Editorial

Hosianna, die Despoten haben die Spendierhosen an! Der Scheich von Kuwait beschenkt jeden Staatsbürger mit 1.000 Dinar und Nahrungsmitteln, und der saudische Regent macht satte 35 Mrd. Dollar für Gehaltserhöhungen und die neue Arbeitslosenhilfe locker. Auch in Deutschland gibt sich der Neuadel mildtätig: Der Regelsatz für HartzIV-EmpfängerInnen wird endlich erhöht – um fünf Euro. „Tanzt, singt, seid fröhlich“, mag man da in den Worten Gaddafis dem deutschen Volke zurufen, das die Gaben seiner Herren noch zu schätzen weiß.

Ja, es ist ruhig in Deutschland. Und wird es vermutlich noch ein wenig so bleiben, während ein Land nach dem anderen von der revolutionären Flamme erfasst wird. Überall, schon längst nicht mehr nur im arabischen Raum, gärt es. In den USA (siehe Struggle) regt es sich ebenso wie im Iran oder China. Auch Griechenland scheint vor einer neuen Welle des Unmuts zu stehen. Es ist zweifelsohne der größte Unruhezyklus seit Jahrzehnten, und er steht im Zusammenhang mit der kapitalistischen Krise, die die ArbeiterInnen in vielen Ländern hart getroffen hat. Was die bürgerlichen Medien kaum auszusprechen wagen: Die Arbeiterbewegung zeigt sich in diesen Kämpfen wieder als schwungvolle Akteurin und ist sich durchaus über den globalen Zusammenhang ihrer Regungen bewusst.

Als Zweimonatszeitung hat uns die Dynamik der Ereignisse ganz besonderes Kopfzerbrechen bereitet. Ganz erwartet unerwartet müssen wir hier im Editorial eine Korrektur anbringen: Kaum war unser Beitrag zu den arabischen Revolten durch die Produktion, fiel schon der nächste Staatschef. So hat nun, nach anhaltenden Massenprotesten, in Tunesien Übergangpräsident Ghannouchi das Handtuch geworfen. Auch dies zeigt: Es wird spannend bleiben!

Bei aller Faszination, die von den Erhebungen ausgeht, ist im Hinblick auf die entstehenden Machtvakuen auch Vorsicht geboten. Die Revolten sind gewiss nicht das Ergebnis gewachsener Bewegungen, die ein Konzept für gesellschaftliche Transformation verfolgen. So öffnet die Spontaneität der Massen auch riskante Räume im Spiel von Aktion und Reaktion. In Deutschland etwa sollten wir besonders gewarnt sein: Krisen weiß der geübte autoritäre Charakter stets nach außen und nach unten zu kompensieren, einig in der Niedertracht gegenüber Sündenböcken. Das haben uns die nationalen Reflexe während der Krise verdeutlicht.

DA-Release-Veranstaltung im Januar in Berlin, u.a. mit Vertreterinnen von Hydra und Ban Ying.

Bewegungspolitisch ist Deutschland ein Entwicklungsland und hat einiges bei der Etablierung einer kämpferischen Kultur nachzuholen. Felder, auf denen sich Kampf- und Organisationsformen entwickeln lassen, gibt es viele. Das zeigen auch unsere Beiträge über die aktuelle Zuspitzung des Klassenkampfes in der Wohnraumfrage, geht der Angriff auf die Löhne doch einher mit steigenden Mieten und Verdrängung. Grund genug, dieses Thema in den Mittelpunkt dieser Ausgabe zu stellen und ihm unsere frisch eingeführte DA-Release-Veranstaltung zu widmen (siehe Berlin: “Abend in der Stadt”). Die erste dieser Art – im Januar in Berlin, über Sexarbeit – war schon mal ein großer Erfolg. Und wir hoffen, dass die damit verbundenen Diskussionen in Zukunft nicht nur Berlin vorbehalten bleiben.

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