Die Faust in der Schlinge

da199-bug-Titelbild.jpgWer nicht streiken darf, steht fast schon auf der Stufe eines Landsknechtes. Wo es einem unter Strafandrohung untersagt ist, die Arbeit zu verweigern, bleibt einem nur die Kündigung oder soldatischer Gehorsam am Arbeitsplatz. Natürlich ist die Situation der „freien Lohnarbeiter“ in Deutschland nicht ganz so düster; die Möglichkeiten zu streiken sieht das deutsche Recht durchaus vor. Sie unterliegen aber einer strengen Reglementierung. Und damit ist keineswegs nur die Ächtung des politischen Streiks gemeint, die in der Gewerkschaftsdebatte zuletzt mehrfach beklagt wurde. Das Problem sitzt viel tiefer. Denn selbst simple Arbeitskämpfe können in Deutschland leicht illegalisiert werden.

Der repressive Charakter des deutschen Streikrechts ist schon lange bekannt, war im Großen und Ganzen aber nur theoretisch zu ertasten. Erst in letzter Zeit zeigten sich dessen rigide Grenzen für viele spürbar auch in der Realität, seitdem sich zunehmend Kämpfe jenseits des DGB entwickeln. Der DGB selbst, mit seinen sozialpartnerschaftlichen Ritualen und seiner institutionalisierten Rolle als anerkannter und gewollter Verhandlungspartner der Arbeitgeber, kriegt das nur selten zu spüren, wie im Falle der Tendenzbetriebe. So entschied im März das Arbeitsgericht Bielefeld, dass es ArbeiterInnen der Evangelischen Kirche nicht erlaubt sei, zu streiken. Das Gericht ächtete damit nachträglich einen Ausstand ver.dis in diakonischen Einrichtungen der Region. „Gott kann man nicht bestreiken“, triumphierte die Kirche und zementierte mit ihrer erfolgreichen Klage ihr Sondersystem der Arbeitsbeziehungen. Was die Kirche hierbei als „Dritten Weg“ bezeichnet, sieht einen strikten Korporatismus zwischen den Interessengruppen vor. Ohne Druckmittel solle verhandelt werden, im Streitfall per Schlichtung. Eine Art Miniaturfaschismus mag manch einer das nennen.

Außerhalb der Tendenzbetriebe oder etwa des Beamtentums stoßen vor allem die kampfwilligen Gewerkschaften jenseits des DGB auf die Grenzen des Streikrechts. Aktuell trifft es die Pilotengewerkschaft Cockpit. Als diese Mitte Februar bei der Lufthansa in den Streik trat, versuchte der Konzern, eine einstweilige Verfügung gegen den Streik zu erwirken, und drohte gleichzeitig mit einer Schadensersatzklage in Millionenhöhe. Die „Einigung“ vor Gericht, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, war aufgrund der Erfolgschancen relativ alternativlos für Cockpit. Auf den Punkt brachte dies die anwaltliche Vertretung der Lufthansa: In einer Pressemitteilung rühmte sich die Kanzlei Lovells, die Piloten nach nur einem Tag Streik „gestoppt“ zu haben.

In den einstweiligen Verfügungen finden die Arbeitgeber ein effektives Instrument zur Aushebelung von Streiks. Zudem verbergen sich hinter solchen Manövern Juristen, die sich fast schon auf das „Union Busting“ spezialisiert haben. Denn mit Lovells greift die Lufthansa auf eine Kanzlei zurück, die schon die GDL bei der Deutschen Bahn 2007 zwischenzeitlich stoppen konnte. Und diese Kanzlei fusioniert im Mai mit Hogan & Hartson zu einer der Top-Kanzleien der Welt. Hogan & Hartson wiederum vertreten das Berliner Kino Babylon Mitte im Konflikt mit der FAU Berlin, der Ende vorigen Jahres die Arbeitskampfmaßnahmen untersagt wurden.

Wurde der FAU Berlin der Arbeitskampf aufgrund angeblich fehlender Tariffähigkeit verboten, stehen die Piloten unter Druck, weil eines ihrer zentralen Anliegen nicht vom Tarifrecht gedeckt sei. Die Piloten wollen nämlich auch ausländische Konzerntöchter in den Konzerntarif integrieren, um ein Lohndumping durch billigere Piloten zu unterbinden. Eben diese Sprengung der nationalen Tarifschranken betrachten die Lufthansa und ihre Anwälte als „keine zulässigen Streikziele“. Im Zuge des zweiten Streikanlaufs Mitte April musste nun Cockpit, erneut unter dem Druck massiver Schadensersatzdrohungen, die Zusage zu einem Schlichtungsverfahren machen, bei dem es nur um Vergütung und Arbeitsbedingungen geht. Das außergewöhnliche Hauptanliegen der Piloten ist damit formal vom Tisch. Die Lufthansa könnte sich aber zu früh gefreut haben. Denn indes gab ein Cockpit-Sprecher bekannt, die Laufzeit eines möglichen Tarifergebnisses der Schlichtung – und damit die Friedenspflicht – auf wenige Wochen beschränken zu wollen. So sei man nach kurzer Zeit wieder streikfähig.

Nicht nur aufgrund dieser alten syndikalistischen Methode oder dem interessanten Versuch, den Konzerntarif zu internationalisieren, sollten die Piloten unsere Aufmerksamkeit genießen. Denn die Verteidigung des Rechts auf Streik sollte für alle GewerkschafterInnen von höchster Priorität sein, auch wenn man Kritik am Berufsegoismus der Piloten oder Lokführer haben mag. In Anbetracht der Wirkung derartiger Präzedenzfälle auf die Situation aller Lohnabhängigen gilt es, differenziert solidarisch zu sein. Die FAU sollte hier die Weitsicht zeigen, die viele Gewerkschafter im Falle des Gewerkschaftsverbots für die FAU Berlin haben missen lassen. Sonst gilt für uns alle schon bald das Streikzölibat des Kirchenkorporatismus.

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