DA: Hallo zusammen, erzählt doch zum Einstieg mal kurz, was dieses Jahr in Wuppertal rund um den 1. Mai in Planung ist?
Ulrike: Hallo, auch dieses Jahr werden wir wie immer mit unserer autonomen 1. Mai Demo in Wuppertal auf der Straße sein. Zum 32. Mal nun schon. Die Demo startet um 14:00 Uhr am Platz der Republik. Anschließend wird es das bekannte Nachbarschaftsfest auf dem Schusterplatz geben. Und am 30. April starten die autonomen Maifeierlichkeiten in Wuppertal dieses Jahr mal wieder mit einer Vorabendnachttanzdemo. Startpunkt dafür ist um 20:00 Uhr im Deewertschen Garten.
Andreas: Rund um den 1. Mai wird es bestimmt auch wieder die ein oder andere Veranstaltung und Aktion geben, aber dazu gilt wie immer, haltet Augen und Ohren offen.
DA: Ulrike hat es ja gerade schon gesagt: Ihr seid dieses Jahr bereits zum 32. mal mit eurer autonomen 1. Mai Demo am Start. Ich vermute, dass von euch damals noch keiner gelebt hat oder ihr zumindest noch sehr jung wart. Könnt ihr für unsere Leser*innen vielleicht trotzdem kurz was zur Geschichte eurer Demo erzählen?
Gudrun: Klar. Die autonome 1. Mai Demo hat sich damals (1986 Anm. d. R.) von der DGB Demo abgespalten, uns überliefert ist das symbolträchtige Abbiegen aus der Demo nach links. Seitdem gibt es die autonome Demo in Wuppertal jeden 1. Mai. Immer unangemeldet, mal mit mehr, mal mit weniger Repression und stets unter dem Motto „für die soziale Revolution“. Man kann also ohne zu übertreiben von der traditionellen autonomen 1. Mai Demo in Wuppertal reden.
Holger: Seit 32 Jahren findet im Anschluss an die Demo außerdem das Straßenfest auf dem Schuster Platz statt. Dort gibt es Essen, Musik, Kinderunterhaltung und ein nettes Zusammenkommen mit den Nachbar*innen vom Ölberg. Das Fest ist uns am 1. Mai neben der Demo sehr wichtig. Auch für die Anwohner*innen ist das immer was besonderes und für viele ein fester Bestandteil des Lebens auf dem Ölberg. Es ist jedes Jahr schön zu sehen, wie sich so ein selbstorganisiertes Straßenfest im Viertel entwickelt.
Ulrike: Leider passiert es ja viel zu selten, dass wir sehen, wie unsere Vorstellungen von Gesellschaft mal gelebt werden, umso wichtiger sind da dann kleine aufbauende persönliche Erlebnisse, wie das jährliche Schusterplatzfest.
DA: Lasst uns an dieser Stelle mal etwas allgemeiner werden. In Wuppertal liegt der Ölberg, ein denkmalgeschütztes, ehemaliges Arbeiterviertel in der Elberfelder Nordstadt, bekannt für seine lebendige autonome Szene. Zur Bedeutung des Schusterplatzfestes für eure Rolle in dem Viertel habt ihr ja gerade schon etwas gesagt. Ihr veranstaltet dort aber z.B. auch regelmäßig ein sogenanntes Sperrmüllfest. Was könnt ihr uns denn sonst noch über das Thema Stadtteilarbeit in Wuppertal berichten?
Andreas: Also wie du schon sagtest, da gibt es das Sperrmüllfest auf dem Ölberg. In Wuppertal gibt es noch Sperrmüllsammelabholungen, laut Gesetz gehört der Sperrmüll aber der Stadt, weswegen das Ordnungsamt vor den Abholterminen verstärkt Kontrollen fährt. Zu diesen Abenden treffen sich dann, mal mehr, mal weniger regelmäßig, einige Menschen auf dem Otto-Böhne-Platz am Ölberg, machen ein kleines Feuer, kochen was zusammen und vertreiben bei Bedarf kollektiv das Ordnungsamt. Hin und wieder wird das Ganze auch mit Flyern in den Briefkästen der Nachbar*innen beworben. Zu manchen Sperrmüllterminen entwickelte sich daraus ein echtes Fest mit vielen fröhlichen Anwohner*innen, die auf angeschleppten Sperrmüllsofas um mehrere gemütliche Feuer herum saßen und sich nett unterhielten. Das Ordnungsamt tauchte dann unseres Wissens nach oft gar nicht mehr auf.
Holger: Und der Otto-Böhne-Platz war am nächsten Morgen oft sauberer als zuvor.
Ulrike: Was im Zusammenhang mit Stadtteilarbeit in Wuppertal momentan auch ein wichtiges Thema ist, sind die Gentrifizierungsprozesse in der Stadt. Für uns halt insbesondere auf dem Ölberg. Gerade kommt es tatsächlich dazu, dass schon lange auf dem Berg lebenden Menschen das Mietverhältnis gekündigt wird, um die Wohnungen und Ladenlokale anschließend profitabler zu vermieten. Für den Ölberg gilt, dass sich die Immobilien überwiegend im Streubesitz befinden und die Gegner im Kampf gegen Gentrifizierung deshalb meist keine anonymen Großkonzerne sind. Dadurch eröffnen sich für uns sehr viele Möglichkeiten, den Verteilungskampf um Wohnraum auf einer direkten Ebene zu führen.
Gudrun: Im Rahmen des letzten Sperrmüllfestes wurde zum Thema „Steigende Mieten und Verdrängung auf dem Ölberg“ aus autonomen Kreisen zu einer Versammlung aufgerufen, die rege Beteiligung seitens der Nachbarschaft erfuhr. In einer auf dem Berg bekannten Kneipe wurde mehrere Stunden angeregt diskutiert, wie man gemeinsam gegen die Verdrängung aktiv werden kann. Die Nachbarschaftsversammlung findet seitdem regelmäßig statt.
Andreas: Außerdem zogen in Reaktion darauf in letzter Zeit öfter mal wütende Menschen los und hinterließen zahlreiche Parolen an den Wänden mit entsprechendem Inhalt. Also „Mieten runter“, „Scheiß Gentrifizierung“ und „Heult doch“. Die Polizei macht da jetzt gerade ein riesen Ding draus, worüber wir gleich vielleicht noch mal reden können. Der Kampf gegen Verdrängung wird auf jeden Fall auch Rund um die diesjährige 1. Mai Demo eine wichtige Rolle spielen.
DA: Dann lasst uns das doch tun. Gudrun sprach soeben schon kurz von Repression. Ihr meldet die Demo seit 32 Jahren nicht an, wie gehen Justiz und Polizei damit um?
Gudrun: Die sind seit 32 Jahren nicht so begeistert. Nein ernsthaft, die Polizei weiß natürlich auch, dass wir seit 32 Jahren traditionell auf die Straße gehen und rücken dementsprechend jedes Jahr mit einem Großaufgebot an. Die letzten Jahre haben sie sich meist damit begnügt, die Demo davon abzuhalten, in die Innenstadt zu gelangen, aber 2008 zum Beispiel wurde die gesamte vordere Demospitze ausgesprochen brutal von der Polizei eingekesselt und abgeführt.
Andreas: Letztes Jahr setzte sich die Demo nach der Ankunft am Schusterplatz noch mal in Bewegung und wurde kurz vor dem Erreichen der Innenstadt heftig von den Cops angegriffen und anschließend eingekesselt, wobei mehrere Menschen durch Pfefferspray und Knüppel verletzt wurden. Zwar hat die Polizei den Kessel nach einer Stunde wieder aufgelöst, ohne Personenkontrollen durchführen zu können. Aber bis heute gibt es noch mehrere offene Anzeigen gegen Menschen die an der Demo teilnahmen.
Holger: Wie soeben schon angesprochen, macht die Polizei gerade auch eine riesen Sache aus den Graffitieaktionen. Es kommt wiederholt zu Kontrollen im Umfeld des AZ, wobei offenbar sämtliche Besucher*innen unter Generalverdacht stehen. Letztens habt die Polizei sogar einen Kontrollpunkt auf dem Ölberg eingerichtet und jeden vorbeikommenden, links aussehenden Menschen kontrolliert und nach Spraydosen durchsucht. Es kam vor, dass Freunde von uns beim Spazierengehen mit dem Hund unmittelbar nach der Haustür von der Polizei abgefangen und mit der Begründung, es werde nach Spraydosen gesucht, kontrolliert wurden.
Ulrike: Was in dem Zusammenhang auch ganz interessant ist, das Wuppertal vor ein paar Monaten einen neuen Polizeipräsidenten bekommen hat. Es bleibt noch abzuwarten, wie dieser mit der autonomen Szene und dem 1. Mai umgehen wird, aber die ersten Monate lassen da leider nichts Gutes vermuten. Er war früher in leitender Funktion beim Staatsschutz Düsseldorf und sprach in seiner Antrittsrede von der hohen Anzahl an politisch motivierten Straftaten in Wuppertal. Was er damit genau meint, bleibt offen.
Gudrun: Ansonsten bleibt es nicht zuletzt im Hinblick auf die staatlichen Reaktionen zum G20 Gipfel, dieses Jahr besonders spannend, wie die Polizei mit der Demo umgeht.
DA: Womit du mir das Stichwort zu einer anderen Frage gibst. AfD als größte Oppositionspartei im Bundestag, Horst Seehofer als Innenminister und Hetze im Nachgang zum G20 Gipfel in Hamburg, sind nur ein paar Punkte an denen man den gesellschaftlichen Rechtsruck spürt. Das wird ja auch in eurem Aufruf zum 1. Mai thematisiert. Wo spürt ihr da Konsequenzen für euch und eure politische Arbeit und wie geht ihr damit um? Und wie steht es in Wuppertal um das Konzept „Antifa“?
Gudrun: Also zur Repression, die unserer Meinung nach gerade stark hochgefahren wird, haben wir ja schon was gesagt. Wie viel das konkret mit den Ereignissen in Hamburg zu tun hat, kann ich nicht sagen, aber der Polizei bieten sich seitdem natürlich ganz andere Rechtfertigungsgrundlagen für ein Vorgehen gegen uns. Das Erstarken der neuen Rechten spüren wir natürlich auch in Wuppertal. Die AfD klagt hier zwar immer wieder über die von ihnen so genannten „Weimarer-Verhältnisse“, ihr Ergebnis bei der letzten Bundestagswahl lag aber im bundesweiten Durchschnitt. Die Weimarer Verhältnisse habe ich erwähnt, weil hier im Zusammenhang mit der AfD eigentlich relativ viel an, unserem Verständnis nach, klassischer Antifa-Arbeit lief. Da gab es nächtliche Hausbesuche bei Wuppertaler AfD Funktionären, abgeräumte Wahlkampfstände, gesprengte Diskussionsrunden und gekaperte Demos (siehe Vice-Artikel Anm. d. R.). Wieviel das gebracht hat und ob mit der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung klassische Antifa Arbeit an ihre Grenzen stößt, kann ja jeder Mensch für sich selbst an Hand der Wahlergebnisse der AfD in Wuppertal beurteilen.
Andreas: Im Vorfeld der Landtagswahlen in NRW gab es hier ein sogenanntes „Speed-Dating“ mit den Kandidaten. Die Betreiberin des Cafés in dem die Veranstaltung stattfand, weigerte sich, die AfD Kandidaten auszuladen, woraufhin die „Diskussion“ abends von Aktivist*innen gestört wurde. In Wuppertal gab es bis dahin eigentlich lange den Konsens aller irgendwie linken Kräfte, nicht mit Rechtsradikalen und Rechtsextremen zu reden, aber im Nachgang dieses Abends gab es viel Kritik an der Aktion, auch von Menschen, die bisher eher mit unseren Aktionen sympathisierten. Obwohl dabei alles vollkommen gewaltfrei ablief und nur mit Rufen, massenhafter Präsenz und Luftschlangenspray darauf aufmerksam gemacht wurde, mit wem man hier eigentlich diskutieren will, wurde uns nachher unterstellt, wir würden mit Gewalt andere Meinungen unterdrücken. Wir konnten an der Stelle also ziemlich direkt und persönlich erleben, wie faschistische Positionen als Meinungsverschiedenheit wieder gesellschaftsfähig gemacht werden. Die Opfermasche der AfD funktioniert an vielen Punkten echt erschreckend gut. Im Nachgang dieses Abends gab es auch intern Diskussionen darüber, ob wir mit unseren Aktionen nicht eher der AfD dabei helfen, ihre Opferrolle zu spielen.
Ulrike: Was im Hinblick auf die Kritik im Nachhinein dieser Diskussionsrunde übrigens bemerkenswert ist, ist, dass vor einigen Monaten bei der Erwerbslosen-Initiative Tacheles eine Scheibe eingeschmissen wurde und an der Wand dazu Parolen mit AfD Bezug aufgetaucht sind. Ein Aufschrei dazu, der bei der Diskussionsveranstaltung für die Sorgen der Nazis so verständnisvollen Bürger, blieb aus. Aber das nur mal so am Rande.
DA: In Dortmund gibt es eine sich als explizit anarchistisch bezeichnende 1. Mai Demo, wie steht ihr dazu? Erzählt uns in dem Zusammenhang doch auch etwas über den Anarchismus in Wuppertal..
Andreas: Also zum anarchistischen 1. Mai in Dortmund stehen wir absolut solidarisch. Die Startpunkte der Demos wurden so gelegt, dass es möglich ist, an beiden Veranstaltungen teilzunehmen. Faktisch könnte man meiner Meinung nach auch den autonomen 1. Mai als anarchistisch bezeichnen, aber im AZ gibt es halt viele Menschen, denen dieser Begriff zu absolut ist, weswegen der Konsens bei autonom liegt.
Gudrun: Ich sag mal, das gilt halt irgendwie generell für den Anarchismus in Wuppertal. Es gibt hier eigentlich viele Menschen, die selbstverwaltet aktiv sind und deren Ansichten und Handlungsweisen ich anarchistisch nennen würde. Nur nutzen von denen die wenigsten das Label Anarchismus zur Selbstdarstellung ihrer politischen Arbeit.
DA: Um dann langsam zum Schluss zu kommen, habt ihr an dieser Stelle noch etwas auf dem Herzen, dass ihr unseren Leser*innen gerne mitteilen möchtet?
Ulrike: Also wir hoffen natürlich, euch am 1. Mai alle zahlreich auf der Straße zu treffen, ob in Wuppertal, Dortmund oder sonst wo auf der Welt. Insbesondere im Hinblick auf die Gesamtscheiße, die tagtäglich passiert, finden wir es wichtig, dass sich möglichst viele Menschen positionieren und anfangen, sich zu organisieren.
Andreas: Ansonsten an dieser Stelle schon mal eine Ankündigung für den 16.06. in Wuppertal. An dem Tag findet das Ölbergfest statt und die Nazis von “die Rechte” haben, wahrscheinlich nicht ganz zufällig, eine große Demo durch die ganze Stadt angemeldet. Das werden wir natürlich möglichst nicht zulassen, haltet euch also auf dem Laufenden.
DA: Dann noch eine letzte Frage in eigener Sache: Wie sieht es in Wuppertal mit anarchistischer Gewerkschaftsarbeit aus? Gibt es Ansätze, von denen ihr uns erzählen könnt und wenn ja, welche?
Holger: Dazu können wir jetzt zwar noch nicht allzu viel verraten, aber wenn wir richtig informiert sind, hat sich aktuell ein Grüppchen von Menschen gefunden, das die Gründung eines Wuppertaler FAU Syndikats ins Auge fasst. Vielleicht könnt ihr euch also bald über eine neue Ortsgruppe freuen, aber wie gesagt, wir möchten dazu noch nicht zu viel sagen. Ihr werdet es ja eh als erste erfahren.
DA: Ich danke euch für das Interview und wünsche euch weiterhin alles Gute und viel Kraft für eure Kämpfe in Wuppertal. Wir sehen uns auf der Straße!
Aufruf zum autonomen 1. Mai in Wuppertal