Es ist an uns, mit ihnen solidarisch zu sein

„Ich bin es müde. Ich bin es müde, meinen Bekannten in den Todesanzeigen zu begegnen. Das ist keine Arbeit mehr, es ist eine Frage des Überlebens. Wir brauchen Schutz vor Nazis, wir brauchen Schutz vor mafiösen Behörden, vor eben den Rechtsschutzorganen, die bei diesen so oft liebedienern. Und wir verstehen sehr wohl, dass außer uns selbst niemand uns diesen Schutz geben kann. Weder Gott, noch Zar, noch Gesetz – niemand, nur wir selbst.“

– Aus einem Redebeitrag Stas Markelows auf einer Demonstration am 30.11.08

Es gibt Menschen, die großen Mut besitzen und kämpfen, obwohl sie wissen, dass sie dadurch gefährlich leben. Ein solcher Mensch war Stanislaw Markelow. Er wurde am 20. Mai 1974 in Moskau geboren. Als Jugendlicher engagierte er sich in einer Vielzahl von politischen und kulturellen Initiativen – mit einer Tatkraft und einer Vielseitigkeit, die ihn auszeichnete.

So organisierte er im Oktober 1993 während der bewaffneten Kämpfe zwischen dem Jelzin-Lager und der von Altstalinisten und Nationalisten beherrschten Opposition mit einigen jungen Anarchisten spontan einen Sanitätertrupp, der Verwundeten beider Seiten half. In den 1990er Jahren studierte Stas Jura und wurde anschließend Rechtsanwalt – ein ungewöhnlicher Schritt für einen jungen Linken. Aber seine Überzeugungen hat er nicht verraten. Stas nahm an Menschenrechtskonferenzen und Sozialforen statt, versuchte die Menschenrechtsidee mit sozialer Gerechtigkeit zu vereinbaren. In den letzten Jahren hat Stas häufig Antifas verteidigt und in anderen Verfahren dazu beigetragen, dass einige russische Nazi-Schläger in den Knast kamen. Er verteidigte linke AktivistInnen in ganz Russland, auch Mitglieder der belorussischen Opposition. Stas war verheiratet, seine Frau stammt aus Belarus; er hinterlässt zwei kleine Kinder.

Stas war einer der wenigen Anwälte, die die Opfer des Mordens und der Willkür der russischen Kriegsmaschinerie in Tschetschenien verteidigten, und vielleicht der einzige, der an kontroversen Fällen direkt in Tschetschenien arbeitete. Dabei zog er sich den Hass des mafiotisch-geheimdienstlichen Komplexes zu. Unter anderen vertrat er als Nebenkläger die Familie Kungajewa, deren Tochter in Tschetschenien von einem russischen Offizier, Jurij Budanow, vergewaltigt und ermordet worden war. Der Mörder wurde nach nur acht Jahren Gefängnis begnadigt.

Stas war am 19. Januar 2009 gerade auf dem Rückweg von einer Pressekonferenz, in der es um eben diese vorzeitige Begnadigung Budanows ging, als er erschossen wurde. Kurz nach Stas wurde seine Begleiterin, Anastasija Barburowa, mit einem Kopfschuss getötet, entweder weil sie versuchte dem Verletzten zu helfen oder weil sich der Killer der Zeugin entledigen wollte. Nastja war studierte Journalistin und arbeitete als Freelancer für die Zeitung Nowaja Gaseta. Ihr Spezialgebiet war die russische Ultrarechte. Als aktive Anarchistin war Nastja mit ihrer Energie und ihrer offenen Art in der kleinen libertären Bewegung Russlands und der Ukraine sehr beliebt.

Es ist sehr fraglich, ob die Morde an Stas und Nastja jemals aufgeklärt werden, denn die Auftraggeber sitzen mit Sicherheit „ganz oben“. Die traurigen Ereignisse erinnern an den Mord an der Reporterin und Kremlkritikerin Anna Politkowskaja, die im Jahr 2006 in ihrem Haus erschossen wurde. Der Tat wurde bis heute nicht aufgeklärt. Dass Stas den Behörden ein Dorn im Auge war, wurde spätestens 2004 klar, als er in der Moskauer U-Bahn überfallen wurde. Die „unbekannten“ Angreifer verschwanden damals mit Stas’ Brieftasche voller Dokumente und seinem Handy.

Diese Morde sind nicht die ersten an Menschen, die sich für Gerechtigkeit und bessere Lebensbedingungen in Russland einsetzen. Erinnert sei an den Mord an Ilja Borodajenko im Anti-Atom-Ökocamp im sibirischen Angarsk im Sommer 2007, als Nazis mit Duldung der Polizei das Protestlager überfielen, oder an den Tod der jungen Antifaschistin Olga Rukosyla im Oktober 2008 in Irkutsk. Ohne Todesfolge blieb glücklicherweise der tätliche Angriff im November 2008 auf Alexej Etmanow, den Vorsitzenden der kämpferischen Gewerkschaft bei Ford in St. Petersburg.

Die russische Staatsmacht hat offensichtlich kein Interesse am Schutz dieser Menschen. DissidentInnen werden nach wie vor eingeschüchtert und zum Schweigen gebracht, und dabei wird auch über Leichen gegangen. Es ist an uns, mit ihnen solidarisch zu sein; zu zeigen, dass sie nicht vergessen und allein gelassen sind. Es ist an uns, sie auf jede mögliche Art und Weise zu unterstützen und der russischen Staatsmacht zu zeigen, dass das, was in Russland passiert, nicht unbeachtet bleibt.

Will Firth

 

Schreibe einen Kommentar