmal 1,36 Euro am Tag in bar, um all jene Bedürfnisse zu decken, die außerhalb des Sortiments einiger Supermarktketten liegen, die die Gutscheine annehmen. Ein menschenunwürdiger Zustand, an dem der Landkreis Oberhavel in Brandenburg als einer von wenigen festhält. Das Leben im Heim ähnelt einem Strafvollzug ohne Gefängnismauer – ein Umstand, der die Betroffenen dazu getrieben hat, sich zu organisieren und mit Leuten außerhalb zu vernetzen.
So starteten die HeimbewohnerInnen am 1. Juni einen Boykott der Wertgutscheine. Begleitet von Öffentlichkeitsarbeit, u.a. mit regelmäßigen Kundgebungen, erhofften sie sich, die Kreisverwaltung zum Einlenken zu bewegen. Und spätestens da wurden der Kreistag Oberhavel und auch die Verwaltung des Landes Brandenburg auf das Problem aufmerksam und befürworteten plötzlich die Umstellung der Versorgung auf Bargeld. Nur die letztlich Zuständigen des Kreises, Landrat Karl-Heinz Schröter und Sozialdezernent Michael Garske, machten keine Zugeständnisse. Als der Boykott im Juli weitergeführt wurde, gab es erste kleine Schritte auf die Flüchtlinge zu. 35 Euro mehr Bargeld im Monat – nicht zusätzlich, sondern anstelle von Sachleistungen. Trotz der annähernden Verdoppelung auf 2,50 Euro pro Tag reicht das Bargeld lange nicht für den zu deckenden Bedarf.
Nachdem der Boykott im August stellvertretend von zehn Flüchtlingen durchgeführt wurde, wird er nach dem Ende des „Sommerlochs“ im September voraussichtlich von allen wieder aufgenommen. Unterstützung von außen ist hier dringend notwendig. Neben symbolischer Solidarität durch die Veröffentlichung von Protestbekundungen sind in erster Linie Geld- und Lebensmittelspenden, aber auch organisatorische Hilfe gefragt, da die Flüchtlinge auf sich allein gestellt wesentlich schlechtere Chancen haben, durch ihre Aktion die gewünschte Wirkung zu erzielen.
Es ist mutig, dass sich die Entrechteten erheben und trotz einiger Risiken für ihre Rechte kämpfen. Sie lehnen sich auf gegen eine Behandlung, die ihrer Würde nicht gerecht wird. Eine Behandlung, die sie faktisch nicht nur räumlich gefangen hält, sondern sie auch in ihrer Selbstbestimmung als KonsumentInnen einschränkt. Obwohl der Umstieg auf Bargeld Verwaltungskosten senken würde, haben die Zuständigen weiter ein Interesse daran, die Flüchtlinge durch die jetzige Handhabung zu isolieren, am besten so, dass sie keine sozialen Kontakte nach außen aufbauen können. Doch dafür ist es jetzt zu spät – es geht in die nächste Runde.
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