Kolumne Durruti

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Jedes Jahr derselbe Krampf: Wann nur eine oder zwei Stufen in der Tretmühle auslassen und Urlaub nehmen? Und vor allem: Was damit machen? Wie regeneriere ich meine Arbeitskraft am besten, damit ich sie danach wieder – mit Mehrwert für den „Käufer“ – unter Wert verkaufen kann. (Nebenbei: Warum zahle ich eigentlich Mehrwertsteuer?)

Erste Variante: Tourismus oder Reisen – ein Euphemismus für eine Abwandlung vom Tourismus. Mitmachen also bei der illusionären Flucht aus der prekären Wirklichkeit, bei der „Inszenierung von Freiheit als Massenbetrug“ (Hans Magnus Enzensberger, Theorie des Tourismus, 1958). Um dann auf einem überfüllten Flughafen festzusitzen und die Flüche anderer Lohnarbeiter über die Streikenden mit anhören zu müssen, die uns den Urlaub nicht gönnen und uns für ihren maßlosen Egoismus als „Geiseln“ nehmen. Um dann durch fremde Städte zu irren und überteuerten Mist zu fressen, serviert von unterbezahltem, abgehetztem Personal, und dessen Chef reich zu machen.

Zweite Variante: Nahtourismus. In überfüllten Bahnen an versiffte, überfüllte Brandenburger Badetümpel fahren. Die Züge sind immer verspätet, weil die Deutsche Bahn lieber in teure Stuttgarter Grundstücke hineinpulvert anstatt ihre MitarbeiterInnen gut zu bezahlen und durch Neueinstellungen zu entlasten. Und wenn diese dann streiken: siehe Flughafen. Und natürlich: Um in verranzten Imbissbuden überteuerten Mist zu fressen: siehe Ferntourismus.

Dritte Variante: Krawalltourismus. Also dorthin fahren, wo noch richtig gestreikt wird, also nach Spanien oder Griechenland – und mitmachen. Um dann aber von den Bank-Europa rettenden Robocops mit Tränengas besprüht zu werden. Und danach in überfüllten Arrestzellen zu sitzen und überteuerten Mist zu fressen – unfreiwillig bezahlt von den Streikenden.

Die letzte Variante gefällt mir da noch am besten – bis auf den Ausgang natürlich.

Ich glaube, ich bleibe hier. Die Stadt ist leer, die Vergnügungsstätten sind es auch. Ich gehe weiter in „meinem“ Kino arbeiten. Aber ganz, ganz gemächlich. Mit meinen KollegInnen trinke ich ein paar Dienstbiere, in Gedenken an den ehemaligen tschechischen Außenminister gleichen Namens – und an die Brauereiarbeiter, die 1903 den ersten tariflichen Urlaub erkämpft hatten. Dann setzen wir uns in den leeren Saal und sehen uns selbst die Filme an. Auch eine Flucht aus der Realität, zugegeben. Aber schlechter wird sie dadurch nicht. Nur: Was mache ich mit meinem Urlaub?

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