Kolumne Durruti

Man stelle sich vor: Die gute Revolution hätte stattgefunden und müsste nun vor den bösen Konter-Revolutionären geschützt werden. Eine Utopie? Keineswegs, nur eine Frage der Perspektive. Die 12 alten Herren im Wächterrat des Iran tun nichts anderes, als die Früchte ihrer Volksbewegung zu schützen…

In der Regel ist dies die Stelle im Text, an der die Nachfahren der Aufklärung ein überlegenes Lächeln aufsetzen und mit dem Finger auf einen Staat zeigen, der sie in seiner Rückständigkeit an das Mittelalter erinnert. Spätestens seit dem Karikaturenstreit hat der religiöse Fundamentalismus sein Antlitz entblößt, der Atomstreit ihm noch dazu den Stempel Schurkenstaat eingetragen. Zeigt man nun selbigen aufgeklärten Menschen Zeitungsmeldungen wie „Atheisten schüren Angst vor Gott“, so meinen sie, es handele sich um einen weiteren Fingerzeig fremdartiger Rückständigkeit.

Doch weit gefehlt, titelte doch jüngst die katholische Zeitung «Die Tagespost» mit dieser Überschrift, und das Sonntagsblatt führte aus: „Vor dem erkennbaren Hass, der in Bildern der Religionsvertreter seinen Ausdruck findet, dürften die meisten Kinder eh zurückschrecken“. Hier bei uns? Militante Atheisten in den Kinderzimmern? Was ist geschehen?

An und für sich nichts, bis auf die Herausgabe eines Kinderbuches unter dem Titel „Wo bitte geht’s hier zu Gott? fragte das kleine Ferkel“, das die Fundamentalisten der Juden, Christen und Moslems an den Pranger stellt. Ein „militant atheistisches“ Buch, wie Stephan Kramer, Sekretär des Zentralrats der Juden, erklärt, und ein „klarer Missbrauch“ der Meinungsfreiheit. Das Buch sei „ekelhaft und gefährlich“ und gehöre „vom Büchermarkt weggebeamt“.

Das tolerante Abendland zeigt sich von seiner besten Seite. Und wer gedacht hätte, es bliebe bei dieser verirrten Einzelmeinung, sieht sich bald eines Besseren belehrt. Für die Diözese Rottenburg-Stuttgart ist das Buch voll von „blasphemischen Äußerungen“ und „antichristlicher Hetze“. Und so folgern die katholischen Sittenwächter, dass „ein solcher Tabubruch den Protest eines jeden anständigen Menschen hervorrufen“ müsse. Und nur für den Fall, dass dem nicht so sein sollte – rein vorsorglich – erstattete die Diözese gleich Strafanzeige wegen Volksverhetzung.

Dass Vertreter verschiedener Religionsgemeinschaften den Zweifel an der Existenz Gottes nicht gern hören, sodann das Wort ergreifen, um selbiges im Sinne Gottes wieder auszulegen versuchen, scheint immerhin noch in der Sache begründbar. Doch welchem Interesse geht das Bundesministerium für Familie nach?

Ursula von der Leyen war so gar nicht damit einverstanden, dass in dem Buch „die drei großen Weltreligionen Christentum, Islam und das Judentum verächtlich gemacht“ und „die Besonderheiten jeder Religion der Lächerlichkeit preisgegeben“ werden. Und obgleich hierzulande Kirche und Staat getrennt sein sollten, folgerte sie, dass das Buch geeignet sei, „Kinder und Jugendliche sozial-ethisch zu desorientieren“. Prompt rief sie das 12er-Gremium der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien an, damit diese das schreckliche Buch aus dem Verkehr zögen.

Wer hätte gedacht, wie nah die Republik plötzlich an den Gottesstaat heranrückt? Die 12 Wächter des Iran oder das 12er-Gremium des Bundes? Beide sind angetreten, „unsittliche“ und „verrohend wirkende“ Schriften zu indizieren, im Namen des Herrn. Und so bleibt nur abzuwarten, wann auch bei uns die Evolutionstheorie endlich zur Disposition steht. Und falls der Iran immer noch nicht Vorbild sein darf, so gibt es ja auch noch Kansas, wo die unseligen Errungenschaften der modernen Wissenschaft ebenfalls gottesfürchtig in Frage gestellt werden.

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