„Bezahlt wird nicht!“

„Wir ändern den Ausgang ihrer abgekarteten Geschichten“. Denn, so weiß der Fuchs: „Die Verarschung hat ihre Grenzen“. Collage der Anti-Maut-Kampagne.

Nach einem Jahr heftig umkämpfter Sparmaßnahmen, nach Gehalts- und Rentenkürzungen, nach Preissteigerungen und staatlicher Repression haben es viele GriechInnen satt. Davon zeugen nicht nur die bisherigen acht Generalstreiks, die Besetzung von Ministerien und Straßenkämpfe mit der Polizei, auch andere bemerkenswerte Formen des zivilen Ungehorsams greifen in diesen Wochen um sich:

Málgara heißt der Ort, an dem die strapazierte griechische Seele ihrem Zorn Ausdruck verleiht. 10.000-fach am Tag schreit sie hier ihre Wut aus dem Autofenster. Die erste Mautstation auf der Autobahn von Thessaloníki nach Athen ist zum Aktionsfeld der Revoltierenden geworden. Ausgerüstet mit Flugblättern und Transparenten besetzen mal fünfzig, mal mehrere hundert Menschen die hässliche Zahlstelle mit den zwölf Durchfahrten, öffnen die Barrieren und sorgen für freie Durchfahrt. Nicht umsonst haben die AktivistInnen den auf ihren Flaggen prangenden Slogan einem Theaterstück von Dario Fo entliehen: „Bezahlt wird nicht!“

Vom Protest zur direkten Aktion

2,80 Euro kostet der Autobahnabschnitt hinter Málgara für Pkw-FahrerInnen. Vor einem Jahr waren es noch 1,90. Neben dieser letzten verbliebenen staatlichen Mautstation gibt es 13 weitere Kassen privater Baukonsortien, die auf der 500 km langen Strecke errichtet wurden. Viele GriechInnen müssen täglich zahlen, wenn sie morgens zur Arbeit und abends nach Hause fahren. Auch beim Wochenendausflug machen die Autobahnbetreiber Kasse, weil ganze Kleinstädte oder Athener Vororte von gebührenpflichtigen Straßen eingekreist sind. Die Beträge, die sich ansammeln, sind erheblich: Bis zu 1.800 Euro im Jahr kommen unter Umständen zusammen.

Nach erfolglosen Protesten gründeten sich 2010 lokale Bürgerkomitees gegen die Mautgebühren, die erst vereinzelt, seit einiger Zeit in koordinierten, landesweiten Aktionen Mautstellen besetzen und für freie Fahrt sorgen. Einer der Helden der Bewegung kommt aus der Kleinstadt Stylída in Zentralgriechenland und war früher in TV-Serien zu sehen. Seit Apóstolos Glétsos, der Bürgermeister von Stylída, Ende Februar mit einer Planierraupe den AutofahrerInnen einen Weg um die Mautstelle herum bahnte, ist er zur Berühmtheit geworden. Glétsos soll vor Gericht gestellt werden, doch die Zahl organisierter Anti-Maut-Happenings wuchs seitdem täglich. Zehntausende waren es bereits am folgenden Wochenende, die umsonst auf der Autobahn, an der Stylída liegt, nach Norden fuhren.

Unterdessen blockierten AktivistInnen in Athen auch die Fahrscheinautomaten in U-Bahnstationen und ermunterten Fahrgäste, ohne Ticket zu fahren. 340 Fahrscheinentwerter sollen allein an einem Tag durch Klebstoff unbrauchbar gemacht worden sein. „Der Faden des Umsturzes wird gesponnen“, meint Thános Georgalás von den „Passagieren Thessaloníkis“, die sich wiederum mit kollektiven Busbesetzungen und Freifahrt-Aktionen für einen Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr einsetzen. So hatten Anfang April, nach einer Soli-Kundgebung für die sich gegen eine Mülldeponie wehrende Bevölkerung der Kleinstadt Keratéa, über 200 Personen Stadtbusse gekapert. Massenhaft durch die Verkehrsbetriebe mobilisierte Kontrolleure und Polizeibeamte sorgten in der Folge für chaotische Verhältnisse in den Bussen.

Die Konfrontation spitzt sich zu

„Vor einem Jahr war die Bewegung etwas Lästiges für die Pasok-Regierung. Jetzt ist sie eine Bedrohung“, betont Marina vom Komitee gegen Mautgebühren. Die „Nichtzahler-Komitees“, die in allen größeren Städten aus dem Boden schießen, versucht die Regierung nun durch Repression, Propaganda und kleine Zugeständnisse einzudämmen. So gibt es Gespräche mit Autobahnbetreibern, die Maut zeitweise zu halbieren. Gleichzeitig bezeichnet Verkehrsminister Dimítris Répas die AktivistInnen als „Schnorrer“ und „Asoziale“. Im Parlament ließ er Anfang März ein Gesetz gegen Nichtzahler verabschieden. AutofahrerInnen, die sich weigern zu zahlen, sollen künftig 200 Euro Strafe berappen, ihr Nummernschild soll 20 Tage und ihr Führerschein einen Monat lang eingezogen werden. Auch auf Schwarzfahren in öffentlichen Verkehrsmitteln droht ab sofort Haft. Mittlerweile sind Festnahmen und Verfahren gegen drei Aktivisten bekannt.

Die Bewegung zeigt sich jedoch unbeeindruckt: In Korinth stürmten sogar erboste AutofahrerInnen eine Station der Verkehrspolizei, verbrannten Hunderte von Knöllchen und eigneten sich entzogene Führerscheine wieder an. Teilweise sahen sich auch Polizeibeamte gezwungen, Führerscheine freiwillig zurückzugeben, um zu deeskalieren. Andererseits schreckt die Staatsmacht auch vor offenem Rechtsbruch nicht zurück. So wurde eine Frau Mitte April bei Pátras aus ihrem Auto heraus verhaftet und in den Knast verschleppt. Obwohl keinerlei Rechtsgrundlage für eine Inhaftierung existierte, sorgte erst die Mobilisierung hunderter UnterstützerInnen für ihre Freilassung.

„Griechenland wird kein gesetzloses Land werden“, lautet die Parole Répas’, die der Pasok-Abgeordnete Chrístos Mangkoúfis Anfang April auf seine Art interpretierte: An einer besetzten Mautstation stieß er nach kurzem Wortwechsel eine Frau zu Boden, die verletzt ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. „Wir, die Schnorrer, antworten auf die Zuhälter der Macht durch unsere massenhafte Teilnahme an der Bezahlt wird nicht-Kampagne“, erklärte daraufhin Vassílis Sarantópoulos, einer der Aktivisten, gegenüber den griechischen Medien.

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