Kolumne Durruti

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Unlängst durfte ich feststellen, dass selbst den gehässigsten Klischees mitunter ein wahrer Kern innewohnt. Denn seit meinem Umzug vom beschaulichen Berlin ins hektische, kalte Hamburg schlittere ich von einer Kommunikationskatastrophe in die nächste, die ausnahmslos auf der hiesigen post-maoistischen Ein-Wort-Politik beruhen, landläufig auch als Maulfaulheit bekannt. Es stimmt, o ja, es stimmt nur zu sehr, Norddeutsche sprechen nicht gern, zumal mit Fremden. Da quere ich die Ampel, als plötzlich ein dicker Herr von seinem Moped aus herüberruft: „Wandsetal!“ Wandsetal, so dünkt mir dumpf, ist wohl so etwas wie ein Stadtteil oder Vorort. Aber was will mir der Mann damit sagen? Steht das im lokalen Idiom vielleicht für einen besonders schäbigen, verrufenen Ortsteil und bedeutet folglich soviel wie „geh doch nach drüben“, „hau ab und geh dahin zurück, wo du herkommst und komm so bald nicht wieder“? Aber nein, da sagt man ja hier „geh wo du wohnst“. Während ich noch verwirrt grüble, ruft irgendein Passant zurück: „bis zur Kreuzung, dann rechts“, woraufhin der 20 km/h-Rocker dankend nickt. Hier versteht man sich eben ohne viele Worte. Oder eben auch nicht.

Im Bus übe ich mich darin, gute Laune zu versprühen, lächle die dralle Fahrerin an und grüße sie mit meinem freundlichsten „eine Tageskarte, bitte!“ Doch sie antwortet nicht. Sie schließt auch nicht die Tür oder fährt ab, sondern bewegt sich einfach gar nicht und starrt wie tot ins Leere. Unheimlich. „Eine Tageskarte“, wiederhole ich verunsichert. Wieder nur dieser leere Blick. „Geht es Ihnen gut?“, frage ich besorgt, worauf sie sich unerwartet flink, wie eine wechselwarme Echse, der man einen Grashüpfer ins Terrarium zuwirft, umdreht und zischt: „Erst bezahlen.“

Und dabei handelte es sich noch um ein redseliges Exemplar. Der Sprachcode Fahrgast-Busfahrer funktioniert in Hamburg nämlich ausschließlich über Gesten. Indem ich den bis auf den letzten Cent abgezählten Betrag auf das Tischchen lege, gebe ich meine Bestellung auf. Dann, und nur dann erhalte ich mein Ticket. Förmlichkeiten wie „Guten Tag“ oder „Danke“ sollte man dabei tunlichst unterlassen, Hamburger fassen derlei rasch als Provokation auf und neigen zu Handgreiflichkeiten.

Auch im Schriftverkehr und im Umgang mit Behörden begegnete ich wiederholt dieser in Norddeutschland offenkundig weit verbreiteten Angst vor ganzen Sätzen und dem Kontakt mit Fremden. So bat ich das Arbeitsamt Hamburg um Auskunft, an wen ich mich zu wenden und welchen Antrag ich nun eigentlich zu stellen habe, nebst diverser Fragen zu Krankenversicherung und ähnlichem, alles in allem ein gut drei Seiten umfassendes Schreiben. Kaum fünf Wochen später erhielt ich die rätselhafte Antwort: „Folgende Unterlagen benötigen wir zur Bearbeitung Ihres Antrages“, nebst Aufzählung der selbigen, nichts weiter; dabei hatte ich überhaupt noch keinen Antrag gestellt. Seitdem führe ich mit dem hiesigen Arbeitsamt einen bizarren Briefwechsel, der sich in etwa so gestaltet, dass ich eine Art Notiz erhalte mit der stenographierten Aussage, dass immer noch ein Dokument fehle zur Bearbeitung eines Antrages, von dem man sich beharrlich weigert, mir mitzuteilen, um welchen es sich überhaupt handelt, und ich entgegne, dass ich eben jenes bereits vor drei, vier, fünf Wochen abgegeben hätte, anbei Kopie Nr. 2, 3, 4 und so fort, und übrigens, vor zwei Monaten hatte ich Ihnen ein paar Fragen gestellt, wann glauben Sie, könnten Sie diese beantworten?

Aber der Rest bleibt Schweigen.

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