Kolumne Durruti

Matthias SeiffertMeine erste Begegnung mit dem Arbeitsamt war nicht gerade aufbauend. Nachdem der Sachbearbeiter meinen Lebenslauf gelesen hatte, warf er den Kopf in den Nacken und lachte, dass es von den Wänden widerhallte, und er wollte gar nicht mehr damit aufhören. Dann wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht und ordnete für mich einen 1-Euro-Job an.

Das Büro, bei dem ich anfangen sollte, lag am entgegengesetzten Ende der Stadt in Hamburg-Altona. 2 Stunden Fahrzeit, sehr motivierend. Dennoch hatte ich allerhand Materialien mitgebracht, ein kleines Kaleidoskop aus Zeitschriften, in denen ich Artikel veröffentlicht oder die ich layoutet hatte. Es handelte sich um einen Laden, der speziell auf arbeitslose Journalisten und Grafiker zugeschnitten war – in diesem Fall ausnahmslos hochqualifizierte, überdurchschnittlich gebildete und berufserfahrene Redakteure, Texter und Layouter – und der auf Staatskosten sinnfreie Broschüren und Flyer herausgab.

Vorweg muss ich klarstellen, dass zumindest zum damaligen Zeitpunkt hier in Hamburg ein solcher 1-Euro-Job nicht abgelehnt werden konnte. Zwar konnte man nach einer gewissen Zeit den „Job“ wechseln, denn der Anbieter des Jobs darf nur dann ablehnen, wenn die bestellte Person betrunken erschien oder sonst in irgendeiner Weise grob nachlässig auftrat, doch was ich hier erlebte, fiel aus dem Rahmen.

Die Dame, mit der ich den einbestellten Termin vereinbart hatte, zeigte sich zunächst spröde, weil ich in ihren Augen zu salopp gekleidet erschienen war. Eine Krawatte wäre bei einem Vorstellungsgespräch ja wohl das Mindeste gewesen! Ich sah noch einmal in meinen Unterlagen vom Amt nach. Nein, das ist kein Vorstellungsgespräch: ich muss hier heute anfangen, und sie müssen mich nehmen.

Schließlich trat die Chefin des Ladens, ein unsympathischer Drachen von gefühlten 70 Jahren und 120kg Kampfgewicht hinzu, blätterte meine Materialien kurz durch und keifte dann: „ah, alles marxistischer Unsinn. Sowas will doch heute niemand mehr sehen. Sie nehmen wir nicht.“

Ich sparte mir die Aufklärung darüber, dass Marxismus und Anarchismus zwei Paar Schuhe sind, und wurde schließlich an anderer Stelle 1-Euro-Job-Online-Redakteur und kommentierte das Vorankommen von Sanierungsgebieten (Amtsdeutsch: Entwicklungsquartiere) in Arme-Leute-Vierteln. Ich interviewte Alkoholiker in Grünanlagen, beobachtete Teenager-Skinheads, die ihre Pitbulls liebevoll „Thor, Odin, hierher!“ riefen und lauschte geduldig Großmüttern, die mir erklären wollten, das einzige Problem, das endlich von den Politikern gelöst werden müsse, seien „all die Kaschuben hier“. Damit meinten sie, wie ich später herausfand, keineswegs Angehörige der genannten slawischen Minderheit im Großraum Danzig, sondern polnischstämmige Nachbarn. Erfahrungen, die mich rasch ermüdeten.

Und obwohl ich hier mit einer Reihe erfahrenster Leute von der schreibenden und gestaltenden Zunft zusammentraf – darunter Modefotografen, Klatschreporter und Lokalredakteure – brachte dies meine journalistische Laufbahn nicht so recht in Schwung: Meine Bewerbung beim „Wandsbeker Wochenblatt“ wurde nie beantwortet.

Mein neuer Berufsberater hat mir nonchalant eröffnet, ich solle mein bisheriges Leben, einschließlich Studium und Publikationen als „schöne Zeit“ in meinem Leben sehen. Beruflich verwertbar sei nichts davon. „Wie wär‘s mit Speditionskaufmann oder Altenpfleger?“

Warum nur habe ich nie einen Führerschein gemacht? Dann könnte ich wenigstens der klassische Taxi-Fahrer werden, der auf ein 10jähriges Philosophiestudium zurückblicken kann.

Manchmal ist eben doch alles nur zum Heulen.

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