Christliche Wohlfahrtskonzerne unter Druck

Im vergangenen Jahr bewarb sich Yesim Fadia, nachdem sie bereits sieben Jahre lang im interkulturellen Bereich gearbeitet hatte, beim Diakonischen Werk in Hamburg als Integrationslotsin in einem von der EU und dem Bund geförderten Projekt. Eine Mitarbeiterin der Diakonie teilte ihr daraufhin mit, dass sie nur eingestellt würde, wenn sie bereit sei, in die Kirche einzutreten. Nach Angaben von Spiegel Online erklärte sich die nicht praktizierende Muslimin pro forma dazu breit, fragte aber, ob dieser rein pragmatische Kircheneintritt denn im Sinne der Diakonie sei. Prompt bekam sie ihre Bewerbungsunterlagen mit einer Standardabsage zurückgeschickt.

Dieses Verhalten hat das Hamburger Arbeitsgericht nun als Diskriminierung verurteilt und Yesim Fadia 3.900 Euro zugesprochen. Dieses Urteil wird möglicherweise Auswirkungen auf die Einstellungspolitik der kirchlichen Unternehmen haben. Denn bisher befindet sich etwa unter den 420.000 Angestellten der Diakonie kein einziger Muslim, Hindu oder gar Atheist. Das könnte sich nun ändern, wenn auch nur in bestimmten Bereichen, denn das Gericht gesteht den kirchlichen Betrieben zu, im „verkündungsnahen Bereich“ weiterhin nur Menschen einzustellen, die der Kirche angehören.

Dass es überhaupt zu dieser Verurteilung der Diakonie kam, ist eine Folge des seit 2006 geltenden Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AAG), durch das eine Diskriminierung aufgrund von Herkunft, Religion, Geschlecht, Sexualität oder Behinderung arbeitsrechtlich angreifbar ist. Die Kirchen hatten sich gegen das Gesetz ausgesprochen, denn sie befürchteten Urteile wie das in Hamburg. Der Gesetzgeber ging auf diese Bedenken ein und fügte die sog. Kirchenklausel in das Gesetz ein. Doch in Fall Fadias entschied der Richter für die Klägerin, obgleich es in der Klausel heißt: „Kirchen und Religionsgemeinschaften sollen ihre Beschäftigten weiterhin mit Rücksicht auf deren Religion oder Weltanschauung auswählen dürfen, soweit dies im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach Art der Tätigkeit gerechtfertigt ist“. Das Urteil stellt somit einen schweren Schlag gegen das sog. Selbstverwaltungsrecht der Kirchen und die mit ihnen verbundenen Wohlfahrtskonzerne dar. Deshalb kündigte die Diakonie an, gegen das Urteil in Berufung gehen zu wollen. Ihrer Meinung nach habe das Hamburger Arbeitsgericht das AAG „entgegen seinem Wortlaut“ ausgelegt.

Doch die Kirchen geraten auch von anderer Seite unter Druck: Denn 2007 streikten zum ersten Mal seit 88 Jahren wieder MitarbeiterInnen kirchlicher Einrichtungen. Etwa 4.500 Angestellte des Diakonischen Werks Württemberg führten einen ganztägigen Warnstreik gegen die Einführung neuer Arbeitsrichtlinien durch. Dabei ist es rechtlich umstritten, ob Arbeitskampfmaßnahmen in kirchlichen Einrichtungen zulässig sind. Denn nach dem grundgesetzlich verankerten kirchlichen Selbstbestimmungsrecht sind in kirchlichen Einrichtungen weder Betriebsräte noch die Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes gültig. Die Kirchen und ihre Einrichtungen lehnen darüber hinaus Tarifverhandlungen mit den Gewerkschaften ab und betrachten Streiks als nicht kirchengemäß und daher unzulässig. Zur Regelung der Arbeitsverhältnisse haben beide Kirchen einen sog. „dritten Weg“ als kircheneigentümliches Arbeitsrecht entwickelt. Arbeitsrechtliche Kommissionen, in denen Unternehmens- und Beschäftigtenseite paritätisch vertreten sind, erlassen Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) und Vergütungsordnungen für die MitarbeiterInnen in den kirchlichen Einrichtungen. Tarifverträge sollen dadurch überflüssig werden. In den letzten Jahren sind dabei vor allem in den AVR der Diakonie schlechtere Arbeitsbedingungen festgelegt und Entgeltabsenkungen vorgenommen worden.

Nach Meinung des ehemaligen Richters am BVG Jürgen Kühling dagegen sind Streiks rechtlich zulässig, und er erwartet, dass diese Frage demnächst zur Entscheidung anstehen werde. Sollte dies der Fall sein, könnte den Kirchen eine weitere bittere Niederlage drohen. Dagegen würde dies für die große Anzahl von kirchlichen Beschäftigten – allein bei der Caritas und der Diakonie arbeiten fast eine Mio. Menschen – eine rechtliche Angleichung an die in dieser Gesellschaft üblichen Beschäftigungsformen darstellen und damit zu einer partiellen Demokratisierung ihres Arbeitsbereichs führen. Außerdem wäre es ein weiterer Schritt hin zur längst überfälligen Trennung von Staat und Religion.

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