Editorial

„Ja, da haste recht, eigentlich müsste man mal so richtig … Aber wie stellt ihr euch das denn vor? Würde nicht …?“ Immer und überall muss man sich erklären: auf Arbeit unter Kolleginnen und Kollegen, beim Familienfest im Kreise der Verwandten; unter Freunden nicht, wenn man Glück hat.

Dabei ist es doch eigentlich ganz einfach: Sich zusammensetzen, die Forderungen klarkriegen, die notwendigen Vorbereitungen treffen und los geht’s! Was gibt es da lang zu erklären? Wer Beispiele braucht, wie das konkret aussieht, kann mit dieser Ausgabe der Direkten Aktion einen Blick nach Melboure/Australien (S. 13) werfen: Die KollegInnen wussten, was sie wollten, hatten aber mit den besonderen Bedingungen im Öffentlichen Dienst zu kämpfen, so wie jüngst auch ver.di in Berlin. Klar war, es muss den „Arbeitgebern“ weh tun, und so haben sie den Streik, äh Spieß einfach umgedreht und die Bahnen fahren lassen! Das Beispiel der Freeter Union in Tokio/Japan (S. 10) zeigt darüber hinaus, dass man hartnäckig bleiben muss, wenn man sich in die Auseinandersetzung begibt.

Also, viele Worte braucht es nicht, wenn man erstmal entschlossen ist. Wie entschlossen ver.di im BVG-Streik gegen den rot-roten Senat war (S. 6), mögen viele FahrerInnen nach der Einigung am 2. Mai (Die Einigung erfolgte nach Redaktionsschluss) nun fragen. Die schrittweise Rückführung des Streiks (geplant bis 5. Mai) deutet jedenfalls darauf hin, dass die ver.di-Führung den KollegInnen einiges zu erklären hat. Damit geht es den Genossen Funktionären im Fachbereich Verkehr nicht anders als denen im Öffentlichen Dienst (S. 4). Und mit Blick auf den beharrlichen Widerstand gegen die Rentenreform in Griechenland (S. 9) müsste der DGB mal erklären, wieso es hierzulande bei zwei popeligen Protesttagen geblieben ist.

Aber Vorsicht, vom „Erklären“ ist es zum „Verklären“ nicht weit, das wissen alle. Und doch, solange es klappen könnte, wagen v.a. Unternehmer diesen Sprung. Auch hier liefert die DA Beispiele, aus der Arbeitsrechts-Sonderzone kirchlicher Betriebe (S. 3) und dem Strafvollzug (S. 5). Beide Branchen präsentieren sich bekanntlich als „nicht gewinnorientiert“, sondern als mildtätig.

Verklärt hatten auch Hunderttausende US-Amerikaner in die Zukunft geblickt, die im vergangenen Jahr mit der Immobilienkrise in sich zusammenbrach. So individuell das Glück gedacht war, so einzeln stehen die Leute nun vor dem Scherbenhaufen. Kollektives Handeln greift nur zögerlich Raum. Aber auch Einzeltaten können eine Welle bilden: So demolierten Tausende ArbeiterInnen, die sich schon als Hausbesitzer wähnten, ihr ehemaliges Heim, bevor sie den Banken die Schlüssel übergaben. So berichtet es das Wall Street Journal. Etwa jedes zweite Haus weise substanzielle Schäden auf, so dass die Banken nun dazu übergegangen seien, den Opfern der Immobilienkrise eine „Entschädigung“ zu zahlen – der Staat hatte sich ja bekanntlich nur um die Banken unter den Opfern gekümmert.

Wenn die paar hundert Dollar auch kaum für die nächste Monatsmiete reichen, die einzige Alternative wäre die Besetzung der Häuser gewesen, wie z.B. in Kopenhagen (S. 14). Aber zugegeben, Einfamilienhäuser zu besetzen, ist gar nicht so einfach. Und: Dann müsste man wieder Erklärungen abgeben, und zwar öffentlich. Das hilft nicht gegen den Frust der verlorenen Illusion. Dann, wenn es zu spät ist, hilft nur: kommunikationsfreie Gewalt.

André Eisenstein (Redaktion „Hintergrund“)

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