Abend in der Stadt

da204-Titelbild1.jpg„Liebig-Krawalle kosten 1 Mio.“ titelte die Berliner Boulevardzeitung BZ am 3. Februar und sprach von einer „Rache-Nacht der Chaoten“. Dem vorausgegangen war die Räumung des Hausprojektes Liebig 14 am Vortag. Die Zeitungsmeldungen über das „letzte besetzte Haus Berlins“ erinnerten an die 90er Jahre, als Konflikte zwischen HausbesetzerInnen und HausbesitzerInnen sowie der Polizei regelmäßig für entsprechende Schlagzeilen sorgten. Diese ritualisierten Diskurse geben aber nur einen kleinen Teil der Realität wieder, denn tatsächlich ging es in diesem Konflikt zwischen den BewohnerInnen der Liebigstr. 14 und dem berüchtigten Hauseigentümer Suitbert Beulker,  um einen Kampf zwischen MieterInnen und ihrem Vermieter. Das Haus war zwar 1990 besetzt, aber schon 1992 durch Mietverträge legalisiert worden. Erst als im letzten Jahr mehrere Prozesse verloren gingen und sich die BewohnerInnen diesen Urteilen nicht beugten, konnte das Haus wieder als besetzt bezeichnet werden.

Heutige Kämpfe um Wohnraum haben mit Hausbesetzung wenig zu tun. Es sind Kämpfe von MieterInnen gegen ihre Vermieter. Nicht zuletzt auch die BewohnerInnen der Liebig 14 hatten, auch wenn kurz vor der Räumung die Hausbesetzerrhetorik dominierte, immer wieder auf diese Parallele zwischen ihrer Situation und der vieler anderer Menschen hingewiesen.

In den letzten Jahren kam es durch die Umsetzung neoliberaler Doktrinen und der hohen Verschuldung der Kommunen zu großflächigen Verkäufen von öffentlichem Wohnungsbestand an private Konzerne oder einzelne ImmobilienbesitzerInnen. Die Folge ist, dass MieterInnen noch weniger Möglichkeiten zur Durchsetzung ihrer Interessen im ungleichen Machtkampf mit den HauseigentümerInnen finden. Konfrontiert mit anonymen bürokratischen Strukturen und einem scheinbar undurchdringlichen Paragrafendschungel bleibt bei vielen nur noch ein Gefühl der Ohnmacht. Ähnlich wie im Arbeitsbereich wird auch hier der Klassenkampf von oben immer erbitterter und formalisierter geführt. Begünstigt wird die Situation für die HausbesitzerInnen noch durch eine für sie vorteilhafte rechtliche Lage. Dies macht sich zum Beispiel bemerkbar, wenn der neue Vermieter eine Bescheinigung über Mietschuldenfreiheit verlangen kann, während der alte nicht dazu verpflichtet ist, eine solche auszustellen.

Die Folgen lassen sich auch in Zahlen fassen: Laut dem Stadtsoziologen Sigmar Gude gab man in Deutschland während der 80er Jahre durchschnittlich zwischen 15 und 20 Prozent des Einkommens für Miete aus. Heute sind es 30 Prozent. Im Zusammenhang mit der in den letzten Jahrzehnten stark abwärts laufenden Reallohnentwicklung wird hier eine weitere Ursache für die zunehmende Verarmung vieler Menschen deutlich.

Aber auch wenn die Gegenseite noch in der Offensive ist, sollte dies kein Grund sein zu resignieren, sondern den Widerstand zu entwickeln. Und tatsächlich hat sich in den letzten Jahren deutschlandweit eine kleine, aber im Rahmen ihrer aktuellen Möglichkeiten durchaus wirkungsmächtige Bewegung gegen die zunehmende Gentrifizierung der Städte gebildet. So macht in Hamburg seit 2009 das Netzwerk „Recht auf Stadt“ von sich reden, in Freiburg, wo sich auch die FAU des Themas angenommen hat, will aktuell ein Bündnis über einen Bürgerentscheid eine Sperrminorität gegen die Privatisierung von öffentlichen Wohnflächen durchsetzen und in Berlin wurde die Kampagne „Mediaspree versenken!“ gegründet. Die InitiatorInnen des Mietshäusersyndikates hatten die Zeichen der Zeit schon länger erkannt und bereits in den 90er Jahren ein Konzept entwickelt, mit dem Häuser dem Markt dauerhaft entzogen und von ihren MieterInnen verwaltet werden können. Es gibt also schon einige Ansätze den Widerstand zu entwickeln.

Die syndikalistische Bewegung kann nicht zuletzt auch aus ihrer eigenen Geschichte einiges an Inspiration gewinnen und wieder erlernen, wie man sich Selbstbestimmung nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch im Bezug auf den Wohnraum erkämpfen kann. Wie dies im Hier und Heute aussehen könnte, zeigt uns die polnische Schwestergewerkschaft der FAU: Die ZSP organisiert seit Oktober in Warschau einen langfristig angelegten Mietstreik (siehe DA 203). Auch wenn die syndikalistische Bewegung ihren Schwerpunkt in der Organisierung des Widerstandes am Arbeitsplatz hat, ist es offensichtlich, dass die Kämpfe für ein würdiges Leben im Betrieb letztendlich das Leben der Menschen ebenso beeinflussen wie die um den Wohnraum. Eine enge Vernetzung und Zusammenarbeit auf beiden Themenfeldern ist dementsprechend angezeigt.

 

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