Gerd Thomas Gabler – Situationist und Erwerbslosenaktivist

Ca. 30 Menschen trotzten auf den Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin dem kräftigen Landregen. Nachdem sie Nelken auf die Urne gelegt hatten, gedachten sie schweigend dem Verstorbenen. „Gerd Thomas Gabler 1951- 2021“ stand auf der Tafel an der Urne. „Dauerregen bei seiner Beerdigung, wie 1936 bei der Bestattung des spanischen Anarchisten Durruti, das hätte Gerd gefallen“, sagte ein junger Mann aus der Trauergemeinde. Über der Gruppe wehte die schwarz-rote Fahne des Anarchosyndikalismus. Von ihm ließ sich Gerd Thomas Gabler in den verschiedenen Lebensstationen leiten.

Organisator und Bildungsarbeiter

Viele der Trauernden hatten ihn in den letzten Jahren in den verschiedenen sozialpolitischen Zusammenhängen kennengelernt. „Er hat die Arbeit unserer Gruppe über viele Jahre geprägt“, sagte Claudia von der Berliner Erwerbslosengruppe Basta! bei der säkularen Gedenkveranstaltung in der Friedhofskapelle. Basta! berät seit Jahren Erwerbslose und begleitet sie auf Wunsch zu Jobcenterterminen. Unter dem Motto „Keine/r muss allein zum Amt“ sollen damit Hartz-IV-Betroffene bei den Behörden unterstützt werden. „Das war Gerd ein wichtiges Anliegen“, berichtet eine Frau, die ihn vor einem Jobcenter kennengelernt hat. Seit der Einführung der Hartz IV-Gesetze 2005 verteilte Gerd regelmässig Informationsflyer vor den Berliner Jobcentern. Damals hatte er innerhalb der Basisgewerkschaft FAU Berlin eine Erwerbslosengrupppe aufgebaut. „Daneben war ihm auch die Vermittlung von politischer und kultureller Bildung ein zentrales Anliegen“, erinnert sich Ullus, der als Studierender gemeinsam mit dem viel älteren Kollegen Gerd in der Bildungssektion der FAU organisiert war. „Gerd war jeglicher innerlinker Dogmatismus zuwider. Aber hatte seine Prinzipien. So verwies er als Ordner einer Erwerbslosendemonstration Menschen, die Fahnen einer parteinahen Jugendorganisation trugen, aus dem sozialrevolutionären Block“, erinnert sich ein Freund und Kollege. In den letzten Jahren entwickelte Gerd im Neuköllner Stadtteilladen Lunte ein umfangreiches Bildungsprogramm mit einer breiten Themenpalette. Da ging es um Fragen der Selbstermächtigung im Jobcenter ebenso wie um die blutige Geschichte des Neoliberalismus in Chile oder die Biographie des antifaschistischen Staatsanwalts und Ankläger bei den Auschwitzprozessen Fritz Bauer. „Er hat uns junge Autonome dazu gebracht, sich über mehre Stunden Vorträge zu theoretische Vorträge anzuhören“, sagte ein Genosse, der mit ihm eng zusammengearbeitet hat.

Der Situationist

Am Ende der Gedenkveranstaltung richtete ein ehemaliger Studienfreund von Thomas Gabler einige Worte an die Trauernden. Viele der Jüngeren, die ihren Genossen nur als Gerd kannten, erfuhren hier zum ersten Mal, dass er 1986 zu den Mitbegründern des Instituts für Heuristik (IfH) gehörte. Nach dem Konzept der Situationist*innen versuchte die kleine Gruppe, Kunst und widerständige Aktionen zusammenzubringen. Gabler und seine Mitstreiter, es waren nur Männer, gaben auch Anfang der 1990er Jahre die Zeitschrift Schattenlinien heraus, die nach wenigen Ausgaben eingestellt wurde. Eine kleine mediale Aufmerksamkeit bekam die vom IfH konzipierte Ausstellung „Grenzfall“ zum 100 Geburtstag von Walter Benjamin. Einige der damaligen Mitstreiter wanderten ins wissenschaftliche Milieu ab. Gerd Thomas Gabler war immer wieder erwerbslos und lernte damit Erniedrigung und Reglementierung auf den Ämtern bereits vor der Einführung des Hartz-IV-Regimes kennen. Doch er wehrte sich und zeigte, dass man sich auch als Erwerbslose*r organisieren kann. Zudem widmete er sich der Bildungsarbeit von Prekären und Erwerbslosen. Nach seiner Beerdigung saßen die unterschiedlichen Freund*innen und Mitstreiter*innen noch lange zusammen und tranken Wein aus einer Karaffe, die sich der Gerd Anfang der 1990er Jahre in Paris von dem anarchistischen Schriftsteller und Kupferschmied Georg K. Glaser anfertigen ließ.

 

Bild abgerufen auf: https://twitter.com/BastaBerlin/status/1407242635337781251

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