„Ein Franco mit Bart“

Ein milliardenschweres Rettungspaket soll die spanischen Banken sanieren. Europa rettet Spaniens Banken, doch die Opfer der Krise gehen leer aus. Täglich werden Menschen bei Zwangsräumungen aus ihren Wohnungen vertrieben, verlieren ihre Jobs und können ihre Kreditraten nicht mehr bezahlen. Der Unmut, der sich gegen diese Verelendung seit über einem Jahr regt, organisiert sich in diversen sozialen Bewegungen. Der spanische Staat reagiert zunehmend repressiv auf den Widerstand der Bevölkerung.
So wurde am 24. April diesen Jahres die Organisationssekretärin der CGT Barcelona – Laura Gómez – auf dem Weg zur Arbeit von einer Spezialeinheit der Polizei festgenommen. Grund der Festnahme war eine symbolische Aktion während des Generalstreiks am 29. März, bei der vor der Barceloneser Börse Banknotenimitate in einem Pappkarton verbrannt wurden. Bei der Aktion waren sowohl PressevertreterInnen als auch Polizei anwesend. Laura wurde infolgedessen wegen Brandstiftung angeklagt. Nach internationalen Protesten und Solidaritätskundgebungen sowie einem Schreiben von einhundert spanischen AnwältInnen, die dieses Vorgehen als ungesetzlich anprangerten, wurde Laura am 17. Mai gegen eine Kaution von 6.000 Euro wieder auf freien Fuß gesetzt. Die Staatsanwaltschaft fordert indes eine Gefängnisstrafe von bis zu 36 Jahren. Laura selbst sagte in einem Interview nach ihrer Freilassung, dass sie sich sicher sei, dass ihre Verhaftung nicht nur auf die erwähnte Aktion zurückzuführen sei, sondern auch auf ihre aktive Mitgliedschaft in der CGT. AktivistInnen nehmen mittlerweile an, dass es „Schwarze Listen“ mit GewerkschafterInnen gibt, die kalt gestellt werden sollen. Auch im Falle der Verhaftung von Diego Cañamero liegt ein solcher Zusammenhang nahe. Der Pressesprecher der Andalusischen Arbeitergewerkschaft (SAT) wurde inzwischen mehrfach verhaftet und wieder frei gelassen. Ihm werden ziviler Ungehorsam in mehreren Fällen sowie illegale Landbesetzung vorgeworfen. Cañamero unterstützt seit der Besetzung am 4. März die Finca Somontes in Palma de Rio. Die Finca ist im Besitz der Landesregierung und lag lange Zeit ungenutzt brach bis circa 500 arbeitslose TagelöhnerInnen und GewerkschafterInnen sie besetzten. Am 26. März diesen Jahres wurde die Finca von 250 Polizisten und Mitgliedern der Guardia Civil geräumt, in der darauf folgenden Nacht jedoch wieder besetzt. Gegen mehrere BesetzerInnen und insgesamt rund 400 Mitglieder der SAT wurden inzwischen Haftbefehle erlassen. Die Nervosität der Behörden lässt sich sicherlich auf die anstehenden Reformen und befürchteten Proteste zurückführen.

Austerität, Autorität und Widerstand

So wurde Ende März der Staatshaushalt 2012 präsentiert, der zuerst 23,7 Milliarden Euro Einsparungen enthielt, keine zwei Wochen später wurden weitere 10 Milliarden angekündigt. Die von den Kürzungen betroffenen Bereiche sind Gesundheit, Erziehung, Bildung, Kultur und Entwicklungshilfe. Um Protesten vorzubeugen wurde im April eine drastische Verhärtung des Demonstrationsrechtes verabschiedet. So kann jetzt auch passiver Widerstand als Angriff gegen die Staatsgewalt gewertet und mit einer Gefängnisstrafe bis zu zwei Jahren geahndet werden. Des Weiteren werden Aufrufe zu zivilem Ungehorsam genauso geahndet wie die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Demonstrationen, welche die öffentliche Ordnung stören, sollen als Straftaten behandelt werden. Gewerkschaften, Parteien und alle politischen Gruppen, die zu Protestaktionen aufrufen, werden damit bereits im Vorfeld kriminalisiert.
Auch das öffentlich- rechtliche Fernsehen ist von den Reformen betroffen. So war bisher zur Wahl des Vorstandes der öffentlichen Sender eine Zweidrittel-Mehrheit im Parlament notwendig. Von der konservativen Regierung wurde am 20. April ein Dekret erlassen, das es ihr erlaubt, den Vorstand der öffentlichen Sender mit ihrer absoluten Parlamentsmehrheit im Alleingang zu wählen. Die Maßnahme wurde von mehreren kritischen Medien als „Staatsstreich im öffentlich-rechtlichen Fernsehen“ kritisiert.
Doch auch vor dem Hintergrund der noch immer steigenden Zahl der Arbeitslosen in Spanien, sind die gesetzlichen Einschnitte in das Arbeitsrecht besonders einschneidend. So soll, um Arbeitsplätze zu schaffen, unter anderem durch Kürzungen der Gehälter, längere Arbeitszeiten und die faktische Abschaffung des Kündigungsschutzes für Aufschwung gesorgt werden. Am 20. Juni gab es wiederholt Demonstrationen gegen diese Politik, an denen sich laut der sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften CCOO und UGT alleine in Madrid über 35.000 Menschen beteiligten.
Durch die hohe Arbeitslosigkeit, die inzwischen bei fast 25% angelangt ist (bei Jugendlichen bis 25 Jahren sind es sogar schon 50%), können viele Familien die Hypothek ihrer Wohnung nicht mehr bezahlen. Dies führt zu Unmengen von Zwangsräumungen, die zum Teil aber von AktivistInnen und Nachbarn verhindert wurden. Auch die inzwischen verstaatlichte und völlig marode Bank „Bankia“ hat viele Zwangsräumungen angeordnet. Der „Bankia“ wurden bereits 24 Milliarden Euro öffentliche Gelder zur Verfügung gestellt, um ihre Insolvenz zu verhindern. Als Reaktion auf die prekäre Wohnungssituation wurde in Sevilla am 17. Mai ein ganzer Häuserblock besetzt; inzwischen sind es 36 Familien, die dort leben. Die Immobilie ist Eigentum der Bank „Ibercaja“, seit 2010 bezugsbereit fertig gestellt und seitdem leerstehend. Die BewohnerInnen haben dem Gebäude den Namen „Corrala Utopía“ (Utopie-Hof) gegeben und organisieren sich horizontal in Versammlungen, außerdem veranstalten sie ein Freiluftkino und Freizeitaktivitäten für Kinder. Im „Corrala Utopía” gibt es regelmäßige Solidaritätsveranstaltungen. Bis jetzt ist noch keine Räumung angedroht worden. Elektrizität und Wasser sind allerdings bereits abgeschaltet, obwohl die BewohnerInnen immer gezahlt haben.

Breitere Proteste

Als Reaktion auf die drastischen Sparmaßnahmen bei den Kohlesubventionen sind seit dem 27. Mai die BergarbeiterInnen in Asturien und weiteren Regionen in einen unbefristeten Streik getreten, der sich inzwischen schon fast zu einem Guerillakrieg ausgeweitet hat. Seit Streikbeginn werden von den ArbeiterInnen Autobahnen und Eisenbahnschienen mit zum Teil brennenden Barrikaden blockiert. Spezialeinheiten der Guardia Civil versuchen mit Gummigeschossen und Tränengasgranaten der Lage Herr zu werden. Die Streikenden haben sich inzwischen mit selbstgebauten Feuerwerksraketen bewaffnet, die sie mit Hilfe von Metallrohren abschießen. Von staatlicher Seite und von der bürgerlichen Presse werden die Streikenden als Terroristen bezeichnet. Die

M15 in Madrid (Quelle: Adolfo Indignado Cuartero CC-BY-SA)

Solidarität unter der Bevölkerung ist dennoch oder gerade deswegen enorm groß: Am 18. Juni gab es in den Bergbauregionen einen Generalstreik, der laut Gewerkschaften ein großer Erfolg war. Alleine an einer Demonstration in der kleinen Ortschaft La Felguera – mit insges. nur gut 20.000 Einwohnern –  beteiligten sich rund 50.000 Menschen.
Auch jährte sich am 15. Mai die Errichtung des mittlerweile geräumten Protestcamps „AcampadaSol“ an der Madrider Puerta del Sol. Für den 12. Mai waren aus diesem Grund in zahlreichen Städten Demonstrationen angekündigt. Für Madrid gab es Auflagen, die beispielsweise die Errichtung eines Camps untersagten und die Abschlusskundgebung auf dem Platz nur bis 22 Uhr genehmigte. Bei dieser waren über 40.000 Leute beteiligt und die zeitliche Beschränkung wurde ignoriert. Um Mitternacht gab es den schon traditionellen „stummen Schrei“, bei dem die Anwesenden schweigend die Arme heben. Danach stellte sich so etwas wie Volksfeststimmung ein. Gegen 4 Uhr morgens – es waren noch circa 300 Leute auf dem Platz – fuhren ein Dutzend Mannschaftswagen mit Bereitschaftspolizei auf den Platz und räumten ihn mit ziemlicher Brutalität. Eine ältere Frau ereiferte sich über die Sparpolitik und das aggressive Auftreten der Polizei und brach schließlich in Tränen aus. Wiederholt schluchzte sie: „Wir haben einen Franco mit Bart…“ (gemeint ist der Regierungspräsident Mariano Rajoy). Weniger emotional aber umso deutlicher regte sich auch der baskische Koch Karlos Arguiñano über die politische und wirtschaftliche Situation in Spanien auf. In seiner TV-Kochsendung vom 24. Mai erklärte er in leicht verständlichen Worten, welche Konsequenzen die rigorose Sparpolitik haben wird. Politiker und Banker nannte er währenddessen „Gangster“, jungen Leuten empfahl er, sich im Ausland Arbeit zu suchen. Arguiñano erfreut sich bei der Bevölkerung einer großen Beliebtheit und kann als „Opinion Leader“ bezeichnet werden.

Kreative Protestaktionen

Die Sparpolitik führt jedoch auch zu durchaus amüsanten und kreativen Protestaktionen. So gibt es eine Flamenco-Gruppe, die als Flashmob in Bankfilialen geht, um dort zu singen und zu tanzen. In den Liedern wird die Macht der Banken angeprangert. Auch die Erhöhung des Tarifes im ÖPNV von Madrid hat zu verschiedenen Protestaktionen geführt. Zum einen ist die Aktion „Yo no pago“ (Ich bezahle nicht) zu erwähnen, die zum kollektiven Schwarzfahren auffordert. Kurze Zeit später organisierte andererseits das Sicherheitspersonal die Plattform „Yo no paro“ (Ich halte niemanden an), die sich mit den Protesten solidarisierte und erklärte, zukünftig keine Fahrscheinkontrollen mehr durchzuführen. Ein Flashmob unter dem Motto „El tarifazo es un lujo“ (Der hohe Tarif ist ein Luxus) irritierte überdies die Madrider
U- Bahn: Einige Fahrgäste trugen Abendgarderobe im Stil der Oberschicht, spielten Musik mit ihren Mobiltelefonen ab (andere Reproduktionsgeräte sind in der U-Bahn auch verboten) und feierten auf den Bahnsteigen und in den U-Bahnen ein Fest.
Soziale Proteste und Repressionen gibt es derzeit europaweit, nicht nur in Spanien. Auch Portugal und Italien sind stark betroffen. Am 18. Juni gab es in beiden Ländern große Demonstrationen, in Lissabon mit mehreren Zehntausend Menschen, in Rom mit bis zu 200.000 Beteiligten. Und gerade aus Italien erreichen uns immer wieder Meldungen von brutalem Polizeivorgehen während Demonstrationen.
All diese sogenannten Reformen, Gesetzesverschärfungen und Repressionsmaßnahmen lesen sich so, als könnten sie in einigen Jahrzehnten in die Geschichtsbücher eingehen als erste Schritte in die Richtung eines Demokratieverlusts und eines autoritären Umbaus der Euro-Länder. Große Teile der europäischen Bevölkerung versuchen momentan diesen Prozess aufzuhalten, was zumindest Hoffnung aufkommen lässt.

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